Eher schnippisch unterwegs: Bundestrainer Julian Nagelsmann Foto: IMAGO/Eibner

Die DFB-Elf ist vor dem WM-Qualifikationsspiel an diesem Montag in Nordirland Tabellenführer in der Gruppe – doch Bundestrainer Julian Nagelsmann ist trotzig unterwegs. Warum?

Irgendwie hatten sie fast alle gestrahlt. Die Zuschauer in Sinsheim, die zufrieden waren ob eines unspektakulären, aber standesgemäßen 4:0-Sieges gegen Luxemburg – es war ja alles schon viel schlimmer, zum Beispiel vor einem Monat bei der 0:2-Blamage von Bratislava gegen die Slowakei. Auch die Männer in den weißen Trikots grinsten zumindest, als sie sich am späten Freitagabend auf ihre Ehrenrunde machten. Manche strahlten hinterher in den Katakomben der Sinsheimer Arena, allen voran Joshua Kimmich, der Wieder-Rechtsverteidiger, Kapitän und Doppeltorschütze der DFB-Elf. Auch im Presseraum der Sinsheimer strahlte es überall – von oben herab, denn die Scheinwerfer gaben grelles Licht.

 

Der Mann, der auf das Pressepodium schritt und dort Platz nahm, strahlte nicht. Er grinste nicht einmal. Julian Nagelsmann (38) hatte die Mimik aus der fatalen Nacht von Bratislava übernommen: Grimmig war sein Ausdruck, schnippisch waren sein Aussagen. Schon vor ein paar Wochen, das ist wichtig für die Betrachtung im Gesamtkontext, war der Bundestrainer nach einem Erfolg seiner Elf zumindest pikiert – nach dem 3:1 gegen Nordirland in Köln kam er nach Pfiffen zur Pause zur Annahme, in Deutschland säßen viele Leute wie „Hyänen im Busch“, um bei der ersten Möglichkeit über seine Mannschaft herzufallen.

Bundestrainer Julian Nagelsmann nörgelt

Jetzt, nach dem Sieg gegen Luxemburg, mit dem die DFB-Elf die Tabellenführung in ihrer WM-Qualifikationsgruppe eroberte, und vor der nächsten Partie an diesem Montag in Belfast gegen Nordirland (20.45 Uhr/RTL), war Nagelsmann wieder im Angriffsmodus. Sein Ziel saß in Sinsheim unter ihm im Auditorium – es ging ihm um die öffentliche Meinung zu gewissen Themen, und die werden ja in der Regel von rechtschaffenden Medienschaffenden verbreitet. Schnell wurde klar, dass Nagelsmann oben auf dem Podium eher ein Tal der Ahnungslosen unter sich wähnte, auch wenn er das selbstredend nicht so gesagt hat.

Ein paar Kostproben? Als es um den zumindest bei der DFB-Elf abermals glücklosen Offensivmann Nick Woltemade ging, der ja nach seinem Wechsel vom VfB Stuttgart in England bei Newcastle United durchstartet, nahm ihn der Bundestrainer erst in Schutz („Er hat einen guten Lauf bei Newcastle, er hat da schon mehrfach getroffen, er wird auch bei uns treffen.“) – ehe er der Thematik dieses Schlussplädoyer gab: „Wir müssen uns nicht beteiligen an der Schnelllebigkeit des Geschäfts.“ Auch die Bewertungen von Offensivmann Florian Wirtz, der im Sommer für 125 Millionen Euro zum FC Liverpool wechselte, stufte Nagelsmann nach dessen ausbaufähigem Saisonstart als Gerede ein: „Sobald Flo drei Tore macht, wird er der Königstransfer sein – jetzt ist er noch ein bissel teuer.“

Auch bei Joshua Kimmich nörgelt Nagelsmann

Und dann, ja klar, mussten ja irgendwann die Fragen nach Joshua Kimmich kommen. Der Kapitän war gegen Luxemburg plötzlich wieder Rechtsverteidiger, nachdem Nagelsmann im Sommer ausführlich begründet hatte, warum er seinen Anführer fortan wieder im Mittelfeldzentrum sieht. Es folgte die Rolle rückwärts von Sinsheim – und Nagelsmanns Ausführung dazu: „Ich habe das schon ein paar Mal gesagt: Er kann beide Positionen relativ kurzfristig ausführen.“ Notfalls auch dann, wenn er erst eine halbe Stunde vor Spielbeginn über seine Aufgabe informiert werde.

Was wollt ihr denn alle – diese Frage schwang unausgesprochen immer mit bei Nagelsmanns Auftritt, auch übrigens bei einer weiteren nicht unwichtigen Thematik: bei der großen Frage, ob der ewige Manuel Neuer bei der WM im nächsten Sommer ins deutsche Tor zurückkehren wird. „50 Prozent meiner Redezeit geht über Torhüter – ich habe einen absoluten Fachmann an meiner Seite, der auch entscheidet, natürlich in Absprache, wer nominiert wird: Andreas Kronenberg“, meinte Nagelsmann mit Blick auf seinen Torwarttrainer.

Um diese geballte Patzigkeit einzuordnen, braucht es bei Nagelsmann wieder den Blick aufs Ganze, auf den Gesamtkontext. Und darauf, wie der Bundestrainer tickt, wenn es um die Stimmung im Land und die öffentliche Wahrnehmung rund um die DFB-Elf geht. Kurzer Rückblick auf die inzwischen legendären Aussagen nach dem EM-Aus im Viertelfinale gegen Spanien. Nagelsmann sagt im Juli 2024 dies: „Wir leben in einem Land, das viel zu viel in Tristesse verfällt, stetig und ständig. Es gibt mir hierzulande zu viel Schwarzmalerei. Gemeinsam ist man stärker. Wenn ich dem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden, ist er schneller fertig.“

Der Bundestrainer formuliert im Juli 2024 den WM-Titel 2026 als Ziel. Er denkt groß – und, das ist ein entscheidender Punkt: Er erwartet, dass am besten das ganze Land so groß denkt. Und bedingungslos mitzieht. Ohne Nörgeln, ohne die besagte Schwarzmalerei. Alle wollen den Titel, und dafür, das ist Nagelsmanns Mantra, müssen alle zusammenhalten. Auch die Medienvertreter, denen er im Sommer 2025 nach den zwei Niederlagen im Final Four der Nations League dies sagt: „Ihr wollt doch auch alle in die USA fliegen und möglichst lange dabei bleiben, da sitzt ihr auch mit im Boot.“

Kaum verwunderlich also ist es bei dieser Sehnsucht nach Einigkeit und toller Stimmung rund um seine Mannschaft, dass Nagelsmann bei öffentlichem Gegenwind, sei es von den Zuschauern auf den Rängen oder in der Berichterstattung nach schwachen Auftritten, gerne mal in eine Art Grummelmodus verfällt – der dann auch ein paar Wochen andauern kann.

Und, klar, auch das gewichtige Amt des Bundestrainers tut sein Übriges. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Trainer der wichtigsten Mannschaft der Fußballrepublik Deutschland von Millionen Besserwissern umgeben ist. Nagelsmann hat in zwei Jahren im Amt viele sportliche und emotionale Höhen und Täler erlebt – auch sein Ansehen in der öffentlichen Wahrnehmung war diesem steten Auf und Ab ausgesetzt. Das kann zermürben. Und offenbar mitunter ein bisschen dünnhäutig machen.