Dietingen - Zu einer denkwürdigen Gemeinderatssitzung entwickelt sich die Aussprache des Dietinger Gemeinderats mit Bürgermeister Frank Scholz zu dessen "Märchen aus 7866 und einer Nacht".

Kurzer Rückblick: In den "Dietinger Nachrichten", dem Amtsblatt der Gemeinde, erschien in der letzten Nummer des Jahres 2014 der Jahresbericht der Gemeinde, von Bürgermeister Frank Scholz verfasst. Darin kommt besagtes Märchen vor. Ein literarisches Format, mit dem man laut Scholz eine Botschaft, gepaart mit einem gewissen Augenzwinkern, verpacken könne. Konkret die Planungen des neuen Kindergartens, die das Jahr über in der Gemeinde großes Thema waren.

Doch dieses Augenzwinkern und die Botschaft kamen bei Bürgern nicht gut an. Sie warfen dem Bürgermeister Verunglimpfung des ehrenamtlichen Engagements vor. Und machten ihrem Unmut Luft. Auch Gemeinderäte, sechs Stück, Ferdinand von Bissingen, Bettina Baur, Bernd Kirholzer, Martin Bantle, Klaus Häsler und Klaus Weisser, fanden diese Veröffentlichung in einem amtlichen Organ, die Art der Veröffentlichung und den Zeitpunkt, kurz vor Weihnachten, inakzeptabel.

Vor allem auch, weil im Herbst mit der Planung des Kindergartenbaus auf der Rathausstraße eine Lösung gefunden wurde, die allseits akzeptiert wurde. Kurz: Sie beantragten nach Paragraph 34 der Gemeindeordnung, eine Sitzung des Gemeinderats einzuberufen, um sich mit dem Bürgermeister über das "Märchen" auszusprechen. Dies geschah nun am Montagabend.

Bettina Baur sagt, dass sehr viele wie sie entsetzt über das »Märchen« gewesen seien. So sei wieder Unruhe ins Dorf gekommen. Und ihr sei gesagt worden, dass sich manche nicht mehr trauen mit anderen zu sprechen, weil sie nicht wüssten, auf welcher Seite der andere stehen würde.

Etwa 70 Bürger und Angestellte der Gemeinde füllen das Ratszimmer. Der Bürgermeister verliest eine Erklärung. Seine Botschaft: "Das Thema des Märchens war Desinformation, und der Grund, es zu verfassen, war Verantwortung für die Gemeinde und ihre Bürgerschaft." Er bezieht sich vor allem auf "einige Mißtöne und unterschiedliche Informationen besonders am Jahresanfang" im Zusammenhang mit einer Interimslösung für die Auslagerung des Kindergartenbetriebs.

Nebenbei: In seinen Beiträgen im Amtsblatt im Dezember 2013 hat der Bürgermeister selber für die Auslagerung des Kindergartenbetriebs in die Zehntscheuer Argumente gesammelt und als Lösung bezeichnet.

Doch zurück zu Scholz’ Erklärung. Er sagt: "Die Vorgänge waren aus Verantwortung für unsere Gemeinde zu thematisieren, um auf diese Weise einerseits zu dokumentieren, dass diese Desinformation wahrgenommen wurde, und andererseits mit dem Fazit darauf hinzuwirken, dass wir in einem guten Miteinander und Austausch die besten Lösungen für unsere Gemeinde erreichen können."

Er beschreibt, dass er auf dieses "Märchen" zahlreiche, durchweg positive Rückmeldungen erhalten habe. 80 Prozent von ihnen hätten das "Augenzwinkern" verstanden.

Er sagt aber auch, dass jeder, der mit geschriebenen Texten umgehe, wisse, dass diese sehr unterschiedlich aufgenommen werden könnten. Deshalb könne er verstehen, dass es auf diesen Text nicht nur positive Reaktionen geben könne. Und er betont, dass es ihm nicht um ehrenamtliches Engagement im Allgemeinen oder die Herabwürdigung bestimmter Personen gegangen sei. Diese Gefahr hätte er eher dann gesehen, "wenn stattdessen die Aufarbeitung verschiedener Irrtümer, falscher Fakten und Annahmen im Zusammenhang mit der Zehntscheuer und dem Schulgebäude vorgenommen" worden wäre.

