Prominente Kurzzeit-Praktikantin: Yasmin Fahimi (Mitte) packt beim Entleeren einer 1100-Liter-Tonne zu – angeleitet von Mohammed Yilmaz (links) und Christoph Schumann (rechts). Foto: Schiermeyer

Die Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, tourt durch die betriebliche Wirklichkeit in Baden-Württemberg – wo die Krise der Industrie besonders schwer zuschlägt.

Diese Frau, so zierlich sie auch ist, hat offenbar ein Faible für schwere Fahrzeuge. Ob sie einen der Müllwagen fahren dürfte, erkundigt sich Yasmin Fahimi gleich zu Beginn ihres Besuchs bei der Abfallwirtschaft Stuttgart. Schließlich habe sie am Vortag schon einen Traktor mit 250 PS bewegen dürfen. Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes trifft bei ihrer Sommertour durch die turbulente betriebliche Wirklichkeit in Baden-Württemberg auf jede Menge Schwermetall. Gestartet ist sie bei John Deere in Mannheim, dem größten Traktorenwerk Europas – enden soll die Reise am Mittwochmittag beim Rüstungsproduzenten Airbus am Bodensee.

 

Müll sammeln in Stuttgarter „Scheißlagen“

Mittendrin, am Dienstagmorgen, macht Fahimi Station in Stuttgart bei der AWS, die mit ihrem schweren Gerät 100 000 Tonnen Restabfall im Jahr umschlägt, wie der Personalratsvorsitzende Heiko Wiebers erläutert. „Ohne uns läuft in Stuttgart gar nichts“, teilt er dem Gast mit und berichtet von dem „Knochenjob“ in Stuttgarter „Scheißlagen“ – womit diejenigen Stuttgarter Stufen gemeint sind, die mit Mülltonnen am Arm zu überwinden sind. Manche Kräfte bei der AWS „laden seit 40 Jahren Müll – Chapeau!“, lobt er. Hin und wieder kommt auch der Geschäftsführer Markus Töpfer zu Wort, der Fahimi launig aufklärt: „Wenn die 1100-Liter-Tonne voll ist, geht die mit Ihnen spazieren.“

Die DGB-Chefin beim Landtechnikhersteller John Deere Foto: Schiermeyer

Die Kurzzeit-Praktikantin lässt sich von Mohammed Yilmaz und Christoph Schumann einweisen, wie man einen solchen Behälter im Müllwagen entleert. Die Anerkennung für ihre Arbeit sei in der Bevölkerung gewachsen, stellen beide auf Nachfrage fest; sie seien froh, den Job der Müllbeseitiger zu machen, obwohl sie im Durchschnitt pro Schicht bis zu 700 Eimer entleeren müssen.

Das ist doch zur Abwechslung mal eine frohe Botschaft. Ohnehin fühlt sich die oberste Gewerkschafterin an diesem von Verdi-Vertretern bevölkerten Ort sichtlich wohl; dies wohl auch, weil sie unter Aufsicht von Fahrlehrer Thomas Weber tatsächlich noch einen 26-Tonner-Müllwagen 150 Meter über den Betriebshof fahren darf.

Lieber gleich zur Sache kommen

Seit drei Jahren ist Fahimi im Amt – ungefähr seit Beginn des Krieges in der Ukraine und damit in einer der turbulentesten Zeiten für die deutsche Arbeiterbewegung überhaupt. Die Krise schweißt die Gewerkschaften zusammen. Somit agiert auch die 57-Jährige intern völlig unumstritten. Dies hat nicht zuletzt mit einer gewissen Robustheit im mitmenschlichen Umgang zu tun. Wenn ihr etwas in der Organisation oder bei den geäußerten Inhalten nicht passt, dann tut sie es kund. Um den heißen Brei herumreden, mag sie nicht so sehr; lieber gleich zur Sache kommen. Schnell im Kopf – schnell mit dem Mund. Pausen gönnt sie sich nur für eine Zigarette.

Kritischen Punkten versucht sie sogleich, etwas entgegenzusetzen. Als ein Betriebsrat beim Besuch des Chemiekonzerns Lanxess in Mannheim über bürokratische Vorschriften der EU am Beispiel Nachhaltigkeitsberichterstattung klagt, ändert die DGB-Chefin zügig die Tonlage: „Wir sehen hier sehr wohl Effekte gerade in Fragen der Gewerkschaftsrechte und Menschenrechte“, weist sie den Mann kühl zurecht. Ja, es gebe Verbesserungsmöglichkeiten, gerade was doppelte Berichtspflichten angehe. „Ich sehe aber nicht, dass es überall Probleme macht.“ Da brauche es Vernunft. „Die Politkampagne läuft, dass das alles woker Schwachsinn sei.“ Sie finde „diese ideologisierten Debatten echt schwierig“. Auch der Fotograf des Betriebsrats kriegt gleich noch was ab: Dessen „Dauerfeuer“ störe sie sehr in der Konzentration. „Können Sie das bitte einstellen?“

Kein Gewerkschafter kann in TV-Talkshows derart Paroli bieten

Vor politischen Schwergewichten hat Fahimi ebenso wenig Scheu. Kein Funktionär aus dem Gewerkschaftslager, ob männlich oder weiblich, der sich in die TV-Talkshows wagt, kann den Alphatieren so abgeklärt Paroli bieten wie die DGB-Vorsitzende. Da macht sich ihre gute Schule als frühere SPD-Generalsekretärin bemerkbar. Sie weiß, wie man Politiker argumentativ stellt und bringt dafür jede Menge Selbstsicherheit mit.

