Birgit und Jürgen Kaupp wollen verhindern, dass der Segelflugplatz Militärgelände wird. Sie haben die Bürgerinitiative „Kein Fluglärm über Haiterbach“ gegründet. Foto: Andreas Reiner

Am Rande der Schwarzwaldstadt Haiterbach plant das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr ein Übungsgelände für Fallschirmspringer. In einem Bürgerentscheid stimmte eine Mehrheit dagegen, doch das Großprojekt ist nur schwer zu stoppen.

Haiterbach - Noch herrscht Ruhe am Himmel über Haiterbach, nur die schneeschweren Dezemberwolken machen Front gegen die letzten Schönwetterstellen. „Von da oben werden sie kommen: Fallschirmspringer, Transportmaschinen, die Bananenhubschrauber der Amis“, sagt Jürgen Kaupp. Er steht trotz Anoraks frierend auf einer Anhöhe. Sein ausgestreckter Arm zeigt in Richtung Nordosten. „Nachts werden sie fliegen, sogar an den Wochenenden, das wird der Wahnsinn“, schimpft der 54-jährige Grafiker zwischen zwei Zigarettenzügen, und es klingt, als befürchte er eine feindliche Invasion.

Für Jürgen Kaupp ist es unvorstellbar, was sich in seiner Heimatstadt bald am Himmel abspielen könnte. Für die Bundeswehr ist es eine militärische Notwendigkeit. Sie will den kleinen Segelflugplatz des 5700-Einwohner-Städtchens Haiterbach im Nordschwarzwald als Übungsareal für ihre Eliteeinheit nutzen. Das Kommando Spezialkräfte, kurz KSK, mit Sitz in Calw braucht ein neues Trainingsgelände für Fallschirmsprünge, eine eingeebnete Graspiste, 55 Hektar groß, einen Kilometer lang, 400 Meter breit. An 60 Tagen im Jahr soll dort trainiert werden, weitere 60 Tage sind der US-Armee zugesagt worden.

Den bisherigen Platz in Renningen-Malmsheim im Landkreis Böblingen hat sich Bosch für einen Forschungscampus einverleibt. Der Konzern drohte vor einigen Jahren damit, nach Singapur abzuwandern, wenn er nicht erweitern könne. Deshalb muss die KSK-Truppe weichen und das Land Baden-Württemberg eine Ersatzfläche beschaffen, so lautet die Verpflichtung gegenüber dem Bund. Von Dutzenden geprüfter Orte blieb nur Haiterbach übrig. Eine vom Staatsministerium veröffentlichte Liste macht klar, warum. Die Anhöhe ist von Calw aus gut erreichbar, es gibt keine störenden Hochspannungsleitungen, kein Vogelschutzgebiet und die Topografie ist nahezu ideal, nur eine Delle muss aufgeschüttet werden. An den Unmut der Bürger hat keiner gedacht.

Ein Deal mit dem Land hätte einige Annehmlichkeiten für Haiterbach bringen können

Im Rathaus von Haiterbach zeigte man sich anfangs aufgeschlossen gegenüber den Plänen des Landes, erpicht auf die Ausgleichsleistungen, die das Projekt mit sich bringen könnte: eine künftige Anbindung an die Autobahn, jährliche Geldzahlungen und womöglich andere Annehmlichkeiten. Keine schlechte Verhandlungsbasis für das Städtchen, dachten sich viele im Rathaus und waren sich ihrer Sache ziemlich sicher. Doch es kam anders.

„Die Mehrheit will nicht, dass Haiterbach zu einem Luftlandeplatz wird. Zu viel Lärm, und wirtschaftlich wäre das der Untergang“, sagt Jürgen Kaupp und steckt sich wieder eine Zigarette an. „61,01 Prozent“ sind dagegen. „61,02“, korrigiert ihn seine Frau und Mitstreiterin Birgit Kaupp. Die beiden haben etwas geschafft, was ihnen anfangs jede Menge Ärger und neuerdings selbst im zerstrittenen Gemeinderat Lobeshymnen einbringt: Sie haben im vergangenen Frühjahr, als die ersten Planungen bekannt wurden, die Bürgerinitiative „Kein Fluglärm für Haiterbach“ gegründet und den Anstoß für einen Bürgerentscheid im September gegeben.

