Gisela Lünz fühlt sich von den Behörden ignoriert und nicht ernst genommen. Fotos: Cools Foto: Schwarzwälder Bote

Schicksal: Gisela Lünz bekommt keinen Parkausweis für Behinderte / "Das ist ein Fehler im System"

Tennis, Yoga, Curling – Gisela Lünz war bis ins hohe Alter sportlich. Seit einer missglückten Operation vor drei Jahren ist der Schmerz ihr täglicher Begleiter. Dass sie nun nicht einmal einen Parkausweis für Behinderte bekommt, ist für die 87-Jährige ein Schlag ins Gesicht.

Dietingen. Bei jedem Schritt steht Gisela Lünz der Schmerz ins Gesicht geschrieben. Sie bewegt sich humpelnd durch ihre Wohnung, muss sich an den Möbeln abstützen, um aufrecht zu bleiben. "Wenn ich meine Nachbarn drei Häuser weiter besuche, muss ich das Auto nehmen", erzählt sie. Zu groß sind die Schmerzen.

Am Faktor Fitness kann es nicht liegen. Die 87-jährige Dietingerin war stets sportlich, machte bis zum 83. Lebensjahr noch Yoga. Zeitweise war sie professionelle Tänzerin und Stepperin in Stuttgart. Im Sommer spielte sie Tennis, im Winter Curling. Damit gewann sie mit ihrem Team sogar dreimal die Deutsche Meisterschaft. "Wenn ich etwas mache, dann mit ganzem Herzen", sagt sie dazu traurig lächelnd.

Daran ist heute nicht mehr zu denken. Sie versucht immer noch, sich durch Gymnastik fit zu halten, doch vieles geht durch die Schmerzen im Rücken nicht mehr. Wenn sie sich draußen bewegt, hilft ihr ein Stock, damit sie nicht umfällt.

Ihre Leidensgeschichte begann mit einer Operation aufgrund einer spinalen Stenose, also einer Einengung des Wirbelkanals. Diese verlief gut und Lünz war in der Reha, als eine Frau in ihrer Nähe stürzte. "Ich bin geistesgegenwärtig zu ihr gegangen und habe ihr aufgeholfen. Dann hat es im Rücken geknackst", erinnert sich die Dietingerin.

Diagnose: Wirbelbruch. "Nach der Operation, um diesen zu beheben, konnte ich nicht mehr richtig gehen." Ein Neurologe habe ihr gesagt, gegen den chronischen Schmerz könne man nichts mehr tun. Die Operation hatte wohl eine dauerhafte Nervenschädigung nach sich gezogen.

Seitdem lebt Gisela Lünz täglich mit dem Schmerz. Die Tabletten verschaffen ihr nur manchmal Erleichterung. Ohne Morphium könne sie nicht einschlafen.

Wegen der offenbar verpatzten Operation wolle sie kein Aufhebens machen, wohl aber aufgrund der Tatsache, dass sie keinen Parkausweis für Behinderte bekommt. Erstmals beantragte sie diesen im Juli 2015. Im Januar darauf erhielt sie ihren Behindertenausweis, mit dem sie ihr Auto zwei Jahre lang im In- und Ausland auf Behindertenparkplätzen abstellte – im festen Glauben, im Recht zu sein.

Was ist eine außergewöhnliche Gehbehinderung?

Eines Tages bekam sie jedoch einen Strafzettel in Rottweil. Auf Nachfrage wurde ihr erklärt, dass sie mit ihrem sogenannten G-Schein nicht dort parken darf, sondern lediglich mit einem besonderen blauen Parkausweis, der sie als "aG" (außergewöhnlich gehbehindert) ausweist.

Lünz beantragte daraufhin im März 2018 die Prüfung ihres Antrags. Zwei Monate später wurde er abgelehnt. Um als außergewöhnlich behindert zu gelten, benötigt man laut Formular einen Grad der Behinderung von mindestens 80, bei dem sich die Person "wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen" kann. Dazu zählen laut Vorschriften vor allem Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind.

Bei Gisela Lünz diagnostizierte der Arzt unter anderem eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen, Osteoporose (Knochenschwund), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und ein chronisches Schmerzsyndrom. Ihr Grad der Behinderung liegt dennoch nur bei 50.

Zwar sei Lünz in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, jedoch heißt es im Gutachten des Arztes, dass "keine wesentliche Verschlechterung" festgestellt werden kann, die Gehfähigkeit also "nicht auf das Schwerste eingeschränkt" sei.

Lünz legte Widerspruch dagegen ein. Sie ist "maßlos enttäuscht". "Das ist eine regelrechte Ignoranz von Schwerbehinderten, ein Fehler im System", moniert die 87-Jährige. Sie sei jederzeit bereit, sich noch einmal untersuchen zu lassen. "Ich klappe beinahe zusammen, wenn ich mehr als ein paar Schritte gehen muss, habe eine Blockade im Bein", sagt die Dietingerin verzweifelt. Im August bekam sie Nachricht, dass ihr Widerspruch nun an das Regierungspräsidium Stuttgart weitergeleitet wurde. Der 87-Jährigen geht es ums Prinzip. Vielen gehe es bestimmt genauso wie ihr, nur hätten die schon längst aufgegeben. Doch sie will hartnäckig bleiben. "Ich hatte so viel Glück im Leben – bis jetzt."

2017 wurden beim Landratsamt in Rottweil laut Martina Bitzer vom Landratsamt Rottweil 66 neue Parkausweise für schwerbehinderte Menschen ausgestellt.

  G-Schein: Das G im Schwerbehindertenausweis erhalten Personen mit erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr, beziehungsweise mit der Geh- und/oder Stehbehinderung. Das ist der Fall, wenn eine Strecke von zwei Kilometern nicht gefahrlos zu Fuß zurückgelegt werden kann. Der Grad der Behinderung muss für dieses Merkmal mindestens 50 betragen.

  Blauer Sonderparkausweis: Diesen erhält man mit dem Merkzeichen aG (außergewöhnlich behindert) oder Bl (blind). Der blaue Sonderparkausweis erlaubt in der Regel unter anderem, auf den sogenannten Behindertenparkplätzen zu parken und bis zu drei Stunden dort zu parken, wo eingeschränktes Halteverbot ist, oder wo Bewohnerparkplätze sind. Auf Privatgelände können abweichende Regelungen gelten.

  Orangener Ausweis: Dieser stellt eine Ausnahmegenehmigung dar. Er wird unter anderem schwerbehinderten Menschen mit den Merkzeichen G und B ausgestellt, die einen Grad der Behinderung von mindestens 80 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen und der Lendenwirbelsäule haben. Er berechtigt zwar nicht zum Parken auf Behindertenparkplätzen, bietet jedoch Erleichterungen, wie etwa das Parken im eingeschränkten Halteverbot für drei Stunden.

Weitere Informationen: www.vdk.de/deutschland/pages/teilhabe_und_behinderung/9229/behindertenparkplaetze