Es hatte sich abgezeichnet: Gregor Gysi wird nicht noch einmal für den Posten des Linken-Fraktionschefs kandidieren. Nun soll es wieder eine Doppelspitze geben. Was macht Wagenknecht?
Bielefeld - Nach einem Vierteljahrhundert in der ersten Reihe der deutschen Politik zieht sich Linke-Fraktionschef Gregor Gysi zurück. Auf dem Bundesparteitag in Bielefeld kündigte der 67-Jährige an, dass er seinen Posten im Herbst aufgebe.
"Ich werde nicht erneut kandidieren, da die Zeit gekommen ist, den Vorsitz unserer Fraktion in jüngere Hände zu legen." Die gut 450 Delegierten feierten Gysi zum Abschluss seiner emotionalen Rede mit mehr als zehnminütigem Applaus.
Die derzeit stärkste Oppositionspartei im Parlament wird demnächst vermutlich wieder von einer Doppelspitze geführt. Als mögliche Nachfolger gelten die Wortführerin des linken Flügels, Sahra Wagenknecht (45), und der Reformer Dietmar Bartsch (57), beide bislang Gysis Stellvertreter.
Gysi behält Bundestagsmandat
Gysi will zumindest bis 2017 Bundestagsabgeordneter bleiben. Er sicherte aber zu, "dass ich dann die Verantwortung wirklich abgebe, das heißt nicht heimlich versuchen werde, die Fraktion auf indirekte Art weiter zu leiten". Der ehemalige DDR-Anwalt gehört seit dem Fall der Mauer 1989 zum Spitzenpersonal der deutschen Politik. Gysi ist mit zehn Amtsjahren dienstältester Fraktionschef im Bundestag.
In seiner 50-minütigen Rede entwarf er die Vision einer Mitverantwortung der Linken in der deutschen und europäischen Politik. Gysi sprach von einem "nicht ganz unbeachtlichen Akzeptanzschub" für seine Partei in den vergangenen Jahren. Dann rief aus: "Ich habe eine Bitte an Euch: Macht aus alledem was draus." Gysi gilt als wichtiger Fürsprecher einer Koalition mit SPD und Grünen.
Was macht Wagenknecht?
Wagenknecht hatte erst im März, nach einer internen Abstimmungsniederlage verkündet, dass sie nicht Fraktionschefin werden will. Unmittelbar nach Gysis Verzicht kamen aber auch aus dem Reformerflügel erste Stimmen für eine Doppelspitze aus Wagenknecht und Bartsch. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich sagte der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf Wagenknecht: "Ich wäre sehr froh, wenn sie ihre Entscheidung korrigiert." Die Parteispitze, die ein Vorschlagsrecht hat, will sich noch im Juni zur Nachfolge äußern.
Über die seit langem diskutierte Bündnisoption Rot-Rot-Grün sagte Gysi: "Wir können und sollten auch auf Bundesebene regieren wollen. Und zwar selbstbewusst, mit Kompromissen, aber ohne falsche Zugeständnisse." Falls es 2017 zu Koalitionsverhandlungen komme, werde er selbst "mit Sicherheit" nicht dabei sein. Er habe auch "nicht die geringste Absicht, Bundesminister zu werden". In den Umfragen liegt die Linke derzeit bei knapp zehn Prozent.
Insgesamt war der Parteitag aber von Abgrenzung zu SPD und Grünen geprägt. Gysis mögliche Nachfolgerin Wagenknecht, Ehefrau von Ex-Chef Oskar Lafontaine, sieht ein Bündnis skeptisch. "Es ist richtig: Man kann aus einer Regierung heraus mehr verändern als aus der Opposition - wenn, aber dieses Wenn ist eben die entscheidende Bedingung, man Partner hat, die zumindest in die gleiche Richtung gehen wollen wie man selbst."
Parteichef Bernd Riexinger meinte, Rot-Rot-Grün müsse "einen wirklichen Politikwechsel vollziehen und nicht nur einen Regierungswechsel". Er sprach der SPD in ihrer derzeitigen Verfassung jede Bündnisfähigkeit für Rot-Rot-Grün ab. "Die Sozialdemokratie steht heute in ganz Europa für Bankenrettung, Austeritätspolitik und Sozialabbau." Auch bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zog Riexinger scharfe Grenzen: "Die sind mit uns nicht zu machen."
Der einzige Linke-Ministerpräsident, Bodo Ramelow aus Thüringen, mahnte hingegen: "Regieren ist kein Selbstzweck. Nicht regieren ist auch kein Selbstzweck." Riexingers Co-Parteichefin Katja Kipping forderte ein konsequent linkes Programm. "Ja, wir wollen die Machtfrage stellen. Aber wir wollen sie wirklich stellen. Und das heißt, wir wollen sie anhand von inhaltlichen Kriterien stellen."