Klimakrise ignoriert, steht auf einem Schild: Symbolisch für Ignoranz und Nichteinhaltung der Klimaziele zur Abwehr des globalen Klimawandels. Foto: Imago/Bihlmayerfotografie

2023 war es global fast 1,5 Grad wärmer als im vorindustriellen Zeitalter. 2024 wird diese Schwelle wohl überschritten, wie wenige Tage vor der Weltklimakonferenz in Aserbaidschan bekannt wird. Und die Aussichten sind noch düsterer – auch für Deutschland.

Die Durchschnittstemperaturen in Deutschland, Österreich und der Schweiz würden Modellsimulationen zufolge bei einem ungebremsten globalen CO2-Ausstoß bis zum Ende des Jahrhunderts um weitere 1,5 bis 4,5 Grad Celsius steigen und unter anderem zu einer drastischen Zunahme von Hitzetagen führen.

 

Das geht aus einem am Freitag (8. November) vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach und den nationalen Wetterdiensten der Schweiz und Österreichs gemeinsam veröffentlichten aktuellen Studie hervor.

Bis 2100 um 4 bis 7,5 Grad höhere Temperaturen

Demnach würde die Durchschnittstemperatur in Deutschland und den südlichen, deutschsprachigen Nachbarländern in einem solchen Szenario bis zum Jahr 2100 um 4 bis 7,5 Grad über dem Wert vorindustrieller Zeit liegen.

„Damit wären massive Auswirkungen verbunden: Unter anderem eine weitere Zunahme der Hitzebelastung, noch weniger Schnee in tiefen Lagen und mehr sowie intensivere Ereignisse mit Starkregen“, heißt es in der Analyse der drei Wetterdienste. Mit diesem wollen sie vor der UN-Klimakonferenz (COP29) für mehr Klimaschutz werben.

Die COP29 beginnt am Montag (11. November) in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku unter schwierigen Vorzeichen – unter anderem wegen der Wahl des als Leugner des Klimawandels bekannten Donald Trump zum neuen US-Präsidenten. Deutschland, traditionell ein Treiber bei internationalen Klimaverhandlungen, steckt in einer schweren Regierungskrise und ist de facto führungslos. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte seine Reise nach Baku ab. Auch andere wichtige Staats- und Regierungschefs fehlen.

Heute und Morgen: Werden aus Deutschlands blühenden Landschaften in einigen Jahrzehnten öde Wüsten? Foto: Imago/Depositphotos

Deutlich mehr Hitzetage

Bei „konsequentem globalen Klimaschutz“ könnten sich die Klimaerwärmung den Modellsimulationen nach im deutschsprachigen Raum dagegen knapp über dem aktuell bereits erreichten Niveau einpendeln, heißt es in dem unter anderem vom DWD in Offenbach veröffentlichten Strategiepapier.

In Deutschland war das Klima in den vergangenen zehn Jahren demnach bereits 2,3 Grad wärmer als in vorindustrieller Zeit. Im laufenden Jahr setzte sich der Trend weiter fort.

Sollte der globale Ausstoß von Treibhausgasen ungebremst so wie bisher weitergehen, würde dies den Simulationen zufolge unter anderem zu einer Vervielfachung von Hitzetagen mit Temperaturen von mindestens 30 Grad führen. Laut DWD würde deren Zahl in weiten Teilen Deutschlands bis Ende des Jahrhunderts dann bei mehr als 40 liegen. Derzeit sind es im bundesweiten Schnitt etwa sieben.

2,3 oder 4 Grad mehr? Was soll’s! Hauptsache die Menschheit kann weiter fossile Energien verfeuern. Foto: Imago/Panthermedia

Gemeinsame Verantwortung

In Österreich würde die Zahl der extrem heißer Tage in tieferen Lagen in einem solchen Szenario laut Wetterdiensten dann sogar bei 60 bis 100 und damit in einem „derzeit noch völlig unvorstellbaren Bereich“ liegen, wie die Wetterdienste erklären.

