Die nächste Generation mischt längst bei Ritter Sport mit. Alfred Ritter (Mitte) mit seinem Neffen Tim Hoppe (links) und seinem Sohn Moritz Ritter. Foto: stefanie schlecht/Stefanie Schlecht

Alfred Ritter – der Firmenlenker mit dem Ruf eines Ökopioniers – hat das Thema Nachhaltigkeit in die DNA von Ritter Sport geschrieben. Zusammen mit seiner Familie geht er aber auch harte Kompromisse ein. Ein Porträt aus unserer Serie „Unternehmerdynastien im Land“.

Man könnte fast meinen, von Eigenwerbung verstehe man bei Ritter Sport nicht viel. Aushängeschilder, mit denen andere Unternehmer protzen würden, wurden bei dem Schokoladenhersteller aus Waldenbuch lange nicht zur Imagepflege ins Schaufenster gestellt. Sozial- und umweltverträglicher Kakaoanbau ohne Kinderarbeit? Regenerative Energien? Alles Dinge, für die sich die Familie engagiert, aber nichts, womit man nach Ansicht von Alfred Ritter Werbung machen sollte. „Bei uns war Nachhaltigkeit nie ein Marketingthema“, sagt der Enkel des Firmengründers.

 

Dabei hat der 70-Jährige selbst einen Ruf als Ökopionier. Ende der 1980er gründet Alfred Ritter unter dem Eindruck der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl eine Firma für regenerative Energien. 1990 beteiligt er sich an der Finanzierung des Hotzenblitz, eines E-Autos aus dem Südschwarzwald. Etwa zur gleichen Zeit gründet Ritter Sport in Nicaragua ein Entwicklungsprojekt für nachhaltigen Kakaoanbau mit fairen Preisen. Dafür reiste Ritters Schwester Marli Hoppe-Ritter persönlich in das Land. Seit 2002 produziert Ritter Sport Schokolade mit Ökostrom – seit 2020 ist das Unternehmen klimaneutral, bis 2025 sollen es auch die Lieferanten sein.

Alfred Ritter beschreibt das Engagement eher als Selbstverständlichkeit. „Wir wollen nicht nachhaltig sein auf Teufel komm raus, sondern wir wollen uns in dieser Welt so gut benehmen, wie wir uns benehmen können“, sagt Alfred Ritter. „Das Langfristziel ist die beste Schokolade der Welt. Daran arbeiten wir, und daraus ergibt sich fast alles.“ So sieht das auch sein Sohn, Moritz Ritter, der zusammen mit Cousin Tim Hoppe immer mehr Verantwortung übernimmt: „Wenn ich gute Schokolade haben will, brauche ich gute Rohstoffe.“ Ein gutes Projekt sei so pur wie möglich, stamme aus einer intakten Umwelt von Menschen, die daran Spaß hätten. „Das ist so schlüssig, insofern fällt es mir schwer, das grundsätzlich infrage zu stellen.“

Die vierte Generation übernimmt langsam

Moritz Ritter (Jahrgang 1978) hat vor zwei Jahren die Leitung der Familienholding R2 übernommen, sein Cousin Tim Hoppe (Jahrgang 1979) stieß ein Jahr später zur Führungsetage hinzu. Beide sitzen inzwischen im mächtigen Be irat des Schokoladenherstellers, dessen Vorsitz Alfred Ritter hat, nachdem er die Firmenführung 2015 an Andreas Ronken abgegeben hat. Ein kompletter Rückzug der Familie? Nicht vorgesehen. „Die Firma war immer ein Familienmitglied, da kann man sich nicht zurückz iehen“, formuliert es Alfred Ritter.

Die beiden fanden wie Alfred Ritter selbst auf Umwegen zur eigenen Firma. Moritz Ritter arbeitete als Informatiker beim Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung in Karlsruhe, als ihn sein Vater 2015 bat, die Geschäftsführung bei Ritter Energie und Umwelttechnik zu übernehmen.

