Brasilien trägt bis heute Trauer über die 1:7-Niederlage bei der WM gegen Deutschland. Foto: dpa

Den 8. Juli 2014 wird Brasilien niemals vergessen: Die einst so stolze Seleção erleidet vor den Augen der Welt die größte Schmach ihrer Fußball-Geschichte - und Deutschland eilt in Sieben-Tore-Stiefeln Richtung Titel.

Frankfurt/Main - Sete a um!“ Der Ausruf hat in Brasilien kaum etwas von seinem Schrecken verloren. 7:1! Das historische Debakel der Seleção bei der Heim-WM gegen Deutschland vor einem Jahr hat die einst stolze Fußball-Nation immer noch nicht verwunden. Zumal der Rekord-Weltmeister nach dem frühen Aus bei der Copa América wieder in der Krise steckt und sich im Hinblick auf Russland 2018 erst wieder aufrappeln muss.

„Nur Gott kann erklären, was damals passierte“, sagte Fußball-Legende Pelé über den 8. Juli 2014. Doch es gab viele irdische Fehler, begangen vor allem vom damaligen Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari und seinen überforderten Defensivspielern.

Ein Buch wurde veröffentlicht

Über die 90 Minuten im Mineirão-Stadion von Belo Horizonte ist fast alles gesagt - und sogar ein Buch geschrieben geworden: „7:1. Das Jahrhundertspiel“ von Christian Eichler. Die Biografie eines Fußballspiels. Das Titelbild ist von mitreißender Symbolik: Tischkicker, zwei gesichtslose Spieler im rot-schwarzen Trikot rechts und links, aufrecht wie Zinnsoldaten. Zwischen ihnen eine Figur im gelben Hemd, die die Hände vors Gesicht schlägt. Die Frisur verrät den beschämten Spieler: Es ist Dante, einer der unglücklichsten Figuren in jener denkwürdigen Halbfinalpartie.

Der Profi des FC Bayern durfte ausgerechnet gegen Deutschland erstmals bei der WM ran - und ging mit der Mannschaft von Trainer Scolari unter. Seitdem hat Dante kein Länderspiel mehr gemacht, seinen Stammplatz in München verloren und auch seinen Ruf als Gute-Laune-Bär. Vor ein paar Monaten erzählte er, dass er sich Witze der Weltmeister im Bayern-Team über das 1:7 verbeten habe: „Es war für uns viel ernster, als ihr euch vorstellen konntet.“ In der „Bild am Sonntag“ sagte er nun: „Ich glaube, wir müssen einsehen, dass wir unorganisiert waren. Es war ein sehr schlechter Teil meiner Karriere, aber ich bin darüber hinweg.“

Auch ein TV-Rekord wurde gebrochen

Für die deutsche Nationalmannschaft und ihre Fans war die Begegnung ein Riesencoup auf dem Weg zum vierten WM-Triumph - für Brasilien das „Mineiraço“, nur vergleichbar mit dem „Maracanaço“, als der WM-Gastgeber 1950 in Rio de Janeiro gegen Uruguay den Titel verspielte. Die Sportzeitung „Lance!“ schrieb damals von der „größten Schande in der Geschichte. Eine unvergleichliche Folter für diejenigen, die die Seleção lieben.“ 32,57 Millionen Menschen (Marktanteil 87,8 Prozent) bei der ZDF-Übertragung sorgten an diesem magischen Fußball-Abend von Belo Horizonte übrigens für einen Fernsehrekord in Deutschland.

Ginge es nach der Statistik, hätte es in diesem WM-Halbfinale nur einen Gewinner geben dürfen: Brasilien. Der Gastgeber schoss häufiger (18:14), traf dabei sogar häufiger das Tor (13:12) und hatte auch mehr Ballbesitz als das deutsche Team (51 Prozent). Aber das „System Neymar, Neymar“, wie es DFB-Chefausbilder Frank Wormuth bei einer WM-Analyse mal bezeichnete, scheiterte krachend ohne den verletzten Stürmerstar.

Brasilien leidet bis heute

Für Scolari war es „die schlimmste Niederlage aller Zeiten“. Nach dem 1:7 gegen die „Alemães“ und dem trostlosen 0:3 im Spiel um Platz drei gegen die Niederlande musste er seinen Hut nehmen, natürlich. „Ich muss zugeben: Ich habe mich bis heute nicht erholt“, sagte Brasiliens damaliger Verbandspräsident José Maria Marin mehr als ein halbes Jahr nach der Klatsche gegen Deutschland. Inzwischen hat er freilich andere Sorgen: Marin ist einer jener FIFA-Funktionäre, denen das US-Ministerium unter anderem organisiertes Verbrechen zur Last legt.

Die sportlichen Aufräumarbeiten dauern ebenfalls an: Scolaris Nachfolger Carlos Dunga blieb zwar zwischen WM und Copa unbesiegt. Doch beim Viertelfinal-Aus gegen Paraguay in Chile zeigte sich, dass der fünfmalige Weltmeister vor allem eines verloren hat am 8. Juli vergangenen Jahres: die Achtung der anderen Fußball-Nationen.

Mit dem 1:7, so schrieb Buchautor Eichler, ist „der brasilianische Mythos zerbrochen“. Das wird Brasilien beim olympischen Fußball-Turnier 2016 in Rio und vor allem in der WM-Qualifikation für 2018 zu spüren bekommen. Das, räumte Dunga ein, „ist unsere eigentliche Herausforderung“.