Was kommt dabei heraus, wenn die Beatsteaks, Drangsal, Charlotte Brandi und die Nerven auf die Punkrockinstitution Hans-A-Plast treffen? Die generationsübergreifende Supergroup Die Benjamins hat mit Stuttgarter Beteiligung eine vielversprechende Debüt-EP veröffentlicht.
Zu einem zackigen New-Wave-Beat, einem knuffigen Gitarrenriff, einem knurrigen Bass und verschrobenen Synthieharmonien seziert Annette Benjamin in „Aus Liebe“ die Spiele der Erwachsenen, die sich oft hinter dem Ausdruck Liebe verbergen. Später wird sie sich noch virtuos mit ihrer markanten Stimme durch die Indierockhymne „Drehen und wenden“ winden, uns im zart-spröden „Gleißendes Glück“ einen herrlichen Poprefrain bescheren, sich im hibbeligen „Kommen und gehen“ wunderbar genervt geben und „Verschwinden“ in bittersüße Melancholie tunken.
Hans-A-Plast: Punk und Feminismus
Wenn man glaubt, aus diesen Songs mal die Beatsteaks, mal Drangsal, mal die Nerven, mal Charlotte Brandi und mal Hans-A-Plast herauszuhören, liegt man keinesfalls verkehrt. Denn Die Benjamins sind das, was man gerne eine Supergroup nennt. Und alle Mitglieder dieses Quintetts bringen in die Songs der Benjamins-Debüt-EP ihre eigene Vorgeschichte mit: Max Gruber, den man besser als Drangsal kennt, Charlotte Brandi, der Nerven-Bassist Julian Knoth, der Beatsteaks-Schlagzeuger Thomas Götz und vor allem Annette Benjamin, die die Sängerin der Hannover Band Hans-A-Plast war, die 1979 den Punk nicht nur nach Deutschland brachte, sondern ihn auch mit bissigem Feminismus aufgeladen hat.
„Ich würde die Hans-A-Plast-Texte nicht als Botschaften bezeichnen. Es waren einfach Beschreibungen des damaligen Zustands“, sagt Benjamin im Zoom-Interview. Sie glaubt zwar, dass sich der Zustand inzwischen etwas geändert hat und es heute ein größeres Bewusstsein für weibliche Perspektiven gibt. „Aber leider ist es immer wieder ein Kampf, die Rechte für Frauen durchzusetzen“, sagt sie, „und wenn es zum Beispiel um Gewalt in Beziehungen oder um Dominanz geht, ist meine Beobachtung, dass sich das nicht geändert hat.“
Wer oder was ist Drangsal?
Weil Benjamins Texte und die Musik von Hans-A-Plast so großartig eigenwillig waren, gibt es auch vierzig Jahre nach dem Ende der Band immer noch viele Fans. Einer davon ist Julian Knoth, der ebenfalls über Zoom zugeschaltet ist: „Ich habe Hans-A-Plast erst relativ spät entdeckt, so 2014, 2015. Da gab es die Nerven schon lange“, sagt der Stuttgarter: „Ich fand es sehr faszinierend, wie aktuell viele Texte immer noch sind. Und wie krass die Texte für die damalige Zeit waren.“
Ein anderer Fan ist Max Gruber, besser bekannt als Drangsal. Der rief einfach mal bei Annette Benjamin an, outetet sich als Hans-A-Plast-Anhänger und schlug ein gemeinsames musikalisches Projekt vor. Doch Benjamin hatte den Namen Max Gruber noch nie gehört: „Ich habe dann meine Töchter gefragt, ob sie die Band Drangsal kennen“, verrät sie. Und weil die Drangsal nicht nur kannten, sondern auch gut fanden, hat sie wenig später mit ihren Töchtern ein Drangsal-Konzert besucht und war begeistert – auch darüber, wie es backstage zuging: „Ich kenne das ja von früher. Wir bei Hans-A-Plast haben immer so obercool getan. Doch die waren alle supernett.“ Zweimal treffen sich die beiden, probieren Songs aus. Als Benjamin das dritte Mal zu Gruber nach Berlin kommt, hat er bereits die Band für sie gefunden.
