Der Norden der Mongolei hat eine ähnliche Landschaft mit Bergen, Wäldern, Seen und Flüssen. Foto: Ulrike Klumpp

Der Musiker, gekleidet im traditionellen Deel, lässt seine Pferdekopfgeige erklingen und erhebt die Stimme. Tiefe Töne, wie aus der Erde kommend, wechseln sich ab mit hohen Tönen, die mitunter klingen wie Vogelgezwitscher. Die Zuhörer sind völlig gebannt. Wo ist die versteckte Elektronik? Doch die gibt es nicht. Dafür gibt es Enkhjargal Dandarvaanchig, den Schwarzwälder Mongolen.

Für deutsche Zungen haben sie komplizierte Namen, die mongolischen Gesangstechniken. Da ist von Harhiraa die Rede, von Schahalt, Khöömie und Isgeree. Auch der Name des magischen Musikers geht vielen schwer über die Lippen: Enkhjargal Dandarvaanchig. Doch dem sitzt der Schalk im Nacken.

 

„Sag einfach Epi zu mir“, begrüßt er den Besucher mit herzlichem Lachen. „So nennt mich jeder.“ Mit jeder sind seine Fans auf der ganzen Welt gemeint. Denn Epi ist nicht irgendein Musiker – er gehört zur Crème de la Crème der Weltmusik. Unter diesem Begriff fasst man Mischformen aus westlicher und ethnischer Musik zusammen.

Von der Mongolei in den Schwarzwald

Wie es Epi in den Schwarzwald verschlagen hat, in den Kurort Bad Peterstal-Griesbach mit seinen bekannten Mineralquellen? Das war ein weiter Weg. „Ich bin in Ulaanbaatar geboren“, erzählt er. In der Hauptstadt der Mongolei lebt mit 1,5 Millionen Menschen die Hälfte der gesamten Bevölkerung des ostasiatischen Binnenstaates. Das Land ist so dünn besiedelt wie kein anderer Staat dieser Welt. Für die Musik, die dort entstand, ist das ein wichtiger Umstand: Es gab und gibt noch immer viele Nomaden, die auf ihren langen Wegen die Geräusche von Tieren, Wasser und Wind imitieren. Das ist die Wiege des mongolischen Obertongesangs.

Ein Waldspaziergang mit Tiefe: Unser Autor Daniel Oliver Bachmann und Enkhjargal Dandarvaanchig unterhalten sich angeregt. Foto: Ulrike Klumpp

„Als Kind habe ich selbst das Leben als nomadischer Hirte kennengelernt“, erzählt Epi. Schon bald nach seiner Geburt ziehen die Eltern nach Altanbulag, ein Dorf unweit der russischen Grenze. Dort arbeitet Epis Mutter als Tierärztin, sein Vater ist Chef der Finanzverwaltung. Die Sommerferien verbringt Epi auf dem Rücken eines Pferdes in der Steppe. „Bei uns kann jeder reiten“, sagt er. Richtig, das verbinden wir ja mit den Mongolen: Dschingis Khan, die Goldene Horde, die geschickten Reiter, die ein Reich eroberten, größer als es das Römische Reich jemals war. Was kaum einer weiß: Damals erließen die Khans ein Gesetz, das es einer Frau ermöglichte, unbehelligt durch dieses gigantische Gebiet zu reisen. An diese Epoche erinnert heute das größte Nationalfest der Mongolei: Naadam ist ein Nomaden-Volksfest mit spektakulären Pferderennen, Wettbewerben im Bogenschießen und Ringkampf. Die Luft ist erfüllt mit Obertongesängen. Diese unvergleichliche Gesangstechnik wurde 2010 als immaterielles Kulturerbe der Menschheit von der UNESCO anerkannt.

Klassische musikalische Ausbildung

„Ich kam früh zur Musik und spät zum Obertongesang“, erinnert sich Epi. Während seiner Kindheit war es üblich, dass Mitglieder des Konservatoriums von Ulaanbaatar durch weit entfernte Dörfer zogen, um musikalische Talente aufzuspüren. „Sie kamen auch nach Altanbulag. Von 60 Kindern wurden drei ausgewählt, einer davon war ich.“ Was bedeutete, dass Epi im Alter von elf Jahren sein Zuhause verließ, um am Mongolian State Conservatory in Ulaanbaatar (MSC) als Musiker ausgebildet zu werden. „Das war hart“, erinnert er sich. „Zum normalen Schulunterricht kam noch die Musik dazu.“ Auf dem Lehrplan standen Harmonielehre, Gehörbildung, Klavierunterricht, Kammermusik und Liedbegleitung. „Ich war ein bisschen der Bandit“, verrät Epi und lässt wieder seinen Schalk aufblitzen, „weil mir das Konsevatorium manchmal zu streng war. Heute weiß ich: Dass ich dort sein durfte, war ein Geschenk Gottes.“

Tourneen rund um den Globus

Denn die umfassende klassische Ausbildung ermöglicht es Enkhjargal Dandarvaanchig, auf allen Bühnen der Welt zu stehen. Egal, ob er mit dem Südwestdeutschen Kammerorchester konzertiert, mit seiner Gruppe Violons Barbars die Festivals zum Kochen bringt, mit Peter Götzmann jazzt, beim Schwarzwald Musikfestival spielt, in der Berliner Philharmonie und der Alten Oper Frankfurt, oder ob er solo unterwegs ist – Epi ist ein Vollprofi, dem es immer wieder gelingt, seine Zuhörer mit ganz besonderen Klängen zu verzaubern.

