Der gebürtige Schwarzwälder Michael Hartweg hat mit einem Finanzunternehmen Millionen verdient. Einen Teil davon investieren er und seine Frau Carola, um aus der Schweiz eine Biathlonnation zu machen. Davon profitiert auch ihr Sohn.
Der Schnee glitzert in der Sonne, die vom wolkenlosen, blauen Himmel strahlt. Im Hintergrund tönt das staccatoartige Klick-Klack der fallenden Scheiben im Schießstand. Etwas oberhalb des Biathlon-Stadions von Lenzerheide steht auf einem Holzbänkchen die Inschrift: „Carola & Michaels Plätzle“. Die Widmung kommt nicht von ungefähr. Wenn an diesem Mittwoch mit der Mixed-Staffel die diesjährigen Biathlon-Weltmeisterschaften beginnen, dürfte dieser Moment Carola und Michael Hartweg mit großer Genugtuung und Zufriedenheit erfüllen. Ohne das deutsche Ehepaar wäre vieles im Schweizer Biathlon nicht möglich gewesen – auch nicht diese erstmals auf Schweizer Boden stattfindende Weltmeisterschaft in dem Bergdorf oberhalb von Chur in Graubünden.
Jürg Capol, der Vorsitzende des Organisationskomitees der Biathlon-Weltmeisterschaften 2025 redet weder gerne noch lange um den heißen Brei herum: „ Es ist ganz klar: Ohne Michael Hartweg würden wir heute nicht hier sitzen und über eine Biathlon-WM in der Lenzerheide sprechen. Er ist der Pionier und Visionär und der Initiator und Haupttreiber des Biathlon-Sports auf der Lenzerheide und dieser WM.“
Als junge Eltern leben die Hartwegs mit ihren Kindern zunächst zweieinhalb Jahre in London, wo Michael für die Investmentbank Goldmann Sachs arbeitet. Schon zu jener Zeit ist er ein Getriebener. Einer der Ideen hat, diese vorantreibt, umsetzen will, nicht lockerlässt. 2007 tut er sich mit drei Freunden zusammen, gründet in Zürich das Finanztechnologieunternehmen Leonteq. Mit dem Start-up erobern sie die Finanzwelt. Die Familie zieht nach Wollerau am Zürichsee.
Carola Hartweg wurde von einer Verletzung ausgebremst
Vor gut 15 Jahren nimmt die Vision Biathlon ihren Lauf: Bis dahin sind die Hartwegs nur Fernseh-Biathlon-Fans, selbst sportlich aktiv und ambitioniert, beide im Triathlon. Carola, aufgewachsen in Bretten bei Karlsruhe, träumte von der Teilnahme an den Olympischen Spielen, ehe sie einer Verletzung Tribut zollen musste. Michael, gebürtiger Freiburger, absolvierte mehrfach den Ironman auf Hawaii, zuletzt im vergangenen Jahr. Kennengelernt haben sich die beiden an der Technischen Universität in Karlsruhe, er studierte Wirtschaftsingenieurwesen, sie Chemie und Sport auf Lehramt.
Am Anfang steht ein Familienausflug mit dem Triathlon-Club nach Goms im Wallis. Zufällig stoßen sie dort auf einen Kids-Biathlon-Cup und fragen ihre Kinder Julia und Niklas, ob sie dort mitmachen wollten. Die sind sofort Feuer und Flamme – und das nicht nur im Wochenendurlaub, sondern auch danach, dauerhaft. Nun ist guter Rat teuer. Denn in Hartwegs Heimat am Zürichsee gibt es weit und breit keinen Biathlon-Club. „Da war einfach nix“, sagt Michael Hartweg. Sehr zum Erstaunen der beiden Badener, wissen sie doch um die große Begeisterung für den telegenen Sport in Deutschland. Zumal die Schweiz eine Wintersportnation begeisterter Langläufer ist und es nahezu in jedem Dorf einen Schießstand gibt. Für die Hartwegs ist klar: „Die Schweiz ist eine Biathlonnation – sie weiß es nur noch nicht.“ Fortan wird es zur Vision und zur Mission des Ehepaars Hartweg die Schweizer Sportnation aus diesem Dornröschenschlaf wach zu küssen.
