Conny Gröbler ist der Raupenfahrer auf dem Feldberg. Für ihn sind richtige Winter mit viel Schnee lebenswichtig. Nur gibt es die im Schwarzwald immer seltener.
Wer wissen will, wie es dem Feldberg-Loiper Conny Gröbler gerade geht, der kann einfach einen Blick in eine beliebige Wetter-App werfen, Standort Feldberg im Schwarzwald. Dieser Tage zum Beispiel, zwar kalt, aber niederschlagsarm, ist seine Laune eher mittelmäßig, da braucht es nicht mal einen Übersetzer: „Frau Holle isch e bleedi Kachel“, schreibt er auf seiner Website.
Dabei ist es nicht lange her, da war Gröblers Stimmung noch ausgezeichnet, zu Beginn dieses Winters zum Beispiel. Da sah der Blick in die Wetter-Apps noch so aus:
Montag: -1 bis -4 Grad, 20 bis 30 Zentimeter Neuschnee.
Dienstag: -1 bis -6 Grad, 20 bis 30 Zentimeter Neuschnee.
Donnerstag: 0 bis -7 Grad, 20 bis 30 Zentimeter Neuschnee.
„Ich hatte fast Freudentränen in den Augen damals“, sagt Gröbler.
Conny Gröbler ist der Pistenraupenfahrer am Feldberg, zuständig nicht für die alpinen Hänge, das machen die Jungs mit den großen Maschinen, sagt er. Gröbler präpariert hier oben seit mehr als 20 Jahren die Winterwanderwege und Loipen für die Langläufer. Zwei Spuren für die klassischen, eine breite, fein gerillte Bahn für die Skater. 120 Kilometer. In manchen Nächten ist er zwölf Stunden unterwegs, von 16 Uhr abends bis vier Uhr morgens. Im Schwarzwald ist er eine kleine Berühmtheit, über seinen Instagram-Kanal „Feldbergloiper“ informieren sich Tausende Langläufer, wie oben der Schnee so ist.
Die kommenden Wochen entscheiden über seine berufliche Zukunft
Über seine Direktnachrichten bekommt Gröbler Gedichte und Herzen geschickt, er antwortet jedem Einzelnen. In seinen Storys postet er regelmäßig Updates, er steckt dafür einen Zollstock ins Weiß und teilt akkurate Zentimeterangaben mit den Menschen unten im Tal. Manchmal, wenn der Schnee in fetten Flocken fällt, legt Gröbler Musik unter seine Videos – AC/DC, Linkin Park.
Wenn es nach Gröbler geht, war der frühe Schneefall Ende November der Auftakt in eine grandiose Saison. „Wie 2006, da schneite es eigentlich durchgehend, ich musste aus dem ersten Stock aus meiner Hütte klettern. Irgendwann konnte ich das Zeug nicht mehr sehen.“ Es klingt, als erzähle er Geschichten aus einem anderen Jahrhundert.
Die Normalität sieht eher aus wie im vergangenen Winter. Da rumpelte Gröbler gleich zu Beginn der Saison mit seiner Raupe über gefrorene Steine, der Antrieb nahm Schaden. 8000 Euro. Er könnte schon wieder fluchen, wenn er dran denkt. Weil er nur bezahlt wird, wenn er seine Raupe ausfahren kann, den ganzen Winter aber kaum Schnee fiel und der Schwarzwald grün leuchtete, blieb er auf den Kosten für die Reparatur sitzen. Auf seiner Website schrieb er: „Dieser Winter war mein letzter als Loiper.“ Am Ende der Saison sah er die Sache wieder optimistischer. Er besprach sich mit seinen Auftraggebern und beschloss, dem Winter im Schwarzwald noch eine letzte Chance zu geben. Darum entscheiden die kommenden Wochen jetzt über die Zukunft.