Enkhjargal Dandarvaanchig kennt Bühnen auf der ganzen Welt. Foto: Ulrike Klumpp

Schon während seiner musikalischen Ausbildung trat Epi im heimischen Fernsehen auf und tourte mit Staatsensembles durchs Land. Als sich die Gelegenheit auftut, kommt er mit seiner Gruppe „Altain Orgil“ nach Deutschland. Zwei Jahre dauert ihre Tournee, danach weiß Epi: Er bleibt in Europa.

Da trifft es sich gut, dass er inzwischen Rüdiger Oppermann kennengelernt hat. Oppermann zählt zu den international bedeutendsten Harfenisten, ist ein umtriebiger Musikmanager und profunder Kenner indischer und afrikanischer Musik. 1995 schließt sich Epi Oppermanns Musikprojekt „Karawane“ an und konzertiert in ganz Europa. Auch bei der anschließenden KlangWelten-Tournee durch 26 Städte ist er mit dabei. Dazwischen lebt er in Oppermanns Landkommune im Elsass. „Wir waren eine richtige Familie“, erinnert er sich an diese Zeit.

Die Barbaren kommen

„Zuerst kam Attila, dann Dschingis Khan, dann Epi – doch der hat die Musik im Gepäck.“ Enkhjargal Dandarvaanchig lacht schallend und legt seine jüngste CD auf: ein Solo-Album mit dem Titel „Setgeliin gunii tsuurai“, „Echos aus den Tiefen der Seele“. Es klingt großartig, wie auch seine Einspielungen mit den Barbaren: Denn die Band, die Epi 2014 mit Dimitar Gougov aus Bulgarien und Fabien Guyot aus Frankreich gründet, heißt „Violons Barbares“. „Wir machen kreative, lebens- und spielfreudige Musik, die zum Tanzen anregt“, beschreibt Epi die Barbaren-Musik, mit der er weltweit Erfolg hat: Die „Violons Barbares“ touren durch Australien, Brasilien, Korea, Kuba, Malaysia … man braucht einen Globus, um sich zurechtzufinden. Kaum ein Weltmusik- und Jazzfestival von Bedeutung, auf dem die Violons Barbares noch nicht gespielt haben. Selbst beim Wacken Open Air bringen sie Stimmung in die Bude. „Wir kommen aber nicht wie Attila und Dschingis Khan mit Pfeil und Bogen“, sagt Epi, „sondern mit der mongolischen Pferdekopfgeige morin huur und der Gadulka, einem Streichinstrument aus der bulgarischen Volksmusik.“

Extremsport für die Stimmbänder

Und mit Obertongesang. Den lässt Epi bei den Violons Barbares auch erklingen – doch besonders eindrucksvoll entfaltet sich dieser betörende Gesang vor allem in Kathedralen und Kirchen. „Ich habe mir alles selbst beigebracht“, sagt er, „und es ist ziemlich schwierig. Man kann es sich wie Extremsport für die Stimmbänder vorstellen.“ Ein Extremsport, der dem Publikum die Tränen in die Augen treibt, wenn die magischen Töne glasklar erklingen und wie Perlen durch den Kirchenraum schweben. „Manche Menschen haut das um“, weiß Epi. „Sie spüren die Natur, die hinter den Klängen steckt.“

Warum sich der Weltmusiker ausgerechnet Bad Peterstal-Griesbach als Heimat ausgesucht hat? „Ganz einfach: Ich fühle mich hier zuhause“, sagt Epi. „Der Norden der Mongolei hat eine ähnliche Landschaft mit Bergen, Wäldern, Seen und Flüssen.“ Dort besitzt der Musiker ein Haus, um das im Winter die Wölfe heulen. „Die kann es auch gerne im Schwarzwald geben“, meint er. „Sie gehören dazu.“ Doch am meisten liebt Epi den scheuen Auerhahn. „Davon träume ich: für seinen Schutz ein Festival auf die Beine zu stellen.“ Da müsste es doch nicht mit rechten Dingen zugehen, sollte sich nicht bald jemand beim Schwarzwälder Mongolen meldet, der das ebenfalls für eine sehr gute Idee hält.

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Obertongesang
In vielen Kulturen gibt es den Obertongesang, der bei den Zuhörern den verblüffenden Eindruck erweckt, dass hier ein Mensch mehrstimmig singt. Neben der Mongolei ist er in der zur Russischen Föderation gehörenden autonomen Republik Tuwa weit verbreitet. Auch in Südafrika beim indigenen Volk der Xhosas, in Papua Neuguinea, Japan, Taiwan, Tansania, in Sardinien und im Apennin wird Obertongesang praktiziert. Aus tibetischen Klöstern kommen polyphone Gesänge, die weit bis ins 15. Jahrhundert zurückgehen. Das indigene Volk der Samen, die im nördlichen Teil Schwedens, Norwegens und Finnlands leben, pflegen den Joik. Der ist mit dem Jodler verwandt, dessen archaischste Form im Muotathal im Kanton Schwyz in der Schweiz gesungen wird. Westlicher Obertongesang ist eine innovative, künstlerisch ausgerichtete Gesangstechnik aus Europa und Nordamerika. Ihn gibt es seit 1968. Bekannte Vertreter sind Christian Bollmann, Wolfgang Saus, Christian Zehnder und Anna-Maria Hefele.