Thomas Müller (rechts, gegen den Spanier Jordi Alba) ist zuversichtlich, dass der Einzug ins Achtelfinale gelingt. Foto: dpa/Federico Gambarini

Vor dem letzten deutschen Gruppenspiel gegen Costa Rica gibt es Parallelen zur WM 2018 in Russland. Folgt nach dem Rückenwind aus der zweiten Vorrundenpartie wieder das bittere Aus? Es gibt einige Punkte, die dagegen sprechen.

Thomas Müller wusste als alter Hase, wie der Hase läuft. „Ich weiß, welche Geschichte Sie im Kopf haben“, sagte er am Dienstagmittag auf dem Pressepodium und gab eine erste Antwort auf die Frage, die auch in seinen Augen ja fast kommen musste: „Aber die Geschichten, die werden hinterher nach dem Spiel geschrieben.“

Die Frage vor dem letzten deutschen WM-Gruppenspiel an diesem Donnerstag in Al-Khor gegen Costa Rica (20 Uhr/ARD) war zweigeteilt: War das späte Tor zum 1:1 gegen Spanien jetzt der sogenannte Dosenöffner in diesem Turnier? Und, fast noch wichtiger: Bei der WM 2018 gab es eine fast identische Situation nach der zweiten und vor der dritten Vorrundenpartie: Rückenwind nach dem zweiten Spiel (damals 2:1 gegen Schweden nach spätem Siegtor, heute 1:1 gegen Spanien nach spätem Ausgleich) – und große Zuversicht vor dem Gruppenfinale, weil der Gegner, nun ja, ein besserer Sparringspartner ist. Das Ende vor vier Jahren mit dem peinlichen 0:2 gegen Südkorea ist bekannt.

Frage also an Thomas Müller: Wird jetzt gegen Costa Rica alles besser, zieht die deutsche Elf dieses Mal im Gegensatz zu 2018 ins Achtelfinale ein?

Müller nannte dann bei seiner Antwort seinen Hauptgrund dafür, dass es in Katar 2022 besser klappen könnte als in Kasan 2018, dem Spielort gegen Südkorea. „Was mich sehr positiv stimmt“, sagte der Offensivmann: „Wir haben es hier in Katar zuletzt geschafft, die Dinge sehr schnell umzusetzen, die uns zu einer Mannschaft machen – ich hätte es nicht gedacht im Vorfeld, dass wir auf höchstem Niveau gegen einen schwierigen Gegner wie Spanien so bestehen können.“

Dann gab es von Müller die so kurze wie richtige Ansage aus Sicht der DFB-Elf: „Jetzt müssen wir es anders machen als 2018 gegen Südkorea.“

Damals, vor dieser finalen Bankrotterklärung in Russland, war so wie jetzt in Katar viel von einer Aufbruchstimmung im deutschen Lager die Rede. Davon, dass es nach dem 2:1 im zweiten Gruppenspiel so richtig losgehe. Es sollten leere Worthülsen einer zerstrittenen Mannschaft und ihres in andere Sphären abgehobenen Bundestrainers mit dem Namen Joachim Löw bleiben. Der ZDF-Kommentator Béla Réthy sagte während der Partie gegen Südkorea den besten Satz seines Reporterlebens: „Das ist hier alles keine Zeitlupe, das sind reale Bilder!“

Wird jetzt vier Jahre später alles schneller und besser gegen Costa Rica?

Es spricht einiges dafür. So startete die DFB-Elf 2018 schon miserabel ins Turnier. Das 0:1 gegen bissige Mexikaner war, frei nach Rethy, auch schon ein deutsches Zeitlupenspiel – und zwar in den Bewegungen nach vorne und hinten.

Jetzt, in Katar, gab es zum Auftakt gegen Japan erst starke erste 65 Minuten, ehe der unerklärliche Einbruch folgte – und dann ein beeindruckender Auftritt in der zweiten Partie gegen den Weltklassegegner Spanien. Vor vier Jahren hieß der zweite Gegner Schweden und war eine Klasse schwächer als die Spanier jetzt.

Damals, 2018, erzielte Toni Kroos mit einem Freistoß das Siegtor kurz vor Schluss – und polterte in Sotschi wenig später los. „Ich habe das Gefühl, dass es relativ viele Leute gefreut hätte, wenn wir ausgeschieden wären“, sagte der Weltmeister: „Aber so einfach machen wir es denen nicht.“ Denen, den Medien, den Experten und so manchen kritischen Fans in der Heimat.

Hier lässt sich nun eine Parallele zur aktuellen Mannschaft ziehen. So saß der Offensivmann Kai Havertz kürzlich auf dem Pressepodium des DFB im äußersten Norden Katars – und sagte nach der Debatte um das (Nicht-)Tragen der One-Love-Binde und dem eher fehlenden Zuspruch aus der Heimat dies: „Ich weiß, dass immer voll geschossen wird und nicht jeder hinter uns steht.“

Havertz also gab eine Art „Kroos light“ zum Besten – aber hier hören die Parallelen schon auf. Denn 2018 erstickte die Debatte um Mesut Özil und Ilkay Gündogan nach deren Foto mit dem türkischen Despoten Recep Erdogan jede gute Stimmung im Keim, und das über die gesamte Vorrunde. Nun, in Katar, bekommt man eher das Gefühl, dass der Fokus nach der Kapitänsbindendebatte in der medialen Öffentlichkeit wieder auf dem Sportlichen liegt. Mannschaftsintern liegt er da ohnehin längst wieder.

Überhaupt, die Stimmung: 2018 war die Mannschaft in die stolzen Weltmeister von 2014 wie Mats Hummels und die aufstrebenden Confed-Cup-Sieger von 2017 um Leon Goretzka geteilt. Nun, in der Wüste, scheint das Binnenklima ein besseres zu sein.

Dass Thomas Müller etwa nach dem Spiel gegen Spanien in Niclas Füllkrug seinen Offensivkonkurrenten abfeierte und diesen nach dessen Tor in den sozialen Medien als „geile Sau“ bezeichnete – so etwas wäre vor vier Jahren undenkbar gewesen.

Damals, als in Kasan nicht nur Müller bittere Tränen vergoss.