Er teilt weiter mit, dass ein Austausch am 25. Februar im gemeinsamen Bauausschuss von Kirchengemeinde und Gemeinde vorgesehen gewesen sei. Doch dieser sei nicht zustande gekommen, "weil die beiden Personen, mit denen man sich bei diesem Austausch auseinandersetzen wollte, kurz vor dieser Bauausschusssitzung ihre ehrenamtlichen Ämter aufgaben".

Nebenbei: Ein Angebot dieser Bürger, mit dem Bürgermeister zu sprechen, hat dieser bis in den Mai hinein, als ein Bericht in der Zeitung erschien ("Sie haben wieder mehr Lebensqualität gewonnen" am 21. Mai, ein Gespräch mit Roland Ober und Helmar Maier), nicht wahrgenommen.

Scholz will kein Märchen mehr schreiben

Scholz regt an, in der nächsten Bauausschuss-Sitzung den Austausch nachzuholen. Er sagt auch, dass er es bedauere, wenn er, der Bürgermeister, durch die Verwendung des literarischen Mittels eines Märchens jemanden verletzt hätte. Er werde auf jeden Fall kein Märchen mehr schreiben.

Ferdinand von Bissingen erwähnt Beweggründe, die für eine Aussprache über das "Märchen" im Gemeinderat gesprochen haben. Er und etliche seiner Gemeinderatskollegen machen sich neben den bereits erwähnten Punkten (amtliches Organ, Darstellungsform, Zeitpunkt der Veröffentlichung, also mangelndes Feingefühl) Sorgen um die Auswirkungen auf die Arbeit im Gremium. Er erinnert sich, dass der Bürgermeister noch bei der jüngsten Bauausschusssitzung "lächelnd und kopfnickend" dem Pfarrer zugestimmt hätte, der nach der Rathausstraßen-Lösung seine Vorfreude auf ein friedvolles Weihnachten ausgesprochen habe.

Er, von Bissingen, frage sich, ob der Bürgermeister eine demokratische Entscheidung in Frage stelle, warum der Bürgermeister Konflikte mit Dritten über das Amtsblatt ausfechte und nachkarte, und warum der Bürgermeister nicht seine Auseinandersetzung mit seinem Amtsvorgänger, Ehrenbürger Hubert Burkard, und Mitgliedern der "Freunde der Zehntscheuer" im direkten Gespräch austrage.

Ferdinand von Bissingen weist darauf hin, dass es genügend Sachthemen im Gemeinderat zu bearbeiten gebe. Er erinnert nur an den noch nicht beschlossenen Haushaltsplan für 2015. Und er findet es bedauerlich, dass sich das Gremium "seit einem halben Jahr mit Emotionalien beschäftigen" müsse. "Wir wollen schauen, dass dies nicht mehr passiert."

Zum "Märchen": Stimmen aus dem Gemeinderat

Bettina Baur: Die Dietinger Ortsvorsteherin betont, dass die kritischen Aussagen über Bürgermeister Scholz im Zeitungsbericht am 24. Dezember von ihr stammen. Und sie fragt sich, ob man ihr keine eigene Meinung zutraue?

Gerhard Schneider: Der Erste-Bürgermeister-Stellvertreter hat dieses »›Märchen‹ »nüchtern, sachlich und mit Distanz« gelesen. Und er fragt sich, warum jetzt »das Getöse so groß« sei. Schließlich habe ein Jahresrückblick Anspruch auf Vollständigkeit. Außerdem, so fährt er fort, habe es das vergangenen Jahr »Breitseiten in beleidigender Form gegen den Bürgermeister von der Presse« Monat für Monat gegeben. Schneider unterstellt dem einen Berichterstatter Käuflichkeit (»Für einen Wurstsalat schreibt er jede Meinung«) und sieht es als »unverschämt« an, was der andere am 24. Dezember verfasst hat. (Zwischenruf aus dem Publikum: »Pressefreiheit!«) »Von wegen Pressefreiheit«, so Schneider, es werde »geschürt und gestichelt.«

Jürgen Würtenberger war »gottfroh«, als die allseits akzeptierte Lösung bei der Kindergartenplanung auf der Rathausstraße beschlossen worden sei. Und dann sei das »Märchen« im Jahresbericht gekommen. Sein Fazit: Es wäre besser gewesen, darüberzustehen.

Hildegard Flaig findet, der Bericht im Amtsblatt habe nur Schaden angerichtet und zur Aufklärung nichts beigetragen. Sie hätte sich mehr Sachlichkeit gewünscht.

