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70 Prozent waren laut einer repräsentativen Umfrage gegen eine Waffenruhe. In Sderot, das regelmäßig von der Hamas beschossen wurde, demonstrierten Menschen gegen die Vereinbarung.

Tel Aviv - An den Eingängen zum Dizengoff-Einkaufszentrum kontrollieren sie heute nicht nur die Taschen, sondern auch jeden Ausweis, das Kunstmuseum Tel Aviv hat aus Sicherheitsgründen einen Großteil seiner Sammlung für die Öffentlichkeit gesperrt - und der Taxifahrer, ein korpulenter Mann namens Erez, schimpft auf mich ein: Er wolle keinen Waffenstillstand, das bringe doch nichts, die Hamas sei eine Terrororganisation und die israelische Armee hätte im Gazastreifen einmarschieren sollen. Und die europäische Presse, die sei überhaupt immer nur für die Palästinenser. Den Vorwurf habe ich genau so auch schon von der anderen Seite gehört.

Erez ist nicht der einzige Israeli, der so denkt: 70 Prozent waren laut einer repräsentativen Umfrage gegen eine Waffenruhe. In Sderot, einer der Städte in der Nähe der Gazastreifens, die regelmäßig von der Hamas beschossen wurde, demonstrierten Menschen gegen die Vereinbarung. Eine Studentin aus Beerscheva, deren Uni tagelang geschlossen war, erzählt mir, dass sie normalerweise friedliche Lösungen bevorzuge. Aber in diesem Fall sehe sie keine und deshalb sei sie auch für eine Bodenoffensive. Die Stimmung ist für eine Außenstehende schwer nachvollziehbar angesichts einer Bilanz von 158 Toten in Gaza, darunter 30 Kindern, und fünf Toten in Israel, darunter Reservisten, die an der Grenze nichts anderes taten, als tagelang auf ihren Einsatz zu warten (UN-Zahlen).

Nach über einer Woche Ausnahmezustand versuche ich einen ganz normalen Tag in Tel Aviv zu verbringen. Ich sitze vor einem der hübschen Kioske auf dem Rothschild-Boulevard, wo die Stadtbewohner gern ihre Mittagspause bei einem Sandwich oder einem Salat verbringen. Menschen sitzen hier auf der Bank und lesen Zeitung, Omas schieben Kinderwagen vorbei und zwischen zwei Bäumen balancieren ein paar Jugendliche auf einer Slackline. Plötzlich gibt es einen sehr lauten Knall. Ich fahre zusammen. Aber es war nur ein sehr lauter Donnerschlag, der den Regen ankündigt, auf den hier alle schon den ganzen Tag warten. Es wird wieder eine „Mabul“ - Sintflut.

Abends dann gehe ich in Jaffa, dem arabisch geprägten Teil Tel Avivs, in ein Konzert der Band „Mega Herzl“, die Klezmer-Musik mit Jazz und Polka mischt. Mendy Cahan, der Sänger der Gruppe, hat mich eingeladen. Zusammen mit einem Akkordeonspieler, Geiger und Trompeter steht er auf der kleinen Bühne des Kulturzentrums „Fishka“ in der Eilat-Straße. Das Zentrum wurde von jungen russischen Einwanderern gegründet, die laut Flyer ihre mitgebrachte russische Kultur mit der des modernen Israels verbinden wollen.

Nach dem Ende der Sowjetunion emigrierten fast eine Million Juden aus Osteuropa nach Israel. Sie machen heute etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus. Sie haben Israel Alltag verändert mit eigenen Supermärkten, Zeitungen, Kulturangeboten, Parteien. Weil gut 60 Prozent von ihnen Akademiker waren, profitierten Wirtschaft, Wissenschaft, Bildungs- und Gesundheitssystem enorm. Im Konflikt mit den Palästinensern vertreten viele russische Emigranten allerdings eine harte, rechtskonservative Linie. Der derzeitige rechts-nationale Außenminister Avigdor Lieberman stammt auch aus der ehemaligen Sowjetunion.

Aber dann gibt es eben auch liberale Zentren wie „Fishka“. Die meisten Leute um mich herum sprechen russisch. Die Altersstufen sind gemischt. Der Mann neben mir erzählt, dass er in Frankreich aufgewachsen ist, heute in Israel lebt und mit seinem Vater Jiddisch gesprochen hat. Mendy Cahan singt ausschließlich auf Jiddisch. Seine Lieder handeln von Liebe, Borschtsch und davon, dass die Welt niemandem allein gehört. Als das Konzert vorbei ist, beschließe ich, den Bus zurück zu nehmen.