Sieben Bayern-Spieler und kein Dortmunder in der Startelf – droht ein Konflikt im deutschen Team?
Leipzig - Um Mitternacht ergriff der Große Vorsitzende das Wort. Beim Abendessen mit der Mannschaft machte Wolfgang Niersbach nach dem faden Leipziger Fußball-Allerlei Appetit auf das Turnier in Polen und der Ukraine, das für die deutsche Elf am 9. Juni gegen Portugal beginnt. „Wir werden eine erfolgreiche EM spielen, wenn ihr euch als verschworene Gemeinschaft präsentiert“, sagte der DFB-Präsident. Wenn es nur so einfach wäre.
Denn wie so häufig steckt der Teufel im Detail. Tatsächlich muss sich Niersbach über den Teamgeist keine Gedanken machen. In vielen anderen Bereichen aber fehlen noch mehr oder weniger Prozente. Womöglich sind das am Ende die entscheidenden Prozente, die über Sieg und Niederlage, Titel oder vorzeitigen Abflug entscheiden. Und die Zeit drängt. Wer garantiert, dass die angeschlagenen Per Mertesacker in der Innenverteidigung und Miroslav Klose im Angriff rechtzeitig in Spiellaune kommen? Oder dass Bastian Schweinsteiger fit wird? Oder Mesut Özil seine Lethargie ablegt?
Joachim Löw kennt die Antworten auf diese und alle anderen Fragen nicht. Für ihn ist die heiße Phase vor dem ersten Ernstfall auch eine Bauchsache. Er analysiert, wägt ab, setzt letzte Trainingsimpulse. Aber sicher sein kann er sich nicht. „Ich bin nicht völlig zufrieden, ich bin auch nicht in Sorge, aber ich kann mich auch nicht völlig zurücklehnen“, sagte Löw, „aber das ist normal vor einem Turnier, ich kann alles einordnen. Ich bin im Gleichgewicht.“
Löw moderiert zwischen den Rivalen aus München und Dortmund
Dafür ist vor allem die Rückkehr der Bayern-Fraktion verantwortlich. Sieben Profis aus München standen gegen Israel in der Startelf – gegenüber keinem einzigen Profi des deutschen Meisters und Pokalsiegers Borussia Dortmund. Auch als FC Bayern Deutschland blieb das Spiel des WM-Dritten ideenlos und seltsam träge. Dennoch setzt Löw bei der EM auf die internationale Qualität der Bayern-Stars. An sie knüpft er die Erwartung, dass sich der Erfolg leichter wieder einstellt, dass die alte Souveränität und Leichtigkeit der vergangenen Turniere rasch zurückkehrt. Die jungen Dortmunder Himmelsstürmer bleiben dagegen Ersatzlösungen, was intern noch den einen oder anderen Konflikt heraufbeschwören könnte. Mario Götze durfte am Ende noch sieben Minuten ran, dagegen schmorten Mats Hummels, Marcel Schmelzer und Ilkay Gündogan auf der Reservebank. Nur der künftige Dortmunder Marco Reus scheint bei Löw ganz gute Karten zu haben. „Ich sage nichts, ich habe ja nicht gespielt“, brummte Hummels schmallippig. Gündogan befand mit einem gequälten Lächeln: „Ich habe zuletzt genug gesagt.“
Joachim Löw ahnt das Konfliktpotenzial, er moderiert zwischen den Rivalen aus München und Dortmund. Für nächste Woche hat er den finalen Kampf um die Plätze ausgerufen: „Das wird erst am Freitag entschieden. Es werden die spielen, die volle Power geben können und in Top-Verfassung sind.“ Dabei weiß er am besten, dass die Rangordnung weitgehend zementiert ist.
Dennoch tut er gut daran, Spannung und Aufmerksamkeit in seinem Kader hoch zu halten. „Wir müssen in der nächsten Woche ganz fokussiert arbeiten. Wir müssen diese Woche optimal nutzen, denn es liegt viel Arbeit vor uns“, sagte er. Nach einer Trainingseinheit am Freitagvormittag reisten die Spieler aus Leipzig heim zu ihren Familien. Am Montag startet dann um 13.35 Uhr in Frankfurt das Flugzeug Richtung EM-Quartier in Danzig. „Die Spieler sollen jetzt zwei Tage durchschnaufen. Aber das ist individuell. Jeder hat einen Trainingsplan mitbekommen“, sagte Teammanager Oliver Bierhoff. Womöglich tritt die Mannschaft in Danzig noch gegen eine regionale Auswahl zu einem weiteren Testspiel an, in dem die Belastbarkeit der Sorgenkinder wie Mertesacker und Schweinsteiger getestet wird.
Er wisse, dass „mit dem ersten Turnierspiel die Handbremse gelöst wird und dann auch Hochspannung im ganzen Land herrscht“, sagte Löw. Wie groß die Euphorie sein wird und wie weit sie die deutsche Mannschaft trägt, bestimmt deren Auftreten. An Ehrgeiz mangelt es der deutschen Auswahl mal wieder am wenigsten. „Wir wollen am Ende sagen: Da ist das Ding“, sagte Lukas Podolski. Er meinte die silberne Henkelvase, die sich der neue Europameister in die Vitrine stellen darf.