Am Samstag beginnt gegen Ungarn die Nations League. Die Elf von Bundestrainer Julian Nagelsmann hat dabei einiges vor, wie Niclas Füllkrug erklärt. Doch das betrifft nicht nur die sportliche Seite.
Das Schöne an Herzogenaurach ist ja, dass alles so schön vertraut ist. Der sogenannte Homeground als Mannschaftsquartier bietet Komfort und Geselligkeit, das gut gepflegte Trainingsgelände auf dem Areal des Sportausrüsters Adidas liegt unmittelbar vor den kleinen Wohneinheiten, und die Menschen rund um die deutsche Nationalmannschaft sind froh und freundlich, wenn sie den Fußballstars begegnen.
Das alles ergibt eine Atmosphäre, die den Bundestrainer Julian Nagelsmann veranlasst hat, wieder nach „Herzo“ zu kommen, wie der fränkische Ort genannt wird. Klingt irgendwie herzlich, und beim Neustart der Nationalelf steht dabei vieles noch im Zeichen der EM. „Bei den ersten Schritten hier rein hatte ich fast ein demütiges Gefühl“, erzählt der Stürmer Niclas Füllkrug.
Kühle Analyse, heiße Emotionen
Viele Erinnerungen und Emotionen verbinden sich noch mit der Anlage beim Partner des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), obwohl das dramatische Viertelfinal-Aus gegen Spanien beim Heimturnier zwei Monate her ist. Zeit genug, die Niederlage kühl zu analysieren. Der jähe Abbruch der Sommermission wirkt aber nach. Sentimentalitäten lagen in der Luft, als sich die Nationalspieler zu Wochenbeginn wieder trafen. Teilweise unter Tränen hatten sie sich verabschiedet. Mit einem Lachen sind sie nun zurückgekehrt nach Herzogenaurach – den Ort, der nun einen Aufbruch in eine neue Ära markieren soll.
Das große Ziel dabei ist klar: die WM 2026 auf der anderen Seite des Atlantiks. Über die Nations League will sich die DFB-Auswahl dem Turnier auf dem nord- und mittelamerikanischen Kontinent (USA, Kanada, Mexiko) nähern. Einem Wettbewerb, den die Europäische Fußball-Union zur Saison 2018/2019 im Zweijahresrhythmus eingeführt hat, um die Attraktivität der Länderspiele abseits der Turniere und Qualifikationspartien zu steigern – aber auch um bessere Vermarktungsmöglichkeiten zu erhalten.
In den Köpfen der Fußballer und Fans ist die Nations League mit ihrem komplexen Modus noch nicht verankert. „Ich habe den Eindruck, dass die Nations League kleingeredet wird, wenn man Spiele verliert. Wichtig wird die Nations League erst, wenn man sie gewinnt“, sagt der DFB-Kapitän Joshua Kimmich. Die bisherigen Gewinner heißen Frankreich, Portugal und Spanien – Nationalmannschaften, die über diesen Erfolg gewachsen sind. Vor allem der aktuelle Europameister Spanien dient Nagelsmann als Vorbild, da sich das Selbstverständnis des Teams von Luis de la Fuente lange vor dem Triumph von Berlin herausbildete.
In Deutschland ist die Wertigkeit des Nationenvergleichs bislang gering. Ab sofort soll sich das ändern, wenn das DFB-Team am Samstag (20.45 Uhr/ZDF) in Düsseldorf auf Ungarn und am Dienstag (20.45/RTL) darauf in Amsterdam auf die Niederlande trifft. Bosnien-Herzegowina gehört dann noch zur Gruppe drei der A-Liga. „Ich halte die Nations League für einen guten Wettbewerb, um die Phasen zwischen den Turnieren zu überbrücken, und ich hoffe, dass die Begegnungen fordernd sein werden“, sagt Füllkrug.
„Krass veränderte Mannschaft“
Durch diese Partien soll sich die Nationalmannschaft aber nicht nur spielerisch entwickeln, sondern ebenso reifen, indem sie lernt, Widerstände zu überwinden – wie sie vor allem gegen Spitzennationen auftreten. Dabei sieht Füllkrug aktuell eine Elf, die zwar einerseits nicht viele neue Namen bietet, andererseits sich „krass verändert“ hat – durch die Rücktritte der erfahrenen und erfolgreichen Toni Kroos, Manuel Neuer, Thomas Müller und Ilkay Gündogan. „Jetzt haben wir eine Mannschaft, die deutlich unerfahrener, aber ebenso gierig ist“, sagt er.
Füllkrug, der von Borussia Dortmund für knapp 30 Millionen Euro nach England zu West Ham United gewechselt ist, ordnet seine Rolle im DFB-Team dabei als unverändert ein. Selbst wenn er durch den Einzug in den Mannschaftsrat in der Hierarchie „vielleicht etwas nach oben gerutscht“ ist. Der Angreifer mit der guten Torquote (13 Treffer in 21 Länderspielen) ist ein Spieler, der alles an Energie und Ehrgeiz einbringt – ohne zu murren, wenn er von der Bank kommt.
So war es während der Europameisterschaft als Joker. So ist es momentan bei den Londonern, wo der 31-Jährige in vier Pflichtpartien noch nicht einmal in der Startelf stand. Füllkrug gibt sich allerdings geduldig und spürt im Club wie in der Nationalmannschaft dennoch große Wertschätzung. Zudem verbindet ihn viel mit den deutschen Fans. Sie mögen ihn, und er verkörpert aufgrund seiner offenen und ehrlichen Art für den Anhang den nahbaren Nationalspieler.
Andersherum weiß der Mittelstürmer um die Bedeutung der Unterstützung von außen. „Wir wollen gegen Ungarn da weitermachen, wo wir bei der EM aufgehört haben“, sagt Füllkrug. In zweierlei Hinsicht. Erstens: Ein überzeugender Auftritt samt Sieg soll her. Zweitens: Die Fans sollen weiter begeistert werden. Denn ein Zusammengehörigkeitsgefühl ist entstanden. „Wir müssen uns aber nichts vormachen. Während der Nations League wird keine Euphorie wie während der Heim-EM entstehen. Das ist auch nicht nötig“, sagt der Mann mit der markanten Zahnlücke. Das gute Gefühl, das von Herzogenaurach ausgeht, soll aber bleiben.