Obwohl hier nun das Who’s who der Indierockszene Deutschlands aufeinandertrifft, mag Julian Knoth den Begriff Supergroup nicht wirklich: „Was soll das eigentlich heißen: Supergroup? Natürlich profitieren wir als Band von den unterschiedlichen Erfahrungen, die wir alle mitbringen“, sagt er. „Es geht aber nicht darum, dass hier fünf einzelne Personen aufeinandertreffen, die irgendwie alle krass sind, sondern, dass sich die Gruppe organisch zu etwas Schlüssigem zusammengesetzt hat. So, wie das seit Jahrtausenden funktioniert, dass man in der Musik eine gemeinsame Sprache findet.“
Das Who’s who des Indierock
Tatsächlich ist eine Stärke der Band, die ursprünglich auch mal Annette und die Benjamins heißen sollte, dass hier eine große Offenheit gepflegt wird: „Was uns eint ist, dass wir uns alle extrem dafür begeistern können, uns mit ganz unterschiedlichen Stilen von Musik auseinanderzusetzen“, sagt der Bassist, „mal schimmert Drangsal durch, dann Charlotte, dann die Beatsteaks, dann die Nerven, dann Hans-A-Plast. Und das alles wird zusammengehalten durch Annettes Texte und die Art, wie sie singt.“
Eine Stimme, die lange verschwunden schien
Beim ersten Zuhören könnte man zwar glauben, es gehe in den Liedern nicht mehr wie einst bei Hans-A-Plast um gesellschaftliche Zusammenhänge, sondern um Persönliches. Doch da widerspricht Annette Benjamin entschieden: „Im Privaten, in Beziehungen spiegeln sich die großen Fragen wider – etwa die nach dem Machtverhältnis“, sagt sie. Weil sie auch bei Hans-A-Plast immer schon von Macht und Machtverhältnissen gesungen habe, sei der Sprung gar nicht so groß. „Bei Hans-A-Plast gab es von der ersten zur zweiten und zur dritten Platte eine ziemliche Veränderung – auch textlich. Und inzwischen bin ich auch älter geworden, dadurch hat sich die Perspektive verändert und erweitert. Aber dass viel Persönliches mit reinspielt, heißt nicht, dass ich politisch nicht engagiert bin.“
Auch dieser andere Blickwinkel Benjamins macht die EP, die ein Vorgeschmack auf eine Tour und vielleicht ein Album sein könnte, außergewöhnlich. Schließlich frönt die Popindustrie, gerade was Weiblichkeit angeht, gerne dem Jugendlichkeitswahn. „Es ist ja leider so, dass einige weibliche Stimmen ab einem bestimmten Alter einfach verschwinden. Auch Annette war lange verschwunden“, sagt Julian Knoth. „Und es ist fantastisch, dass jetzt nicht nur diese Stimme wieder zu hören ist, sondern sie in ihren Texten aufgrund ihrer Lebenserfahrung eine ganz eigene Perspektive mitbringt, die sonst kaum vorkommt.“
Die Benjamins: Die Benjamins. Tomatenplatten/Cargo Records
Hans-A-Plast: Pioniere des deutschen Punk
Band
Im Jahr 1979 erschien das Debütalbum der Hannover Band Hans-A-Plast im Eigenvertrieb. Es ist mit Songs wie „Rock-’n’-Roll-Freitag“ oder „Hau ab, du stinkst“ ein Klassiker des deutschsprachigen Punk. Prägend waren der Gesang und die Texte Annette Benjamins
Geschichte
Die beste Buch über die Entstehung des deutschen Punk und New Wave Ende der 1970er Jahre ist immer noch Jürgen Teipels Doku-Roman „Verschwende Deine Jugend“, der im 2001 erstmals im Suhrkamp-Verlag erschienen ist.