Viele Menschen glauben, frei von Vorurteilen zu sein. So einfach ist das aber nicht. Ein Psychologe erklärt, welche Prozesse und Mechanismen dem voreingenommenen Denken zugrunde liegen – u nd was wir dagegen tun können.
Deutsche sind pünktlich, Professoren sind zerstreut – Menschen sind Meister im Schubladendenken. Im Bruchteil einer Sekunde bilden wir uns einen ersten Eindruck über einzelne Personen oder Gruppen. Im Alltag greifen wir also auf Stereotype zurück, um andere zu beurteilen.
Dabei fallen bestimmte Merkmale wie das Geschlecht, das Alter oder die Haut- und Haarfarbe besonders ins Gewicht. Dieser Mechanismus, der oft unbewusst abläuft, ergibt auch Sinn: Er dient dazu, die komplexe Welt zu vereinfachen – ohne alles immer wieder neu sortieren zu müssen.
Die Einteilung der Welt
Hans-Peter Erb, Professor für Sozialpsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, erforscht, wie Menschen ihr Gegenüber wahrnehmen und bewerten – und welche Rolle Stereotype und Vorurteile dabei spielen. Der Psychologe erklärt: „Wir fangen schon als Kinder damit an, Menschen in Gruppen zu unterteilen. Das Denken in Kategorien erleichtert es uns, Informationen einzuordnen und schnell Entscheidungen zu treffen. Könnten wir das nicht, wären wir völlig mit Informationen überladen.“
Wir alle brauchen demnach die Einteilung der Welt in unterschiedliche Kategorien, um uns darin besser orientieren zu können. Stereotype Vorstellungen sind also völlig normal, unabhängig von Bildung, Milieu oder Herkunft.
Von der Schublade zum Vorurteil
Problematisch wird das Schubladendenken jedoch, wenn es sich ungünstig auf die Gefühle und letztlich auch auf die Handlungen einer Person auswirkt. Die Wissenschaft spricht dann von Vorurteilen, wie Sozialpsychologe Erb erläutert: „Vorurteile sind sehr oft negativ, sodass man auf der Grundlage der Gruppenmitgliedschaft einer Person ein Urteil fällt, ohne dass man dabei berücksichtigt, was diese Person geleistet hat oder was deren individuelle Eigenschaften sind.“
Nach dieser Definition bilden Stereotype die kognitive Grundlage für Vorurteile, die wiederum mit einer Bewertung und einem Gefühl einhergehen – meist mit Ablehnung, erläutert Erb. Zudem beinhalten Vorurteile ein konkretes Verhalten: Menschen treffen auf dieser Grundlage unfaire Entscheidungen in Bezug auf Geschlecht, Alter oder die Herkunft der anderen Person. Für queere Menschen und People of Color sind Vorurteile oft auch mit Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalterfahrungen verbunden.
Wir suchen nach Bestätigung
Die Ursachen für die Entstehung von Vorurteilen sind vielfältig, weiß Erb. Sie werden vor allem gelernt und weitergegeben – sind also abhängig vom Elternhaus, vom sozialen Umfeld, von eigenen Erfahrungen und von der Gesellschaft, in der man lebt. Erb: „Wenn der eigene Vater über Flüchtlinge oder Frauen schimpft, dann bekommen die Kinder das mit und übernehmen diese Vorurteile.“
Sobald wir einmal bestimmte Vorstellungen entwickelt haben, fällt es uns schwer, sie wieder loszuwerden. Dies wird durch verschiedene Mechanismen begünstigt. So verarbeitet unser Gehirn nach Darstellung des Sozialpsychologen Erb Informationen auf eine Weise, die Stereotype unterstützt. Es sucht eher nach Dingen, die unsere Ansichten bestätigen, anstatt sie zu widerlegen – das nennt sich in der Psychologie positiver Hypothesentest.
Menschen, die nicht in unser Weltbild passen, ordnet das Gehirn außerdem oft in eine andere Kategorie ein. Der Psychologe Erb führt folgendes Beispiel an: Wir lernen den neuen Arbeitskollegen Ali aus der Türkei kennen. Wir verstehen uns sehr gut mit ihm, er entspricht aber unserem Vorurteil gegenüber Ausländern nicht. „Dann kommt es zu dem Phänomen, dass wir einzelne Exemplare, die dem Vorurteil nicht entsprechen, herausnehmen aus der Gruppe und eine Extrakategorie aufmachen“, erklärt Erb und fügt hinzu: „So kann man seine Vorurteile aufrechterhalten, selbst wenn man einzelne Personen trifft, die dem Vorurteil nicht entsprechen.“
Wir sind dem nicht ausgeliefert
Zudem können wir auch selbst dazu beitragen, unsere Vorhersagen über eine Person wahr werden zu lassen: „Geht man mit der Einstellung in ein Gespräch, dass das Gegenüber unfreundlich ist, wird man sich ihm gegenüber auch entsprechend verhalten“, erklärt Erb die Funktionsweise der selbsterfüllenden Prophezeiung. Diese ablehnende Haltung werde oft unbewusst von der Person gegenüber wahrgenommen, was wiederum ihr Verhalten auf negative Weise beeinflusse, so der Sozialpsychologe.
Doch auch wenn Vorurteile auf automatischen kognitiven Prozessen in unserem Gehirn beruhen – die gute Nachricht ist: Wir sind diesen mächtigen Mechanismen nicht hilflos ausgeliefert. Die Fragen lauten: Wie können wir uns unseres Schubladendenkens bewusst werden, uns selbst hinterfragen und unser Handeln nicht von Vorurteilen beeinflussen lassen? Als besonders hilfreich hat sich der Kontakt zu Individuen erwiesen, die wir anderen sozialen Gruppen zuordnen, weiß Erb: „Menschen, die beispielsweise glauben, Professorinnen und Professoren seien zerstreut, können dieses Vorurteil loswerden, indem sie ein Mitglied dieser Gruppe persönlich kennenlernen.“
Gemeinsame Ziele sind wichtig
Jedoch sei dieser Effekt von einer Reihe von Bedingungen abhängig. Ein guter Austausch, sagt Erb, funktioniere nur auf Augenhöhe – also zwischen sozial gleichgestellten Personen. Auch die Umgebung und Situation spielen hierbei eine große Rolle: Hilfreich sind freundliche und informelle Umgebungen, erklärt der Sozialpsychologe und ergänzt: „Am besten lassen sich Vorurteile ausräumen, wenn gemeinsame Ziele verfolgt werden.“ Hier brauchen sich die Teammitglieder gegenseitig und müssen zusammenhalten, um ihre Ziele auch zu erreichen.
Sich kritisch mit den eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen, komme einem letztendlich auch selbst zugute, sagt Erb – denn: „Wer Vorurteile hegt, trifft oft auch Fehlentscheidungen, die nicht nur die diskriminierten Personen schädigen. Der Schaden trifft auch die diskriminierende Person, die sich selbst der Möglichkeit beraubt, eine gute Entscheidung zu treffen.“