Tim Hoppe, einer von zwei Söhnen von Marli Hoppe-Ritter, studierte BWL und stieg schon früher ein. 2011 fragte ihn sein Onkel, ob er eine Plantage in Nicaragua mit aufbauen könne. Nachdem das Unternehmen bereits jahrzehntelang Kleinbauern über sein Projekt Cacaonica unterstützt hatte, wollte Ritter selbst Kakao anbauen. „Die Frage ist: Wo können wir mit unserem Handeln den größten Einfluss ausüben?“, sagt Hoppe, der bis heute Geschäftsführer des Agrarbereichs ist, der sich um den Kakaoanbau kümmert. „Als Schokoladenhersteller liegt unsere Priorität auf jeden Fall beim Kakao.“ Irgendwann soll die Plantage 20 bis 25 Prozent des eigenen Bedarfs decken. Mehr als die Hälfte seines Kakaos bezieht Ritter Sport aus Westafrika – auch der ist zertifiziert nachhaltig.

Die Verantwortung für die nicaraguanischen Bauern führte bei Ritter 2022 allerdings auch zu einer Entscheidung, die nicht nur in sozialen Medien einen Shitstorm einbrachte. Im Gegensatz zu anderen Firmen verabschiedete sich Ritter Sport nach dem Angriff auf die Ukraine nicht vom russischen Markt – nach Deutschland der wichtigste für die Firma. „Von den Plänen des Herrn Putin sollte ein nicaraguanischer Bauer nicht unbedingt abhängig sein“, ist Alfred Ritter auch heute noch überzeugt und wählte einen eigenen Weg: Die Firma investiert nicht mehr in Russland, Gewinne aus dem Geschäft werden für die Ukraine gespendet.

Harte Suche nach Kompromissen

Auch anderweitig sucht Ritter den Kompromiss zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit. Von Bio verabschiedete man sich mangels Nachfrage wieder. Palmöl hat der Schokohersteller nicht komplett aus seinen Produkten verbannt, sondern eine nachhaltige Lösung gesucht. Und die Schokolade ist – auch nach Tests mit Papierverpackung – immer noch in Folie verpackt. Für die gebe es grundsätzlich hervorragende Recyclingprozesse, sagt Alfred Ritter. In der Regel landet die Schokoladenfolie aber nicht dort, wo sie recycelt werden kann. „Deshalb müssen wir auch da noch Schritte weitergehen.“

Die Firma sei keine reine Geldanlage für die Familie, sagt Moritz Ritter. „Aber wir verstehen uns trotzdem als Unternehmer. Das ist kein philanthropisches Projekt.“ Was die Familie verbinde, sei die Liebe zur Schokolade, sagt Moritz Ritter. „Im Mittelpunkt steht der Genuss.“ Wenn dieser Anspruch nicht mehr erfüllt werde, habe die Familie mit ihrem Handeln keine Wirkung mehr. „Dann sind wir aus dem Spiel draußen.“ Deshalb dürfe man das Thema Nachhaltigkeit nicht überreizen. „Wir versuchen so viel wie möglich zu tun, aber wir sind uns auch der wirtschaftlichen und der Marktmechanismen sehr bewusst.“

Die Firmengründer

Pragmatisch
1912 gründeten Clara und Alfred Eugen Ritter in Stuttgart-Bad Cannstatt eine Schokoladenfabrik. Die erste Schokoladenmarke hieß Alrika. 1930 zog das Unternehmen nach Waldenbuch um. 1932 erfand Clara die Marke Ritter Sport. Die quadratischen Tafeln sollten in die Jackentaschen von Fußballspielern passen.

Politisch
Da Alfred Eugen Ritter nicht bereit war, der NSDAP beizutreten, erhielt die Firma in den 1930er Jahren keine Zuteilung mehr für Kakao und stellte notgedrungen auf Nicht-Kakao-Produkte um. Nach Kriegsausbruch musste 1940 die Produktion stillgelegt werden. Andere Firmen besetzten die Fabrikgebäude. Im Zuge der Entnazifizierung durch die Alliierten wurde Alfred Eugen Ritter von den amerikanischen Besatzern zum stellvertretenden Bürgermeister in Waldenbuch ernannt. Erst 1950 nahm das Unternehmen seine Schokoladenproduktion wieder auf.