Ein Studienseminar der Sozialen Arbeit an der DHBW in Schwenningen, ein Studiengang an der Musikhochschule Trossingen und ein Projekt der Stiftung Liebenau: Wenn diese drei Bereiche aufeinandertreffen, kommt etwas ganz einmalig Inklusives dabei heraus.
Reges Treiben herrscht im Hörsaal 16 der Fakultät Sozialwesen der DHBW in der Schramberger Straße. Dort, wo normalerweise die Köpfe der Sozialwesen-Studenten rauchen, werden heute Stift und Blatt gegen Schwungtuch, Trommel und Triangel getauscht – und gegen die Aktivierung der eigenen Körperteile. Praxis ist angesagt, und das, obwohl die Studenten derzeit eigentlich in ihrer Theorie-Phase an der Hochschule sind.
Zu Gast sind nicht nur Dierk Zaiser, Leiter des Instituts für Musik und Bewegung/Rhythmik an Musikhochschule Trossingen, sowie Deng Pan, Masterstudent des Musikhochschul-Studiengangs Kulturelle Performance, sondern auch sechs hoch motivierte Menschen mit geistiger Behinderung, die am inklusiven Projekt InTro in Trossingen teilnehmen.
Stiftung wird aktiv
Seit vergangenem Sommer gibt es in Trossingen das gemeindeintegrierte Wohnen der Stiftung Liebenau, das für 24 Menschen mit Behinderung Platz bietet, sowie den ambulanten Förder- und Betreuungsbereich, der zusammen mit Kooperationspartnern unter anderem musische Workshops im Angebot hat. Ein Partner davon ist die Musikhochschule, die einmal pro Woche zur Veranstaltung Theater mit Musik einlädt und dadurch Studenten und Menschen mit Behinderung zusammenbringt.
Doch auch an der DHBW steht der Umgang mit Menschen mit Behinderung im Fokus, und es gibt sogar einen Studiengang, der Soziale Arbeit mit Menschen mit Behinderung heißt. Dessen Leiter ist Boris Duru, der Professor für Soziale Arbeit und Recht ist.
Interdisziplinäres Arbeiten
Als er vor rund drei Jahren an die Duale Hochschule gekommen ist, habe er fortan nach Kooperationspartnern gesucht, hatte der Bereich Rhythmus im Lehrplan der Hochschule doch bisher gefehlt. Denn Boris Duru findet: „Der Bereich des Elementaren muss mit vertreten sein.“ Sein zweites Ziel: sich regional vernetzen – zum Wohle der Bevölkerung. Irgendwann ist er auf Musikprofessor Dierk Zaiser gestoßen, der sich offen für die Kooperation zwischen Musik, Rhythmik und Sozialem gezeigt hat. Gemeinsam möchte man durch interdisziplinäre Seminare, Workshops und kreative Projekte die Bedeutung von Inklusion erfahrbar machen und nachhaltige Verbindungen schaffen.
Seither tauscht man sich rund zweimal im Jahr aus. Daraus entstanden ist unter anderem die Veranstaltung „Musik und Bewegung – eine künstlerisch-pädagogische Praxis in der Freizeit- und Bildungsarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderung und Benachteiligung“, die Duru auf die Beine gestellt hat.
Verbindende Kraft
Studenten der Sozialen Arbeit und Menschen mit Behinderung treffen dabei aufeinander, um gemeinsam die verbindende Kraft von Musik und Bewegung zu erleben und sich auszutauschen. Dabei sollen die Studenten wertvolle Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit Behinderung zu sammeln, die sie später in den Berufsalltag mitnehmen können. diese wiederum können ihre Kreativität ausleben, neue Ausdrucksformen entdecken und Kontakte knüpfen, erklärt der Studiengangsleiter das Ziel.
Inklusives Stück
In einem theoretischen Teil bringt Dierk Zaiser den Studenten zunächst die musikalische und die eigene körperliche Wahrnehmung näher, dann das körperliche Erleben mit Gegenständen. Im dritten Teil wird es endlich praktisch: Hier steht das inklusive Theaterstück „Rein Gold“ – basierend auf Elfriede Jelineks Abhandlung von Wagners Werk Der Ring der Nibelungen –, aus dem Szenen vorgespielt werden, im Fokus. Und mit ihm solche urmenschliche Themen wie Liebe, Geld oder Macht.
