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Jubiläum: Gößlinger Gotteshaus blickt auf eine bewegte Geschichte und auf 1518

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Interessante liegt so nah. So ist in Gößlingen ein Kleinod zu finden: die katholische Kirche St. Peter und Paul. Sie feiert in diesem Jahr ein spezielles Jubiläum: 500 Jahre spätgotische Umgestaltung. Anlass, ins Jahr 1518 zu blicken.

Dietingen-Gößlingen. Als profunder Begleiter und Kenner der Materie gibt Thomas Bischof, seit 2015 stellvertretender Vorsitzender des Kirchengemeinderats, bei der Zeitreise Einblick in Historie, Kunst- und Baugeschichte rund um die Kirche St. Peter und Paul.   Rückblick: Ende des 15. Jahrhunderts geriet in deutschen Landen vieles in Bewegung. Es waren unruhige Zeiten. Veränderungen im Denken kündigten sich an – und fanden ihren Ausdruck in baulichen Umgestaltungen. Eine Visualisierung. Um Denken und Sehen in Einklang zu bringen.   Exkurs: So klein Gößlingen heute ist, so genoss es doch einst eine andere Bedeutung. Die Kirche dürfte eine der ältesten in der Region sein. Sie könnte ins siebte oder achte Jahrhundert zurückgehen. Zu Gößlingen gehörten fünf Filialen: Böhringen, Rotenzimmern, (das später abgegangene) Kleinenzimmern, Täbingen und Zimmern unter der Burg. Ein relativ großer Sprengel also.   Noch ein Exkurs: Als Herzog Ulrich nach 15 Jahren 1534 aus dem Exil zurückkam, rief er die Reformation aus, Württemberg wurde protestantisch. Klöster wurden säkularisiert, der Herzog hat sich deren Besitztümer unter den Nagel reißen können. Gößlingen gehörte in dieser Epoche der Unruhen zum Kloster Alpirsbach, 1354 hatten die Grafen von Sulz das Dorf Gößlingen ans Kloster verkauft. Zwei der noch vier vorhandenen Filialen (Rotenzimmern und Täbingen) wurden protestantisch. Böhringen, Gößlingen und Zimmern konnten – dank mächtiger Nachbarn (Rottweil und Vorderösterreich) – "widerstehen". "Bursfelder Reformation": 1518. Eine Zeit der Umbrüche. Damals hatte Luther bereits seine Thesen veröffentlicht. Doch in der Christenheit im "Heiligen Römischen Reich Teutscher Nation" gärte es schon länger. Sitten und Gebräuche im Klosterleben wichen stark von der reinen Lehre ab. Moralischer und materieller Niedergang fingen etwa 100 Jahre früher an und ließen Benediktinerklöster wie Bursfelde (heute Landkreis Göttingen) über Rückbesinnung auf die Ideale des monastischen Lebens nachdenken – und handeln. Im Jahr 1500 zählte die Bursfelder Kongregation 79 Mitgliedsklöster. Das Kloster Alpirsbach hatte 1482 als erstes schwäbisches Kloster deren Ansichten übernommen.   Auswirkungen vor Ort: Dieser Aufbruch hat sich schließlich baulich niedergeschlagen. In Alpirsbach – und in Gößlingen. Eine Vermutung von Thomas Bischof, die er belegen kann. Die Gößlinger Kirche wird spätgotisch umgestaltet; diese Arbeiten finden 1518 ihren Abschluss, wie der Schlussstein im Chor beweist. Möglicher Beginn war um 1490. Eine der drei Glocken trägt diese Jahreszahl. Die Sulzer Kapelle in der Klosterkirche wurde Anfang des 16. Jahrhunderts erbaut; die Farben blau, gelb und rot in dieser Kapelle bestimmen ebenfalls das Bild in Gößlingen, im Kreuzrippengewölbe.   Schmuckstücke: Am Vorabend der Säkularisierung von Kloster Alpirsbach wurde viel Geld in Gößlingen investiert. Und etliche Preziosen schmücken St. Peter und Paul noch heute. Schmuckstücke, die den regelmäßigen Kirchgänger Thomas Bischof Fragen an "sein" Gotteshaus stellen lässt. Ein bemerkenswertes Sakramentskästle, hochwertig ausgestaltet. Ein viel zu großes Kreuz für so eine kleine Dorfkirche. Das bis 1949 über dem Beichtstuhl hing. War das Kreuz eine Stiftung der Patronatsherrn? Oder kam es als "Zweitverwertung" in die Kirche? Ein hochwertiger Petrus. Die bekannte Schutzmantelmadonna. Alles oder einiges im "annus horribilis" 1534 vom Abt aus Alpirsbach nach Gößlingen in Sicherheit gebracht?   Zugemauertes Fenster: Ein weiteres Faszinosum. Kaum gotisch umgestaltet, scheint ein relativ großes Fenster im Chor zugemauert zu sein (an der Wand steht jetzt das Sakramentskästle). Die Feuchtigkeit in der Kirche lässt die Umrisse in Laufe der vergangenen fünf Jahre erkennen. Die Fensterlaibung auf der anderen Seite korrespondiert mit diesen Umrissen.   Großes Tor: Statt eines Fensters in der Wand bei der Schutzmantelmadonna war einst ein großes Tor, ein großer repräsentativer Eingang. Er ermöglichte wahrscheinlich den Einzug mit Fahnen und dem großen Kreuz, ohne sich bücken zu müssen.   Antworten: Thomas Bischof hat sich sehr mit St. Peter und Paul beschäftigt. Im Jubiläumsjahr besteht Gelegenheit, auf Fragen Antworten zu bekommen. Winfried Hecht, Rottweils Stadtarchivar i. R., kommt am Dienstag, 15. Mai, nach Gößlingen und legt bei seinem Vortrag in der Kirche den Schwerpunkt auf die historische Gesamtsituation.   1939: In diesem Jahr begann eine weitere Umgestaltung der Kirche, die nach dem Zweiten Weltkrieg 1949 vollendet wurde. In jener Zeit war das Vereinfachen modern. Viele Kirchen wurden weiß getüncht. Verantwortliche und federführend Beteiligte bei den Bauarbeiten blieben nicht anonym. Einstens, 1518, sind im Kreuzrippengewölbe Schlusssteine mit Wappen zu sehen, so des damaligen Alpirsbacher Abts Alexius Karrenfurer; später, 1949, Wappen von Papst, Bischof und Kloster sowie Hinweis auf den Meister.   Jubiläumsjahr: Der Vortrag von Winfried Hecht ist kein Solitär im Jubiläumsjahr. Am Samstag, 21. April, gibt der Musikverein Gößlingen ein Konzert im Gotteshaus. Das Patrozinium (29. Juni) wird am Sonntag, 1. Juli, mit einem festlichen Gottesdienst gefeiert. Und dann schwebt Thomas Bischof noch eine besondere Sache vor. Warum keinen Fußmarsch oder eine Radtour von Gößlingen über Oberndorf ins Kloster Alpirsbach? Genau die etwa 30 Kilometer zurücklegen, wie es vor 500 Jahren üblich war?   Alltag: Der Alltag ist oft anstrengend und herausfordernd – auch und gerade 2018. Für die Kirchengemeinde Gößlingen heißt dies, sich demnächst intensiver mit der Elektrik in der Kirche, der Friedhofsmauer und den Sturmschäden zu beschäftigen. Ora et labora, wie bei den Benediktinern, ist zu keiner Zeit verkehrt.