Schreckliche und traurige Nachrichten aus der Heimat ihrer Familie erreichten Derya Türk-Nachbaur.
Familienangehörige der SPD-Bundestagsabgeordneten leben in Kahramanmaras, in der Nähe des Epizentrums des schweren Erdbebens in der Türkei und Syrien. Im Interview erzählt sie von ihren Eindrücken.
Frau Türk-Nachbaur, ein Teil Ihrer Familie lebt ganz in der Nähe der Erdbebenregion in der Türkei – konnten Sie mit Ihnen sprechen, geht es Ihren Angehörigen dort gut?
Meine Eltern stammen aus Kahramanmaras. Meine Mutter direkt aus Kahramanmaras, mein Vater aus Elbistan, das auch zur Provinz Kahramanmaras gehört. Daher habe ich sehr viele Verwandte und Freunde, die diese Katastrophe im Epizentrum auf traumatische Weise erlebt haben. Inzwischen konnte ich zum Glück mit den meisten von ihnen sprechen. Die Verwandtschaft in Kahramanmaras hat großes Glück gehabt: Sie sind mit Sachschäden und leichten Blessuren davongekommen. Auch waren in der Millionenstadt die Hilfskräfte relativ schnell zur Stelle. Sie konnten Unterschlupf bei Freunden in der Großstadt finden. Bei der Verwandtschaft in Elbistan sieht es schlechter aus. Bis gestern Abend waren noch keine Rettungskräfte vor Ort. 90 Prozent der Stadt sind vollkommen zerstört. Meine Cousinen erzählten mir bei unserem gestrigen Telefonat, dass die Kinder die letzten zwei Nächte mit ihren Pyjamas barfuß im Schnee verbringen mussten. Behelfsweise wird Feuer gemacht, um die Kinder zu wärmen. Es fehle an allem: Lebensmitteln, Zugang zu Wasser, Zelten und Decken. Die Nachrichten, die ich auch teilweise von Fremden erhalte, sind kaum zu ertragen. Sie schicken mir Koordinaten der Trümmer und erzählen mir, dass sie unter den Trümmern das Schreien von Kindern hören. Sie flehen um Hilfe. Söhne suchen ihre Mütter, Enkel suchen ihre Großväter... Es ist eine Katastrophe.
Werden Sie selbst hinfahren und sich ein Bild vor Ort machen?
Auch wenn es mir das Herz zerreißt, macht es im Moment überhaupt keinen Sinn, dort hinzufahren und den Hilfskräften im Weg herumzustehen. So schwer es mir und vielen Angehörigen in Deutschland auch fällt, müssen wir hier jetzt Ruhe bewahren und die Profis ihre Arbeit machen lassen. Ich bin der Bundesregierung und den vielen Einsatzkräften wie dem THW unendlich dankbar, dass sie so schnell agiert haben. Davon konnte ich mich bei einem persönlichen Gespräch mit Martin Gerster, Präsident der Bundesvereinigung THW, überzeugen.
Wie können Sie und wir jetzt helfen?
Ich versuche die zahlreichen Anfragen, die mich von den in Deutschland lebenden Angehörigen der Erdbebenopfer erreichen, sehr schnell zu beantworten und informiere sie über den Stand der Hilfe, die von Deutschland und der EU geleistet wird. Ich vernetze Menschen, die Hilfe leisten wollen, mit Rettungsorganisationen. Sehr beeindruckt bin ich von der großartigen Hilfsbereitschaft hier in Deutschland und von der Solidarität unserer Bürgerinnen und Bürger. Die effektivste Hilfe, die wir hier leisten können, ist Geld an die Hilfsorganisationen zu spenden. Sachspenden sind zwar gut, doch sie helfen aktuell nur bedingt. Die LKWs, die sich auf den Weg ins Katastrophengebiet machen, verstopfen zum Teil die ohnehin stark beschädigten Straßen und verhindern das Fortkommen von Rettungstrupps. Außerdem fehlt es momentan an der Struktur vor Ort, um die Sachspenden zu sortieren und zu verteilen. Unser Geld kommt definitiv an und die Profis wissen, was genau vor Ort gebraucht wird, und können sich schnell und unkompliziert Waren beschaffen. Spenden hilft.