Bettina Baur sagt, dass sehr viele wie sie entsetzt über das »Märchen« gewesen seien. So sei wieder Unruhe ins Dorf gekommen. Und ihr sei gesagt worden, dass sich manche nicht mehr trauen mit anderen zu sprechen, weil sie nicht wüssten, auf welcher Seite der andere stehen würde.

Bernd Kirholzer erklärt Scholz und Schneider das Wesen eines Märchens. Dieses sei »nie nüchtern und sachlich«. Mit einem Märchen werde versucht, »emotional« eine Botschaft zu transportieren (Scholz: »Das sehe ich heute auch so«).

Martin Bantle findet, dass ein Rückschritt im Verhältnis untereinander entstanden sei. Im November seien »wir viel weiter gewesen«. Er nimmt den Bürgermeister in die Pflicht: »Sie sind in der Verantwortung, dass das bald aufhört.«

Siegfried Seemann findet, dass man das Problem ansprechen müsse. Warum, so fragt er sich, nicht im Amtsblatt?

Gerhard Schneider offenbart seine Nöte. »Es wird Zeit, dass man im Gemeinderat seine Meinung sagen darf. Die Seitenhiebe in der Zeitung müssen aufhören.« Er sei sich mit dem Bürgermeister einig, dass es höchste Zeit gewesen sei, dass dies auf den Tisch gekommen sei.

Klemens Schmid hat es nicht einfach. Einerseits sei er »nicht ganz glücklich mit diesem Jahresabschluss«, andererseits erinnert er an die »recht massiven Einwirkungen von außen«, so gegen den Ortschaftsrat im Winter und Frühjahr des vergangenen Jahres. Entscheidungen des Ortschaftsrats habe man schließlich auch zu akzeptieren. Die Äußerungen des Bürgermeisters müsse man »im ganzen Konstrukt« sehen. Sein, Schmids, Wunsch sei, dass die Unstimmigkeiten »mit dem heutigen Abend zu Ende« seien.

Klaus Häsler spricht ebenso wie Bettina Baur die zwei Lager in der Gemeinde an. Es gehe auch um ein Stück Menschlichkeit. Schließlich bringen sich verdiente Bürger in ihrer Freizeit ein und versuchen, Bestmöglichstes für die Gemeinde zu erreichen. Das »Märchen« sei »einmalig im Kreis, wahrscheinlich sogar im Land«. Jetzt sei der Bürgermeister gefordert, diese Unstimmigkeiten zu beseitigen. Dies könne der Gemeinderat nicht. Der Irslinger Ortsvorsteher spricht von einer unnötigen und belastenden Sitzung am Montagabend. Und energisch Richtung Scholz mit Blick auf die gesamte Situation: Solche Dinge seien zu unterlassen.

Alexander Ettwein findet, dass »das ›Märchen‹ keine Werbung« für die Gemeinde gewesen sei. Man solle wegkommen von persönlichen Befindlichkeiten und die Sache in den Mittelpunkt stellen. Wie im Fußball nach einem Gegentor heiße es jetzt: »Mund abwischen. Weiter geht’s!« Das Schlusswort bleibt Frank Scholz vorbehalten. Er will die Sache in den Vordergrund stellen. Er wolle in Zukunft »noch klarer ansprechen, an welchen Themen wir arbeiten«. Doch er bleibt seiner Linie treu. Er sieht das Problem auch dadurch, dass »zum Teil gewisse Zurückhaltung Personen gegenüber geübt« worden sei.

Kommentar: Keine Märchen

Andreas Pfannes

Es war einmal eine Gemeinde... Nein, Hier soll kein Märchen erzählt werden, hier wurde noch nie ein Märchen erzählt. Hier wird berichtet, was war, was ist. Hier werden Ereignisse eingeordnet. Hier wird kommentiert.

Hier ist nicht die Gemeinde Dietingen. Hier besteht nicht Gelegenheit, unkommentiert sagenhafte Sichtweisen zu veröffentlichen, wie es der Bürgermeister in amtlichen Organen gemacht hat. Hier besteht auch nicht die Möglichkeit, unkommentiert die krude Gedankenwelt wie die des Ersten-Bürgermeister-Stellvertreters wiederzugeben.

Hier wird berichtet und kommentiert, wie es in einem demokratischen Staatswesen mit freier Presse vorgesehen ist. Hier ist nicht das Amtszimmer des Bürgermeisters, in dem offenbar ein anderer Wind weht und Ideen regieren, die mit einer modernen Bürgergesellschaft so gar nichts zu tun haben.