Stuttgart - Stirbt das Schwäbische aus? Von Hermann Bausinger, dem großen Kulturwissenschaftler aus Tübingen, stammt der schlagende Beweis, dass dem nicht so ist. Nach einem Podiumsgespräch zum Thema Dialekt im Stuttgarter Alten Schloss im vergangenen Oktober trug er sich mit einer Zeichnung ins Gästebuch des Landesmuseums ein. Sie zeigt einen Elefanten. Ein Auge scheint zu zwinkern. Darunter stehen die Worte: „Elefant = schwäbisch Elefant. Das Schwäbische lebt also  . . .“

So erheiternd diese sprachwissenschaftliche Beweisführung ist, wird sie doch diejenigen nicht beruhigen, die um den Verlust des Dialekts fürchten. Hätte Bausinger statt eines Elefanten eine Kuh ins Gästebuch gemalt, sähe die Sache nämlich anders aus. Er hätte darunter schreiben müssen: „Kuh = schwäbisch Bless.“ Das Schwäbische lebt also?

Tatsächlich beklagen Freunde der Mundart, dass sich im Alltag immer weniger Lebenszeichen des Schwäbischen finden. Vor allem der Nachwuchs macht den Dialektsprechern Sorgen. Nach ihren Beobachtungen verweigern sich junge Schwaben zunehmend den charakteristischen Nasallauten und Verkleinerungssilben. Dazu kommt ein Unbehagen über die jugendlichen Ausdrucks- und Verhaltensweise insgesamt. Bezeichnend ist die Bruddelei eines Schwaben in der Männerdusche des Mineralbads Leuze – einem Hort des Schwäbischen. Angesichts des verschwenderischen Umgangs jugendlicher Schwimmbadbesucher mit dem kostbaren Duschwasser entfuhr ihm der Ausruf: „Dia schprenget von dr Dusche weg wie d’ Säu vom Trog!“

„Papa, kannst du bitte deutscher reden!“

Auch Bildungsmoden haben einen Anteil daran, dass der Dialekt in die Defensive geraten ist. In den siebziger und achtziger Jahren waren Dialekte an Schulen nicht gern gesehen. Teilweise wurden sie sogar als Bildungshindernis betrachtet. Seit einiger Zeit gelten Mundarten als rehabilitiert; die Bedeutung einer breiten sprachlichen Grundlage wird weithin gesehen. Eine Dialekt-Kompetenz haben die Schulen allerdings nicht ausgebildet. Die Mundart bleibt sich selbst überlassen. Das zeigt sich noch deutlicher an Universitäten. Dialektforschung hat es schwer, Beachtung und Förderer zu finden.

Das beruht auf Gegenseitigkeit. Verbürgt ist der Satz eines Viertklässlers, der seinen Schwäbisch sprechenden Vater mit den Worten ermahnte: „Papa, kannst du bitte deutscher reden!“

Man könnte sich damit trösten, dass es Gegenbeispiele gibt. Zu nennen wäre die Zuschrift einer Leserin aus Breitenstein, die von einem Mittagessen auf dem Lande berichtet. Eine Städterin bat die Kinder, darunter ein „Bauernbüble“, nach dem Essen sitzen zu bleiben, da es noch einen Nachtisch gebe, worauf besagtes „Bauernbüble“ sprach: „Mei Muader hot’s Nachttischle en dr Schlofstub!“ Die Annahme, hier reife ein hoffnungsvoller Dialektsprecher heran, erweist sich jedoch als voreilig. Bei näherem Hinsehen zeigt sich: Das Ereignis datiert aus den sechziger Jahren. Jüngere Beispiele sind spärlich gesät. Sie werden – nebenbei gesagt – von unserer Zeitung gern entgegengenommen.

Nimmt man solche Einzelbeobachtungen zum Maßstab, scheinen sich die Befürchtungen von Mundartfreunden zu bestätigen. Der Dialektforscher Horst Haider Munske stellt nüchtern fest: „Der Spracherwerb der Kinder ist die Voraussetzung für das Weiterleben einer Sprache. Wenn dieser Weg abgebrochen wird, ist das Weiterleben einer Sprache in ernster Gefahr.“ Das heißt: Wissen die Kinder nicht mehr, was „Grombiera“, „Breschtling“ oder „Angersche“ sind, ist es mit diesen schwäbischen Begriffen über kurz oder lang geschehen – eher auf kurz, denn die Zahl der Dialektsprecher, die diese Worte noch aktiv verwenden, nimmt kontinuierlich ab.