Gemeinsames Warm-Up
Masterstudent Deng Pan, der zuvor Kontrabass an der Musikhochschule Saarbrücken studiert hat, übernimmt die Probenleitung. Das Warm-Up: Alle Teilnehmer stellen sich im Kreis auf. „Wir stellen uns vor, dass wir im Wasser sind“, gibt Pan vor. Schwimmbewegungen auf der Stelle, dann durch den gesamten Raum, mal hoch, mal tief. Das soll anschließend zu zweit gemacht werden. Mal zwei Studenten gemeinsam, mal ein Student zusammen mit einem Menschen mit Behinderung. Drei junge Männer und drei Frauen sind heute von der Stiftung Liebenau mit dabei.
Auf Augenhöhe
Dass es keinerlei Berührungsängste gibt, freut Boris Duru. „Das ist gelebte Inklusion. Alle begegnen sich auf Augenhöhe, es gibt keine Unterschiede. Jeder kann sich mit seinen individuellen Fähigkeiten einbringen.“ Die Liebenauer lachen – ein sicheres Zeichen, dass sie sich wohlfühlen, fügt er hinzu. Dann bekommt jeder Teilnehmer ein Tuch, mit dem er Auf- und Abbewegungen macht – und dann langsam zu Boden sinkt.
Ouvertüre als Basis
Es geht ans Eingemachte: Die „Rein Gold“-Ouvertüre ertönt. Synchron zur Stimmung und zum Instrumenteneinsatz bewegen sich die Teilnehmer fließend mit stetigem Augenkontakt. Wenn die Stimme ertönt, fangen alle an zu klatschen. „Mit dieser Gesangseinlage haben wir weitergearbeitet“, erklärt Dierk Zaiser.
Es werden Gruppen gebildet und unterschiedliche Stimmen – passend zu Wagners Ring-Protagonistinnen, den drei Rheintöchtern, verteilt. Jede Gruppe übt eine kleine Improvisationseinheit ein mit den Tüchern, aber auch mit der eigenen Stimme, mit der anschließend der jeweilige Name ausgerufen und unterschiedlich interpretiert wird.
„Ich brauche acht Studenten, die ein Instrument spielen“, fordert anschließend Deng Pan auf und verteilt Klangschale, Trommel, Triangel und Klangbaustein. Und während die spielende Instrumentengruppe durch den Raum schreitet, transportieren die übrigen Teilnehmer eine große ausgebreitete Goldfolie hinterher. Plötzlich ist alles leise. „Gut“, sagt der Probenleiter, und die Teilnehmer applaudieren.
Jetzt wird gerappt
Gold, Geld und Macht sind auch das Stichwort beim letzten Teil der heutigen Vorführung: der sogenannte „Gold-Rap“, der von einem jungen Mann von der Stiftung Liebenau eindrucksvoll vorgetragen wird. Kurzerhand setzt er sich seine Kapuze auf, fordert einen Studenten auf, ihn mit dem Beat auf einer Cajon zu unterstützen. Und dann rappt und beatboxt er, was das Zeug hält – und die Zuhörer sind begeistert.
Text selber geschrieben
Der Rap sei in Trossingen von Musikdesign-Studenten produziert worden, berichtet Dierk Zaiser, während der junge Mann den Text für das abschließende „Liebeslied“ sogar selbst geschrieben hat, wie er stolz berichtet, ehe er – wieder voll in seinem Element – auch diesen Rap souverän vorträgt und alle übrigen Teilnehmer zum Mitrappen animiert.
„Sie sind sehr intelligent“
„Hattest Du Lampenfieber?“, wird er anschließend in der Austausch-Runde von einer Studentin gefragt – und er verneint. „Wie seid Ihr auf Wagner gekommen?“, richtet sich derweil eine Frage an den Musikhochschulprofessor, der bewusst einmal ganz anders mit dem Ring-Stoff umgehen wollte und die Ouvertüre sehr bewegungsanregend fand. Und auch Deng Pan wird gefragt, was ihn zu seinem Engagement bei diesem besonderen Theaterstück bewogen hat. Das Einstudieren der non-verbalen Kommunikation, also durch Körpersprache und Blickkontakt, habe ihn gereizt, berichtet der Student, und weiter: „Ich genieße es, mit Menschen mit Behinderung zusammenzuarbeiten. Sie sind sehr intelligent.“
Initiator Boris Duru ist anschließend sehr zufrieden mit der inklusiven Veranstaltung, die zeige, wie Musik und Bewegung Barrieren überwinden und Menschen zusammenbringen kann. „Es ist mir ein zentrales Anliegen, dass Inklusion an der Hochschule nicht nur theoretisch diskutiert, sondern auch praktisch erlebt wird.“ Dazu müsse sie erlebbar gemacht und tatsächlich selbst gelebt werden.