Volles Haus - die Neue Tonhalle platzt beim Deutsch-Ukrainischen Abend überraschend aus allen Nähten. Foto: Spitz

Damit hatte wohl keiner gerechnet: Massenandrang beim Deutsch-Ukrainischen Abend in der Neuen Tonhalle. Nichts ging mehr.

Villingen-Schwenningen - Drinnen in der Neuen Tonhalle stand ein Veranstalter namens Michael Hoyer, der ganz offensichtlich nicht so recht wusste, wie ihm geschah. Draußen mussten die Helfer zahlreiche Gäste abweisen. Der Andrang war so riesig, dass die Veranstalter niemanden mehr reinlassen durften. Die Neue Tonhalle platzte aus allen Nähten.

Freilich, Michael Hoyer, der den Abend organisierte und in der Stadt Villingen-Schwenningen und vielen Sponsoren stark unterstützende Partner gefunden hatte, freute sich über den Andrang von Deutschen und Ukrainern gleichermaßen, bedauerte aber auch, dass nicht alle, die kommen wollten, in der Halle Platz finden konnten. Dass ein Programmabend mit deutschen und ukrainischen Inhalten eine derart große Resonanz finden würde, hatte man nicht zu träumen gewagt.

Zwei Stunden Gänsehaut

"Ich hatte zwei Stunden lang Gänsehaut" – diese Worte sagte Michael Hoyer, nachdem er einen deutsch-ukrainischen Abend in Schonach besucht hatte. Kurzerhand kopierte er das Format, passte es an Villingen-Schwenningen an und traf prompt ins Schwarze. Gänsehautstimmung in der Neuen Tonhalle, einen ganzen Abend lang. Warum das so war, fasste Oberbürgermeister Jürgen Roth eingangs in treffende Worte: "Es ist ein trauriger Anlass für einen doch wunderschönen Abend."

Kinderbilder aus dem U-Bahn-Station

Noch ehe das Programm startete, ging es unter die Haut. Auf Stellwänden wurde eine Ausstellung mit Kinderzeichnungen aus Charkiw gezeigt, die schon andernorts die Kehlen zuschnürte. Ein ungewöhnliches Kunstprojekt, entstanden in einer U-Bahn-Station in Charkiw, während draußen die Bomben fielen. Scheint das Entsetzen über den Krieg in der Ukrainer auch manchmal schon einer merkwürdigen Gewöhnung gewichen zu sein, waren die Schrecken des Krieges hier plötzlich ganz nah. Flugzeuge, von welchen Bomben fallen, von Kindern gemalt. Ein zweigeteiltes Bild – links ein Regenbogen, rechts zerstörte, karge Felder und Raketen. Militärhubschrauber in schwarz-weiß. Daneben plötzlich kunterbunte, verspielte Vögelchen, Herzen oder Blumen.

Kindliche Unbekümmertheit traf in dieser ukrainischen U-Bahn-Station mit Wucht auf die knallharte Kriegswirklichkeit. "Der Zeichenprozess lenkte die Kinder von den Geräuschen von Explosionen und Bombenangriffen ab", steht als Erläuterung auf einem Papier. Die wahre Erklärung aber liefern ebenfalls ausgestellte Fotos, die die Schutzsuchenden, zusammengepfercht an den Bahngleisen zeigen, zwischendrin immer wieder Kinder, wie jene, welche die nun ausgestellten Bilder malten.

Bewegendes Bühnenprogramm

Nicht minder bewegend war das Bühnenprogramm. Musikbeiträge aus der Ukraine – mal folkloristisch anmutend, dann wieder ultra-modern, typisch deutsche Akkordeonklänge, Opern-Arien auf Ukrainisch und eine blutjunge, herrlich erfrischende Geigenspielerin aus der Ukraine oder die für deutsche Ohren ungewohnten Klänge einer Bandura, einer Lautenzither. Mit einem Kloß im Hals sah man die Ballerina Lilia Koval-Lavok tanzen – "sie ist geflüchtet, sie lebt alleine hier, ohne ihre Eltern", hatte Michael Hoyer das jugendliche Bühnentalent angekündigt.

Friedensbotschaft an Putin

Als Hoyer selbst den Applaus einstecken musste, war der Veranstalter sichtlich bewegt – in einem Beitrag erzählte er von seiner Mission, in der er über 600 Friedensbotschaften aus VS an Wladimir Putin adressiert mit dem Motorrad auf den Weg gebracht hatte – Putin erreichten sie nicht, die russische Botschaft in Berlin verweigerte die Annahme. Aber das andere Bündel kam an – beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi, der über einen Mitarbeiter seines damaligen Botschafters Andrij Melnyk ausrichten ließ, wie tief ihn die Zeilen aus VS bewegt hätten.

In einem anderen Beitrag flimmern Bilder über die Riesenleinwand – Villingen-Schwenningen für die Ukrainer, aber auch Fotos aus der Ukraine, die Ausschnitte aus einem Land zeigen, das jetzt ein gänzlich anderes sein dürfte. Schönste Zwiebelturm-Architektur eines ukrainischen Klosters, ein Schloss, die Hafenstadt Odessa... – "hoffentlich wird sie bald wieder so aussehen", sagte Michael Hoyer betroffen dreinblickend.

Hauch der Beklemmung

Abstreifen kann einen Hauch Beklemmung an diesem Abend sicherlich keiner der Gäste in der Neuen Tonhalle. Die eine oder andere Träne aber trieb den Besuchern erst die Wortmeldung der ukrainischen Flüchtlinge in die Augen. "Wir danken für die Hilfe, für den Schutz und für die Großzügigkeit, die Sie uns entgegengebracht haben", sagen zwei Frauen auf Deutsch und Ukrainisch am Mikrofon und sprechen es stellvertretend für die übrigen Geflohenen, die überall im Saal verteilt mit Nachdruck nicken und in deutsche Gesichter lächeln. "Wir vergessen das nie und bleiben Ihnen für immer dankbar", und weiter: "Dank Ihnen haben wir ein sicheres Morgen."