Trainiert wird anfangs in der Garageneinfahrt der Hartwegs
Michael Hartweg ergreift nun selbst die Initiative, lädt im nahen Einsiedeln Eltern ein, um über die neue Biathlon-Abteilung im Skiclub zu informieren. Doch nur ein paar Interessierte verlieren sich im viel zu großen Saal. Ein Jahr später wiederholt er die Veranstaltung, reserviert einen kleineren Raum – und verschätzt sich wieder: „Wir wurden überrannt.“ Schon damals trainieren die beiden aktuell besten Schweizer Biathleten, Hartweg-Spross Niklas und Amy Baserga, gemeinsam in den Loipen von Einsiedeln – und in der Garageneinfahrt der Hartwegs. „Die Einfahrt war zehn Meter lang, das hat genau gepasst, da konnte man gut mit dem Luftgewehr üben“, erinnert sich Carola. Michael beginnt Trainer für den Verein zu akquirieren, holt Kompetenz an Bord.
Doch sie wollen es nicht dabei belassen, dass ihre Kinder den Sport gerne machen und dies fördern – sie wollen den Biathlonsport in der Schweiz auf eine andere Ebene heben und ihm einen anderen Stellenwert im Land geben. „Wir haben Glück gehabt in unserem Leben, finanziell mit der Firma von Michael, sind superfroh, dass wir hier in der Schweiz leben können – es könnte uns nicht besser gehen“, beschreibt die 50-jährige Carola ihren Antrieb. „Wir wollen etwas zurückgeben an die Gesellschaft in einem spannenden Projekt, das gemeinnützigen Charakter hat und haben festgestellt, dass Biathlon hier in der Schweiz noch viel Entwicklungspotenzial hat.“
Michael Hartweg bleibt hartnäckig
Nachdem die Familie Hartweg inzwischen auch eine Ferienwohnung auf der Lenzerheide ihr Eigen nennen darf, hilft Michael zunächst mit seiner Firma Leonteq ab und an als Sponsor bei der Biathlon-Anlage aus. Es gibt zwar schon eine kleine Langlaufrunde samt Schießstand. Die ist aber noch weit entfernt davon, weltcuptauglich zu sein. „Von der Lage und der Landschaft her ist Lenzerheide im Weltcup nur mit Antholz in Südtirol vergleichbar“, schwärmt Hartweg. Aber es geht nicht so recht vorwärts – und seine Vision lässt in nicht los.
Auch Jürg Capol, seinerzeit noch Renndirektor beim Skiweltverband FIS, der unweit von Lenzerheide in Chur lebt, erinnert sich: „Ich habe Michael 2012 zum ersten Mal getroffen. Er hat mir von seiner Vision Biathlon erzählt, hat vor Begeisterung gesprüht.“ Er sagt ihm, dass er ein motivierter Kerl sei und wünscht ihm viel Glück. Doch Hartweg bleibt hartnäckig. Ein Jahr später treffen sich die beiden wieder. „Da hatte er schon Skizzen und Pläne dabei – und dann hat er auch schon bald gebaut“, erzählt Capol.
„Wenn, dann richtig“, sagen sich die Hartwegs schließlich und beginnen privat zu investieren. Sie treffen mit der Gemeinde eine Vereinbarung, die Anlage zu privatisieren und bauen ein Team mit Know-how auf, um sich beim Biathlon-Weltverband Vertrauen zu verdienen. Zugleich wird die Infrastruktur auf einen Stand ausgebaut, mit dem man sich für Weltcups und andere Großveranstaltungen bewerben kann.
Lenzerheide als Keimzelle
2015 verkauft Michael Hartweg seine Anteile an der Firma Leonteq, laut „Handelszeitung“ für mehr als 100 Millionen Franken. Seither investiert er in verschiedene Start-up-Unternehmen – und in die Biathlon-Arena Lenzerheide.„Als wir hier angefangen haben, war das auch wie bei einem Start-up“, beschreibt der 52-Jährige die Anfänge des Biathlonsports auf der Lenzerheide. „Man muss investieren und braucht eine Strategie. Unsere Theorie war es, mit einer Keimzelle wie der Biathlon-Arena Lenzerheide die Begeisterung zu wecken. Dazu braucht es verschiedene Elemente, aber natürlich vor allem auch starke Athleten.“ Innerhalb von nur sieben Monaten entstand 2016 das heutige Herzstück der Arena: das vierstöckige Nordic House. Es beherbergt 57 Betten in 13 Zimmern für Elite- und Nachwuchsathleten, Freizeitsportler, Vereine und Sportverbände. Dazu ein Restaurant, Seminarräume, Fitness- und Regenerationseinrichtungen für die Athleten. Komplettiert wird die Arena von 44 fest installierten Containern, 30 Schießplätzen, einer vier Kilometer langen Rollskibahn für den Sommer und einer Schneefabrik, die jeweils ab Anfang November die Präparation der Loipe ermöglicht. Insgesamt 24 Millionen Franken hat die Biathlon-Arena gekostet, mehr als die Hälfte davon hat Hartweg beigesteuert.
