Landarzt: Ärzteteam aus Epfendorf übernimmt ab Juli Praxis von Jochen Scherler / Irritation über eine Aussage des Bürgermeisters
Dietingen. Die Bemühungen von Jochen Scherler hatten Erfolg: Die Arztpraxis in Dietingen ist gerettet. Sie wird im Juli von einem Ärzteteam übernommen. Eine Unterstützung durch die Gemeinde fand nicht statt.
Der Arzt sitzt hinter seinem Schreibtisch. Ohne viel Aufhebens berichtet er über seine ärztliche Laufbahn, von den vielen Stätten seines Wirkens, seinen sozialen Diensten in Armenvierteln dieser Welt, von Suchtabteilungen, der Chirugiezeit in Berlin und seiner Freude, fast 26 Jahre als Facharzt für Allgemeinmedizin die Patienten in Dietingen behandeln zu dürfen.
Zwölf Stunden verbrachte er pro Arbeitstag in seiner Praxis, auf Hausbesuchen, in den Altenheimen der Umgebung und in der Spittelmühle in Rottweil. 2000 Patientenkontakte in einem Monate. Aber er möchte keinen Tag missen.
Dankbar blickt er auf die schönen Beziehungen zurück, die er mit Patienten aufbauen konnte, und auf die vielen Gespräche, die weit über die Krankengeschichte hinausgereicht hätten. Jochen Scherler fällt der Abschied schwer.
Aber ein endgültiger soll es nach der Übernahme durch die Gemeinschaftspraxis Oliver Haas und Daniela Traunbauer-Lueg aus Epfendorf auch nicht werden.
Mit 63 Jahren, also vor fünf Jahren, dachte Scherler erstmals ans Aufhören. Er fand eine Ärztin, die nach Abschluss ihrer Weiterbildung die Praxis übernehmen wollte. Auch ihr Mann stand vorübergehend zur Disposition. Die Verhandlungen standen kurz vor dem Abschluss, berichtet Scherler, dann wurde sie schwanger.
Wieder habe er sich gekümmert und annonciert, stets mit dem Versprechen: "Ich werde so lange in Dietingen bleiben, bis ich einen Nachfolger gefunden habe. Ich lasse die Dietinger nicht im Stich." Aber auch der nächste Anlauf, eine Kooperation mit einem Rottweiler Arzt, schlug fehl.
Mit ihm habe er über einen Hauptsitz in Rottweil nachgedacht und einer Zweigstelle mit angestellten Ärzten in Dietingen, um den Grundbetrieb im Ort gewährleisten zu können.
Doch der Arzt zog sich aus den Verhandlungen zurück. Er habe befürchtet, so Scherler, dass angestellte Ärzte, sich nicht mit demselben Eifer um die Patienten kümmern wie ein eigenverantwortlicher Arzt.
Bedauerlich insofern, da auch Rottweil absehbar vor ein Ärzteproblem gestellt werde. In den kommenden ein bis zwei Jahren würden voraussichtlich sechs Praxen in Rottweil geschlossen. Ein weiterer Tiefschlag für Scherler, dem er aber sofort Taten folgen ließ.
Er verfasste ein Schreiben an Dietingens Bürgermeister Frank Scholz, mit der Bitte an den Gemeinderat, die Suche nach einem Nachfolger zum Wohle der Dietinger Bürger zu unterstützen. Das war vor vier Wochen. Bis heute wurde das Schreiben aber im Gemeinderat nicht verlesen, bestätigte Irslingens Ortsvorsteher Klaus Häsler.
Auch treffe die Aussage von Scholz aus der jüngsten Gemeinderatssitzung nicht zu. Albert Scheible wollte in der Bürgerfragstunde wissen, was Scholz unterstützend unternehme, damit die ärztliche Praxis in Dietingen weiter bestehen könne. Scholz antwortete, er stehe in Kontakt mit Doktor Scherler, dürfe über die Gespräche aber nicht berichten. Scherler zeigte sich erbost. Das entspreche nicht der Wahrheit. Das letzte Gespräch zwischen ihm und Scholz liege sechs Jahre zurück.
Allerdings sind Gespräche auch nicht mehr notwendig. Die Nachfolge ist inzwischen geregelt. Es war nur ein Versuch, sagte Scherler, mit dem er aber einen Volltreffer landete.
"Der Anruf kam wie vom Himmel, und ich habe sofort zugesagt", freut sich Daniela Traunbauer-Lueg aus der Gemeinschaftspraxis in Epfendorf. Es sei ihr eine Herzensangelegenheit, die Versorgung auf dem Land sicherzustellen und eine Herausfor-derung mit neuen Ein-drücken.
Das Gebiet zwischen der Gemeinschaftspraxis in Epfendorf und Dietingen überlappe sich und werde nun von beiden Seiten aus in Kooperation betreut, erläutert Scherler. Freilich stehe sie auch weiter für die Patienten aus Rottweil offen. Der Vertrag sei bereits unterschrieben. Die Praxis werde Anfang Juli übernommen.
Ihr nun vollständig den Rücken zu kehren, kommt für Scherler aber nicht in Frage. Auf Honorarbasis werde er blockweise in der Praxis arbeiten und seine Erfahrung gerne weiter geben.