Es regiert der Konjunktiv
Gerne würde man sich also mit den vielen herausragenden Eigenschaften der ehemals jüngsten Lehrstuhlinhaberin Deutschlands auseinandersetzen, mit der Spannweite ihrer Publikationen, die von Beiträgen für das Bordmagazin der Lufthansa bis zu wissenschaftlichen Standardwerken reichen. Gerne würde man ermessen, was es heißen könnte, die Marbacher Institute erstmals in der Verantwortung einer Frau zu wissen. Denn so unbestritten die Verdienste des jetzigen Direktors Ulrich Raulffum die Strahlkraft des Archivs sein mögen, so konfliktfreudig präsentiert sich unter ihm der Geist des Hauses. Davon zeugt die Beurlaubung der Leiterin des Literaturmuseums der Moderne, Heike Gfrereis, ebenso wie der zurückliegende Streit mit der Deutschen Schillergesellschaft um eine Neuorganisation der Entscheidungsstrukturen.
Allein: Im Moment regiert noch der Konjunktiv. Und dies umso strenger, als es gerade mit Blick auf die zurechtgestutzten Machtbefugnisse des Trägervereins jeden Eindruck zu vermeiden gilt, das einst traditionsreiche Gremium diene nur noch als formaler Erfüllungsgehilfe. Deshalb ist es auch müßig, voreilig darüber zu spekulieren, ob Sandra Richter, so die Wahl wirklich auf sie fallen sollte, überhaupt bereit wäre, ihren Lebensmittelpunkt nach Marbach zu verlagern. Bisher lebt die mit einem Rechtsanwalt verheiratete Mutter zweier Kinder in Frankfurt. Ihre Stuttgarter Lehrverpflichtung hat sie vorwiegend als Pendlerin wahrgenommen. Einer Institution wie Marbach würde man auf diese Weise allerdings kaum gerecht.
Nicht auszudenken, was den findigen Kuratoren der Marbacher Ausstellungen zu einem Thema wie der Geschichte der Indiskretion wohl einfallen würde. Welche Depeschen, Schnipsel und Notizen sie aus dem Dunkel des Archivs ans Tageslicht befördern könnten. Sicher würde dabei die Frage nach den Motiven und geheimen Absichten eine zentrale Rolle spielen. Zur hinterhältigen Strategie der Indiskretion, wie sie in politischen Zusammenhängen immer wieder zur Anwendung gelangt, zählt auch das Kalkül, durch das vorzeitige Verraten von Geheimnissen Pläne zunichte zu machen, Namen zu verbrennen. Doch zu solchen pessimistischen Überlegungen schweigt Marbach.
So bleibt in der Zwischenzeit nur das Lob des Optimismus, dem Sandra Richter eine Publikation gewidmet hat. Sie entwickelt darin das Konzept eines verantwortungsvollen Optimismus, „aus der Wahrnehmung einer Welt, die der Ideen und Ideale bedarf, um Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu beschreiben und zu meistern“. Darauf kann man doch hoffen.
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