Sprachbilder verlieren ihren Sinnzusammenhang

Das hat auch mit dem Wandel der Arbeitswelt zu tun. Bis vor wenigen Jahrzehnten war der Südwesten landwirtschaftlich geprägt. In den Bauernhöfen blühte der Dialekt. Zur „Heiat“ (Heuernte) wurden „Segessa gedengelt“ (Sensen geschärft) „Schocha gmacht“ (Heuschober aufrichten) und „dr Wiesboom uf dr Waga glegt“ (das aufgeladene Heu mit einem Holz gesichert). Mit solchen bäuerlichen Techniken und Tätigkeiten ist auch eine lange gewachsene Begriffswelt in atemberaubender Geschwindigkeit verschwunden. Nicht nur einzelne Wörter, sondern ganze Sprachbilder haben ihren Sinnzusammenhang verloren. Sätze wie „Der wird net gscheit, bis d’Henna fürscha scherret“ sind nur vor einem bäuerlichen Hintergrund verständlich.

In diesem Zusammenhang fällt auf, dass das Schwäbische über zahlreiche Ausdrücke verfügt, die das Leben in einer Mangelgesellschaft beschreiben. Der wirtschaftliche Aufstieg des Landes in den Nachkriegsjahren bildet sich im Dialekt nicht annähernd so stark ab. „S’Zammascherrich“ etwa ist die Beschreibung für den verbliebenen Inhalt einer Schüssel, den man mit dem Löffel zusammenkratzt, „Blätz“ der in vielen Zusammenhängen verwendete Begriff für Flicken. Eine Wegwerfgesellschaft hat für solche Wörter keine Verwendung mehr. Ebenso wenig für Sinnsprüche, die auf Bescheidenheit abheben: „Liaber a Laus em Kraut als gar koi Fleisch!“ Für die Produkte der globalisierten Welt hat das Schwäbische dagegen keine Worte gefunden. Computer sind Computer, Festplatten sind Festplatten – und nur in einem verniedlichenden Sinne kann man von einem „Mäusle“ statt von einer Maus sprechen.

Dazu kommen gesellschaftliche Umbrüche. Baden-Württemberg ist ein Zuwanderungsland; seine Bewohner sprechen heute in vielen Sprachen. Zu Schwäbisch, Alemannisch und Fränkisch gesellen sich Türkisch oder auch Sächsisch. Zwar haben sich viele Reigschmeckte sprachlich akklimatisiert, wie eine Geschichte von Leserin Rosemarie Lang aus Weinstadt-Endersbach zeigt, die im Stuttgarter Katharinenhospital eine Spanierin als Zimmergenossin hatte. „In bestem Hochdeutsch“ bemühte sie sich, mit ihr zu kommunizieren, bis die Südländerin sagte: „Schwätzet Se no Schwäbisch mit mir. I be schon seit 38 Johr bei de Schwoba ond han von meiner Schwiegermuader Schwäbisch glernt.“ Unbestreitbar hat die Bedeutung der Mundart im Zuge der Internationalisierung des Lebens jedoch eher ab- als zugenommen.

„Schwäbisch ist poetisch und kraftvoll“

Auch Bildungsmoden haben einen Anteil daran, dass der Dialekt in die Defensive geraten ist. In den siebziger und achtziger Jahren waren Dialekte an Schulen nicht gern gesehen. Teilweise wurden sie sogar als Bildungshindernis betrachtet. Seit einiger Zeit gelten Mundarten als rehabilitiert; die Bedeutung einer breiten sprachlichen Grundlage wird weithin gesehen. Eine Dialekt-Kompetenz haben die Schulen allerdings nicht ausgebildet. Die Mundart bleibt sich selbst überlassen. Das zeigt sich noch deutlicher an Universitäten. Dialektforschung hat es schwer, Beachtung und Förderer zu finden.

Der Dialekt droht zu verkümmern. Das lässt sich nicht leugnen.Gleichzeitig gibt es das Phänomen intensiver Dialektpflege. Damit sind weniger die Mundartbühnen gemeint als die privaten Sammler, die schwäbische Wörter wie Briefmarken zusammentragen und Anekdoten bewahren und weitergeben – etwa an unsere Zeitung, die dem Schwäbischen seit drei Jahren einen festen Platz reserviert hat und mit Zuschriften überschwemmt oder vielmehr beschenkt wird. Für die Freunde der Mundart besteht also durchaus Hoffnung, denn die Wurzeln des Dialekts reichen oft tiefer, als es den Anschein hat. Unvermeidlich ist jedoch, dass lokale Besonderheiten in Vergessenheit geraten oder sich abschleifen. Aus dem speziellen wird ein im Wortsinne breiteres Schwäbisch. Dialektforscher beschreiben diese Entwicklung als Übergang von Basisdialekten zu Regiolekten, zu regionalen Umgangssprachen.

Das scheint dem Lebensgefühl vieler Menschen zu entsprechen. Umfragen ergeben eine breite Zustimmung zur Zweisprachigkeit. Man könnte von einer Arbeitsteilung sprechen: Hochdeutsch, dort wo es verlangt ist oder angemessen erscheint, Dialekt, dort wo’s um mehr geht. Der Tübinger Kulturwissenschaftler Eckart Frahm formulierte treffend: „Wie alle Dialekte ist Schwäbisch poetisch und kraftvoll, weil es konkreter und näher an den Menschen ist.“