Hinzu kommt die Nachwuchsförderung: „Ohne eigene Athleten, die vorne mit laufen können, wird die Begeisterung nicht ausbrechen“, ist Michael Hartweg überzeugt, „da helfen auch die Anlage und der Weltcup nicht viel.“ Deshalb gründen sie im selben Zug den Biathlon-Stützpunkt Ostschweiz zur Nachwuchsförderung, dessen Präsidentin Carola Hartweg bis heute ist. Für die jungen Athleten engagieren sie Trainer, wie die ehemaligen deutschen Weltklasse-Biathleten Michael Greis und Ricco Groß.
Seit 2020 geht es Schlag auf Schlag
Um das Projekt auch nachhaltig auf eine breitere Basis zu stellen und es langfristig unabhängig von ihrer eigenen Unterstützung zu machen, rufen sie 2017 die Stiftung Mission Biathlon ins Leben, deren Präsident Michael Hartweg ist. Neben der Infrastruktur und dem Nachwuchsstützpunkt unterstützt die Stiftung auch Athleten direkt, um ihnen finanziell den Rücken freizuhalten und ihnen den vollen Fokus auf das Training zu ermöglichen.
Früh ist für Michael Hartweg klar, dass eine langfristige Finanzierung der Biathlon-Anlage nur über Großveranstaltungen wie Weltcups oder gar eine WM möglich ist. Schon 2020 richtet man die Nachwuchs-WM aus. Dann geht alles Schlag auf Schlag, noch im selben Jahr bekommt die 5500 Einwohner zählende Region Lenzerheide den Zuschlag für die WM 2025, noch ohne bis dahin überhaupt einen Weltcup ausgerichtet zu haben.
Mit ihrer stringenten und fokussierten Art sind die Hartwegs nicht immer auf Begeisterung gestoßen, auch nicht im Schweizer Skiverband Swiss-Ski. „Von der Führungsspitze haben wir immer die Unterstützung gespürt. Aber wir haben den Baum auch ein bisschen geschüttelt, da ist nicht jeder im Verband begeistert gewesen“, erinnert sich Michael Hartweg heute mit einem Schmunzeln. „Aber es war manchmal auch nötig, damit etwas vorankommt.“
Mehr als 52 000 Tickets sind bereits für die WM verkauft
Jetzt, wo das Kind gerade laufen lernt, trennen sich die Hartwegs, die mittlerweile auch einen Schweizer Pass haben, nach und nach von ihrem „Baby“ Biathlon. 2022 verkaufen sie die Biathlon-Arena an den Schweizer Skiverband. „Für uns war immer das Ziel, das Projekt irgendwann einmal in das reguläre Sportfördersystem zu überführen. Denn es ist keine nachhaltige, dauerhafte Lösung, wenn das immer eine Privatinitiative bleibt. Es hat sich alles sehr erfreulich entwickelt“, sagt Michael Hartweg und seine Frau ergänzt: „Der Sport darf nicht so abhängig sein von Familie Hartweg auf Dauer, das ist nicht gesund und auch nicht nachhaltig.“
Das beim „Start-up Biathlon“ der sogenannte „Return of Invest“, also der Rückfluss der investierten Mittel mit Gewinn, nicht so ausfällt, wie man das in der Wirtschaft normalerweise plant, nehmen die Hartwegs gerne in Kauf. „Das ist Gönnertum“, sagt Carola Hartweg und ihr Mann ergänzt: „Die Rendite ist hier anders gelagert: Das ist die Freude an der Sache, zu sehen, wie sich die Athleten entwickeln, und bei Erfolgen gemeinsam feiern zu können.“
Von ihrem Bänkchen an der Loipe im Wald von Lenzerheide werden die Hartwegs die WM-Rennen allerdings nicht verfolgen können. Zu groß ist mittlerweile die Begeisterung für Biathlon in der Schweiz. Mehr als 52 000 Tickets sind bereits verkauft und riesige Stahlrohrtribünen säumen Schießstand und Stadion. Diese Hindernisse nehmen die Hartwegs gerne in Kauf, wenn sie ihrem Sohn Niklas und den anderen Schweizer Athleten die Daumen drücken.