Ein Kino, das fast ohne Worte auskommt und ganz auf die Kraft präzise fotografierter Bilder vertraut: Ilyas Salman und Mariam Buturishvili in „Die Maisinsel“ Foto: Verleih

Atemberaubend spannend: Ein Drama von existenziellem Ausmaß an der Grenze zwischen Georgien und Abchasien. Die Frauwerdung ist der Höhepunkt einer nahezu wortlosen Auseinandersetzung der Generationen.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Die Maisinsel"

Die Hinterlassenschaft eines Vorgängers findet der alte Agba auf der kleinen Insel im Fluss. Nun hat er diese besetzt und arbeitet beharrlich daran, sie in ein Maisfeld zu verwandeln. Mit dem Ruderboot bringt er Werkzeuge und Bretter, allesamt angefressen vom Zahn der Zeit. Er errichtet eine Holzhütte, pflügt, sät. Archaisch wirken Säge und Senklot, und es ist unfassbar faszinierend anzuschauen, wie viel ein Mensch mit einfachsten Mitteln erreichen kann.

Die Faszination steckt in den präzise fotografierten Bildern des georgischen Regisseurs George Ovashvili. Scharf beobachtet er jedes Detail, lässt seine Zuschauer teilhaben auch an Verschnaufpausen und Mahlzeiten. Schon nach wenigen Einstellungen fühlt es sich an, als verrichte man selbst das Handwerk, das im Überfluss von Materialien, motorgetriebenen Werkzeugen und virtuellen Realitäten zusehends in Vergessenheit gerät. Wie eine umfassende Erdung wirken die in sich ruhenden, sorgfältig orchestrierten Betrachtungen Ovashvilis, der arbeitet wie sein Protagonist: mit einfachsten Mitteln und exakt auf den Punkt.

Die tägliche harte Arbeit ist freilich nur der Rahmen für ein Drama von existenziellem Ausmaß, atemberaubend spannend von der ersten bis zur letzten Minute. Denn so idyllisch die Insel wirkt, so wenig ist sie es.

Agbas Landnahme hat keine rechtliche Grundlage, und die Insel liegt im Enguri, dem Grenzfluss zwischen Georgien und dem abtrünnigen Abchasien im Norden. Immer wieder fallen in der Ferne Schüsse, Soldaten beider Seiten patrouillieren auf Booten im Strom – und schon an ihrem martialischen Auftreten wird offensichtlich, wie gefährlich sie sein können. Besonders an Tagen, an denen Agba seine halbwüchsige Enkelin Agida als Helferin dabei hat, deren Anblick bei den ungehobelten Waffenträgern animalische Instinkte auslöst.

Sie beginnt, die Kerle ein wenig zu locken

Zu Beginn kann sie sich kaum von ihrer Puppe trennen, bald aber lässt sie diese achtlos in der Hütte liegen und beginnt, die Kerle ein wenig zu locken, die Bedrohung mit jugendlichem Leichtsinn ignorierend – zur wachsenden Sorge ihres Großvaters.

Die Frauwerdung ist der Höhepunkt einer nahezu wortlosen Auseinandersetzung der Generationen. Ovashvilis Protagonisten brauchen keine Worte, sie klären in Blicken, Mienenspiel und Gesten, was sie bewegt: Agida soll mehr helfen, fühlt sich aber um ihre Jugend betrogen auf der vermaledeiten Insel, auf der es keine Jungs gibt. In sehr feinen Nuancen spiegeln Ilyas Salman und Mariam Buturishvili die Gefühlslagen ihrer Figuren im Ringen in einem kaum zu lösenden Konflikt. Salman verleiht dem äußerlich durchweg stoisch wirkenden Agba eine verblüffende Charaktertiefe, Buturishvili gestaltet präzise und konsequent Agidas fundamentale Wandlung.

Parallel zum zwischenmenschlichen Konflikt entwickelt sich der existenzielle: Mal zertrampeln Wilderer den Mais, mal drohen mit Macht die Naturgewalten – Agbas Projekt ist ein einziges Risiko; ein einziger Tag, eine einzige Stunde kann über Erfolg und Untergang entscheiden.

Die einzige Gewissheit in allen Stürmen ist Ovashvilis ruhende Kamera. Sie darf kein Eigenleben entwickeln, muss reine Beobachterin bleiben, um das puristische Geschehen nicht zu stören, den Blick nicht zu manipulieren in diesem universellen Drama des Daseins, dieser Parabel auf den ewigen, mitunter gnadenlosen Kreislauf des Lebens.

Unsere Bewertung zu "Die Maisinsel": 4 von 5 Sternen - empfehlenswert.

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