Auch wenn sie sich in ihrer Rolle nicht als Helfershelferin der SPD, sondern parteipolitisch unabhängig sieht, ist die Sozialdemokratin an ihr unverkennbar. Kritik geht vor allem in Richtung CDU – wenn sie beispielsweise die immer agilere Wirtschaftsministerin Katherina Reiche in ihrer Arbeitgebernähe kritisiert. Warum diese jetzt eigentlich das längere Arbeiten und die Rente thematisiere, fragt Fahimi spitz. Da könne sie der Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) auch gleich mal empfehlen, „ein paar wirtschaftspolitische Thesen rauszuhauen“. Bei der CDU gehe noch vieles durcheinander, und das Problem sieht Fahimi im Kanzleramt: „Da fehlt es an Führung.“ Und der Zustand der SPD? Macht ihr diese nicht auch Sorgen. „Ja, klar“, sagt sie kurz angebunden.

Sie kann dieser Regierung „nur Erfolg wünschen“

Auch die vonseiten der Wirtschaft angegriffenen gesetzlichen Arbeitszeitregeln treiben sie massiv um. Es sei doch die große Gefahr, dass eine Auflösung der täglichen Höchstarbeitszeit in tarifungebunden Bereichen – speziell in der Systemgastronomie, der Hotellerie oder der Paketwirtschaft – eine völlige Entgrenzung der Arbeit auslöse. Da werde oft mit der Hochzeitsgesellschaft argumentiert, die bis in die Nacht hinein betreut werden müsse. Die sei ihr aber „so was von scheißegal“, wenn deswegen für weitere 99 Prozent der Arbeitsverhältnisse das Schutzgesetz eingeschränkt werden solle.

Fahimi beim Chemieunternehmen Lanxess Foto: Schiermeyer

Insgesamt „kann man dieser Regierung nur Erfolg wünschen“ – alle Alternativen seien keine gute Alternative für Deutschland, fasst Fahimi ihre moderierende Rolle gegenüber der Regierung in zwei Sätzen zusammen. Dieser Wunsch zielt auch auf die von den Rechten angeheizte Stimmung in den Belegschaften, über die sich die Vorsitzende am Abend in einer Stuttgarter Weinstube unterrichten lässt. Dicht an dicht hockt sie in der engen Stube mit knapp 20 Betriebsratsvorsitzenden, Gewerkschaftern und Journalisten beisammen, um die Talfahrt der Automobilindustrie in der Region Stuttgart zu erörtern. Das Treffen ordnet sie gleich als „Hintergrund“ ein, in dem die betrieblichen Gesandten ein offenes Wort nicht scheuen sollen. Auf diese Weise wird rasch deutlich, dass die Lage bei Mercedes, Porsche oder Mahle dramatisch ist.

Mercedes-Betriebsrat: „2035 schaffen wir nicht“

Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Mercedes-Benz, Ergun Lümali, lässt sich letztlich mit einer Forderung zitieren, die aufhorchen lässt. Demnach appelliert er an die Politik, sich bei der EU-Kommission für eine Verschiebung des Verbrenner-Verbots im Jahr 2035 einzusetzen. Das Aus bereits in zehn Jahren sei „nicht akzeptabel“ – „das schaffen wir nicht“, sagt er mit Blick auf die verhaltene Akzeptanz der Elektromobilität und die geringe Nachfrage nach Autos mit Elektromotor. Darüber müsse geredet werden – „die EU sollte das auch einsehen“.

Die DGB-Vorsitzende zeigt Verständnis – man führe vieler solcher Diskussionen. Sie kennt das: Wer Fragen wie die nach dem Verbrenner-Aus stellt, wird immer gleich als Gegner der Dekarbonisierung hingestellt – obwohl der „politische Ausbaupfad“ mit den Vorgaben nicht mitgehalten hat. Würde sie selbst so eine Forderung erheben, gäbe es viele Anrufe und E-Mails, schwant ihr.

Letztlich leitet sie aus all dem den Appell ans Kanzleramt ab, einen „breit gedachten Autogipfel“ speziell mit den Autoherstellern und Zulieferern sowie den Sozialpartnern zu initiieren. Es brauche „eine Neubewertung, wo wir stehen und was realistischerweise zu erreichen ist“. Frisch im Südwesten munitioniert, muss Deutschlands oberste Arbeiterführerin jetzt nur noch im fernen Berlin damit Gehör finden.