Das Nein der Bürger zum militärischen Absprunggelände brachte Klarheit in einen Ort der Aufregung. Drei Jahre lang ist die Stadtverwaltung daran gebunden, sie muss alles rechtlich Mögliche tun, um das Projekt zu verhindern. „Ein Riesenerfolg für uns“, sagt Birgit Kaupp, die als schwäbische Einzelhandelskauffrau bisher wenig auf Protest gebürstet war. Mittlerweile kennt sie sich aus: Im Unterschriftensammeln, im Plakate-drucken-Lassen, selbst auf ihrem Auto prangt ein gelber Protestaufkleber, Auflage 700 Stück. Der Wunsch zum zivilen Ungehorsam treibt sie an. Der wurde geweckt, als ihr über 80-jähriger Vater von einem Infotreffen im Rathaus wiederkam. Dem Landwirt wurde gesagt, dass auf der Scholle, die er gepachtet hat, künftig das Fallschirmspringen geübt werden solle. „Mein Vater dachte, er könne da sowieso nichts dagegen machen“, erzählt Birgit Kaupp aufgeregt. Sie schüttelt ihre dunklen Locken, blättert im Ordner mit den archivierten Presseartikeln und Landkarten, „jetzt ist er froh, dass wir kämpfen“.

Staatsrätin Erler: „Die Entscheidung über das Projekt liegt beim Bund“

Es könnte ein ungleicher Kampf werden. Der Ausgang des Bürgerentscheids habe keinerlei rechtliche Relevanz, heißt es nüchtern aus Stuttgart. Die Staatsrätin Gisela Erler, die Grande Dame für Bürgerbeteiligung in der grün-schwarzen Landesregierung, stellte bei einem Treffen mit den Haiterbachern schnell klar: „Die Entscheidung über das Projekt liegt beim Bund.“ Offen sei nicht das Ob, sondern das Wie, und dieses mitzugestalten seien alle herzlich eingeladen. Eine Begleitgruppe soll das langwierige Genehmigungsverfahren beim Luftfahrtamt der Bundeswehr flankieren.

„Nein danke“, sagt Birgit Kaupp und will keine Feigenblattaufgabe übernehmen. Sie wolle verhindern, nicht begleiten.

„Ich gehe da nicht rein“, sagt auch Haiterbachs Bürgermeister Andreas Hölzlberger, ein CDU-Mann. Er lässt gerade einen Berliner Rechtsanwalt prüfen, ob die Gemeinderäte sich nicht besser alle raushalten sollten. „Da beteiligen sich die Bürger mit dem Ziel des Ermöglichens“, sagt der 47-Jährige mit der roten Krawatte und einem Job, um den er sich nicht gerissen hat. „Bezahlten Ärger“ nennt das der Rathauschef und hätte vom Land lieber noch einiges rausverhandelt, anstatt jetzt den Bremser für das KSK-Gelände geben zu müssen. „Haiterbach hat eigentlich wichtigere Themen“, sagt er und zählt auf, was ihn am meisten umtreibt: die Weiterentwicklung des Gewerbegebiets, die Gestaltung der Ortsmitte, die Standortsicherung für die Schule und der Breitbandausbau.

Drei Bauernfamilien trifft es besonders hart

Die Pläne, die Hölzlberger im Besprechungssaal im Rathaus vor sich ausbreitet, sind bunt und wenig erfolgversprechend. So sieht es zumindest der Bürgermeister. „Augenscheinlich spricht nichts gegen das KSK-Gelände“, sagt er, „keine kartierten Biotope, kein Naturschutzgebiet.“ Da müsse schon eine europäische geschützte Art auftauchen, um einen Stopp zu bewirken, sagt Hölzlberger. Er kann den Frust der Bauern gut verstehen, die nicht auf ihr Ackerland verzichten wollen. Drei Familien trifft es besonders hat, darunter ist ein Biobauer, der ein Fünftel seiner Fläche abgeben müsste und sich wie die anderen dem Verkauf verweigert. Ihre größte Sorge ist die Zwangsenteignung.

Kommt das KSK-Gelände oder nicht? Von Glaskugelprophezeiungen hält Hölzlberger wenig und rechnet damit, dass noch etliche Jahre ins Land ziehen, bevor eine finale Entscheidung fällt. Der Schutz des Eigentums werde in Deutschland großgeschrieben, betont der Bürgermeister, und schließlich hätte das Land den bisherigen Absetzplatz ohne große Not aufgegeben.

Die Haiterbacher können sich wehren, schon zweimal haben sie militärische Pläne durchkreuzt, erinnert sich der Rathauschef und blickt zurück in die Chronik. Als 1963 Atomsprengköpfe am Ortsrand stationiert werden sollten, marschierten die Bürger vor das Rathaus. Die Nato-Raketenbasis wurde nie gebaut. Gegen einen Truppenübungsplatz, der Ende der 70er Jahre geplant war, gründete sich eine Bürgerinitiative, auch er wurde verhindert. „Wer weiß“, orakelt der Bürgermeister, „vielleicht findet sich doch noch ein anderer Ort.“