Angesichts der Folgen der Erderwärmung hätten alle Länder – darunter auch Deutschland, Österreich und die Schweiz – „die Verantwortung, ihren Beitrag an den Emissionsreduktionen zu leisten“.

Info: Mismatch-Theorie

Menschheit in der Sackgasse
Die Menschheit läuft Gefahr, sich selbst in ihrer Entwicklung in Sackgassen zu manövrieren, aus der es kaum noch ein Entrinnen gibt. Insgesamt 14 solcher Evolutionärer Fallen haben schwedische Forscher in einer neuen Studie ausgemacht. Darunter sind Klima-Kipppunkte und Umweltverschmutzung genauso wie eine falsch ausgerichtete künstliche Intelligenz und die Beschleunigung von Infektionskrankheiten. Wenn sich Merkmale, die für die Evolution einer Gattung einst vorteilhaft waren, sich aufgrund von Umweltveränderungen plötzlich nachteilig auswirken, spricht man von einer Evolutionären Falle oder Evolutionären Diskrepanz. Dieses evolutionsbiologische Konzept wird auch als Mismatch-Theorie bezeichnet.

Anthropozän
Das Forscherteam um den Umweltökologen Peter Søgaard Jørgensen sieht solche evolutionäre Fallen auch für die Menschheit gegeben. Insgesamt sei ihre soziokulturelle und zivilisatorische Evolution eine „außergewöhnliche Erfolgsgeschichte“, deren Ergebnis das Anthropozän darstelle – also das Erdzeitalter des Menschen –, wie es in der Untersuchung heißt. Doch das Anthropozän zeige Risse: Globale Krisen wie Covid-19-Pandemie, Klimawandel, Ernährungsunsicherheit, Finanzkrisen und Konflikte hätten begonnen, gleichzeitig aufzutreten. Dieses Phänomen wird auch als Polykrise bezeichnet.Die Studie ist im Fachmagazin „Philosophical Transactions of the Royal Society B“ erschienen.

Diskrepanz
Der Begriff Evolutionäre Falle oder Evolutionäre Diskrepanz wird in der Evolutionsbiologie auch als Mismatch-Theorie bezeichnet. Damit ist Folgendes gemeint: Merkmale, die sich in der Evolution herausgebildet und für die Entwicklung einer Spezies als vorteilhaft erwiesen haben, können sich aufgrund von veränderten und zu schnell sich wandelnden Umweltbedingungen als negativ herausstellen und den Entwicklungsprozess der Gattung behindern - und im Extremfall beenden. Dies kann beim Mensch und bei Tieren stattfinden und wird oft auf schnelle Umweltveränderungen zurückgeführt. Die Mismatch-Theorie beschäftigt sich folglich mit der Idee, dass Merkmale, die sich in einem Organismus in einer bestimmten Umwelt entwickelt haben, in einer anderen Umgebung nachteilig sein können.

Acht Todsünden
Einer der Hauptvertreter dieser Theorie ist der österreichische Zoologe und Medizin-Nobelpreisträger von 1973, Konrad Lorenz (1903-1989). In seinem Buch „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ aus dem Jahr 1973 untersucht der Verhaltensbiologe jene Vorgänge, die nach seiner Ansicht zur „Dehumanisierung der Menschheit“ beitragen. Diese acht Prozesse sind: (1) Überbevölkerung, (2) Verwüstung des natürlichen Lebensraums, (3) übermäßige Beschleunigung aller gesellschaftlichen Prozesse, (4) Drang zu sofortiger Befriedigung aller Bedürfnisse (Hedonismus), (5) genetischer Verfall wegen des Wegfalls der natürlichen Auslese, (6) Verlust bewährter Traditionen, (7) zunehmende Indoktrinierbarkeit, (8) Kernwaffen.