Gerettete Flüchtlinge vor Lampedusa: Am 25. Oktober wurden in mehreren Einsätzen mehr als 800 Flüchtlinge aufgegriffen, die über das Mittelmeer nach Europa wollten Foto: ANSA

Sollen Asylbewerber für 1,05 Euro pro Stunde in Deutschland arbeiten dürfen? Nein, findet Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg. Im Gespräch erklärt sie, wie eine echte Integration der Flüchtlinge aussehen könnte.

Stuttgart - Sollen Asylbewerber für 1,05 Euro pro Stunde in Deutschland arbeiten dürfen? Nein, findet Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg. Im Gespräch erklärt sie, wie eine echte Integration der Flüchtlinge aussehen könnte.

Frau von Schenck, das DRK fordert eine humanere Flüchtlingspolitik in Europa. Was kritisieren Sie konkret?
Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg Foto: DRK
Zum einen fordert das DRK: Jeder Flüchtling ist ein Mensch. Für uns ist es unerträglich, dass Menschen vor der Küste Italiens ertrinken. Da muss man bedingungslos Hilfe leisten. Wobei uns ganz klar ist, dass wir nicht nur den Schleppern das Handwerk legen müssen.
Sondern?
Wir müssen in die einzelnen Länder hineingehen und dort Hilfe leisten. Wir wünschen uns in Europa eine bessere Koordinierung, eine bessere Lastenverteilung, und wir müssen auf Verfahren einwirken, die wir als Europäer nicht billigen – zum Beispiel dass die Küstenwache zugeschaut hat, als Menschen ertrunken sind.
In Europa wird gerade viel über eine andere Verteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Mitgliedstaaten diskutiert. Würde eine Einigung helfen?
Es ist keine Lösung, Flüchtlingsströme zu verteilen. Man muss alles daransetzen, die Verhältnisse vor Ort zu verbessern. Es hat äußerste Priorität, in den betroffenen Ländern Entwicklungshilfe zu leisten. Das bedeutet, dass der Einsatz von Entwicklungs- und Spendengeldern überwacht werden sollte, und auch die Firmen vor Ort müssen die Menschenwürde achten. Denken Sie nur an Bangladesch und die Brände in der Textilindustrie: Da sind wir gefordert, vor Ort etwas zu verbessern.
Aktuell ist ein großer Brennpunkt der Bürgerkrieg in Syrien. Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes wurden dort vor kurzem entführt. Wie kann man unter solchen Bedingungen sinnvoll Hilfe leisten?
In Syrien sind wir mit unserer Schwesterorganisation nicht nur in den Gebieten von Assad, sondern auch in den Oppositionsgebieten. Wir müssen auf unsere Mitarbeiter achten, dürfen aber trotzdem nicht nachlassen, in diesen Regionen tätig zu sein. Es bringt natürlich Gefahren mit sich, wenn wir in die Gebiete gehen, wo die Kriege sind. In Syrien versuchen wir mit 16 mobilen Kliniken, den Menschen zu helfen. Wir verteilen monatlich mit dem syrischen Halbmond zusammen 400 000 bis 450 000 Lebensmittelpakete. Das ist unsere Aufgabe: den Menschen Hilfe zur Selbsthilfe in ihrem Land zu leisten. Mit dem Ziel, die lokalen Strukturen, die Kapazitäten und die Kompetenzen in den Ländern zu stärken. Aber es dauert, bis diese Maßnahmen wirklich Früchte tragen.
Was kann da die Politik tun?
Wir arbeiten eng mit der Politik zusammen, mit dem Auswärtigen Amt und auch mit dem Minister für Entwicklungshilfe – genau da müssen wir Einfluss nehmen. In Syrien beispielsweise bekommen wir finanzielle Unterstützung der Bundesregierung. Damit und durch Spendengelder haben wir dort bisher Hilfe für 22 Millionen Euro geleistet.
Und außer finanziellen Mitteln?
Wir müssen auch versuchen, auf die Politik in unserem Land Einfluss zu nehmen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode schon eine ganze Menge erreicht.
Zum Beispiel?
Die Lockerung der Residenzpflicht in Thüringen. Oder dass Qualifikationen, die im Ausland erworben worden sind, hier anerkannt werden. Wir haben erreicht, dass Asylsuchende an Integrationskursen teilnehmen dürfen, um Deutsch zu lernen – allerdings bisher nur, wenn Plätze frei sind. Da sind jetzt die Innenminister und Integrationsminister aufgerufen, in den Bundesländern Sprachkurse zu zahlen. Bayern war das erste Bundesland, das gesagt hat: Jeder Flüchtling kann bei uns auf Staatskosten Deutsch lernen. Das ist enorm wichtig, denn ich kann mich nur in einem Land wohlfühlen, wenn ich die Sprache beherrsche.
Was halten Sie von Vorstößen wie in Schwäbisch Gmünd, wo Asylbewerber für 1,05 Euro pro Stunde als Kofferträger am Bahnhof eingesetzt wurden?
Das ist ein ganz schmaler Grat. Auf der einen Seite wären die meisten Asylbewerber, mit denen ich spreche, sehr glücklich, wenn sie hier arbeiten dürften. Sie würden auch für einen Euro arbeiten, weil sie psychisch krank werden, wenn sie in ihren Unterbringungen sitzen und nur die Wand angucken. Auf der anderen Seite dürfen wir die Situation dieser Menschen nicht ausnutzen und sie als Billigarbeitskräfte beschäftigen. Dafür müssen wir eine offizielle Lösung finden, die beiden Seiten gerecht wird.
Sollten Asylbewerber direkt eine reguläre Arbeit aufnehmen dürfen?
Ja. Es gibt viele, die sich integrieren wollen und sagen: Warum darf ich nicht arbeiten, ich habe die Kraft, ich kann doch. Ich habe mal unangemeldet ein Asylbewerberheim besichtigt, in dem katastrophale Zustände herrschten. Dort hat mir ein Iraner gesagt: „Wenn Sie mit mir in den Baumarkt fahren und das Werkzeug kaufen – ich würde das Haus hier in Ordnung bringen.“ Einerseits wollen wir diese Menschen nicht ausnutzen, aber dass sie hier zur Untätigkeit gezwungen sind, ist schlimm. Sie müssen so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt integriert werden. Zu Bedingungen, unter denen auch unsere Mitbürger arbeiten. Aber dazu gehört auch Aufklärungsarbeit hierzulande.
Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an. Es wird gerade darüber diskutiert, weitere Flüchtlinge nach Deutschland zu holen. Wie geht man da mit Bildern wie denen von Berlin-Hellersdorf um, wo den Asylbewerbern ein enormer Fremdenhass entgegengebracht wurde?
Wir sind immer in Versuchung, die Menschen da unterzubringen, wo Platz ist. Die Menschen sollten nicht zuhauf untergebracht werden, sondern in kleineren Gruppen in unterschiedlichen Stadtteilen. Und das Wichtigste: Die Nachbarschaft muss einbezogen werden. Mit Nachbarschaftsfesten zum Beispiel. Wir können nicht einfach sagen, dort ist eine Kaserne oder eine leerstehende Schule, da können wir alle wunderbar unterbringen, und das war‘s. Das geht eben nicht.