In den Tagen vor Weihnachten rattert Gröblers Rauper mehrmals täglich den Hang hinauf Richtung Gipfel. Rodler, Fußgänger und Langläufer haben seine Loipe im Lauf des Tages Schritt für Schritt kaputt gemacht, Gröbler zieht sie wieder glatt. Auf dem Gipfel ist spät am Nachmittag kaum noch jemand zu sehen, man kommt im Winter nur auf Skiern oder mit einer Pistenraupe hoch. Den höchsten Punkt markiert ein Fernsehturm. Daneben steht ein zweites Gebäude: die sogenannte Wetterstation, ein windschiefes Holzschindelhaus, in dem Gröbler lebt, als einziger Mensch hier oben. Er ist seit drei Jahren Mitarbeiter beim Deutschen Wetterdienst und achtet als Liegenschaftsbetreuer darauf, dass die Messinstrumente immer richtig eingestellt sind. Ein erster Abschied von seinem Job als Loiper. „Schnee mag endlich sein, das Wetter an sich ist es nicht.“
Durch seinen Job beim Wetterdienst hat Gröbler aber auch einen anderen Blick auf das bekommen, was schon seit Jahrzehnten seine Arbeit bestimmt: die Zahlenreihen, die seine Messinstrumente aufnehmen. Und Gröbler sagt mit Blick auf die Schneeverwehungen vor der Wetterstation: „Auch wenn man es gerade nicht sieht, diese Werte sind in den letzten Jahren leider oft beschissen.“
Lag die Durchschnittstemperatur in den Wintern von 1961 bis 1990 am Feldberg bei minus 1,6 Grad, stieg sie in den vergangenen Jahren auf 0,2 Grad. Das heißt, die Zahl der Skitage nimmt kontinuierlich ab. Die Folge ist ein ewiger Tanz um die Null-Grad-Grenze. Auf Schnee folgt Regen, auf Regen Graupel, dann wird es kalt, bleibt aber trocken.
Die Wiege des Skisports in Mitteleuropa
Der Schwarzwald ist zum Labor geworden für das, was auch den höher gelegenen Skigebieten in den Alpen droht. Winter ohne Schnee. Oder zumindest mit deutlich weniger als früher. „Für Pistenraupenfahrer sind das keine guten Aussichten“, sagt Gröbler.
Dabei begann die Geschichte des Skisports in Mitteleuropa ja hier, am Ende eines kalten Februartages im Jahr 1891. Damals, so ist die Geschichte überliefert, trat ein Mann mit einem prächtigen Schnauzbart durch die Tür des Feldberger Hofs. Er stellte sich als Dr. Robert Pilet vor, ein französischer Diplomat, der in Heidelberg lebte. Mehr noch als für den Mann interessierten sich die Einheimischen im Feldberger Hof für das, was er in den Händen hielt: zwei längliche Holzlatten, an den Spitzen leicht aufgebogen. Skier. Pilet hatte sie aus Norwegen mitgebracht. Gerade sei er damit auf dem Feldberg gewesen, erzählte er zum Erstaunen seiner Zuhörer. Die brachten ihm sofort das Gästebuch.
Bis heute ist in den Archiven des Feldberger Hofs festgehalten, was der Besuch Pilets am Feldberg auslöste. Nur wenige Tage später zeigte der Pionier neun Einheimischen, wie man sich auf den Brettern fortbewegt. Die bauten schon bald ihre eigenen – und gründeten ein halbes Jahr später den ersten Skiclub Deutschlands. Ein Bauer witterte ein Geschäft und produzierte bald Skier in Serie, „Marke Feldberg“. Ein anderer funktionierte nochmals einige Jahre später ein sich drehendes Drahtseil zum Transport von Getreide in einen Skilift um – ebenfalls den ersten der Welt. „Wiege des Wintersports in Mitteleuropa“ nennt sich der Feldberg seitdem. Es war einmal eine Erfolgsgeschichte.
Conny Gröbler ist wieder auf dem Weg nach unten. Mit geübtem Blick scannt er kurz die Wettervorhersage für die kommenden Tage auf seinem iPad. Wind aus Südwest. Das bedeutet, dass er auf der Luvseite der Loipe einen kleinen Wall aufschiebt. „Wenn der Wind hier oben drüberpfeift, trägt er den Schnee nicht fort, sondern lagert ihn an meinem Wall ab.“ Der wächst und wächst, im besten Fall den ganzen Winter lang – Gröblers kleines Depot, falls es wärmer wird. Mit einer sanften Bewegung am Schaltknüppel drückt er den Schild seiner Raupe in den Schnee. Sofort bildet sich hinter seinem Gefährt wieder die typisch rillenförmige Loipe, „die Cordhose“, wie Gröbler sagt. Er freut sich wie ein Kind über die Geräuschlosigkeit dieses Vorgangs. „Hast du was gehört?“ – „Nein.“ – „Eben.“
Er steuert die Raupe hinab zur Todtnauer Hütte. Hier zog er 1990 zusammen mit seinen Eltern hin. Ursprünglich kommen sie aus dem Thüringer Wald. Dort war Gröbler in seiner Jugend nordischer Kombinierer. Nach der Wende, sagt er, hatten seine Eltern vor der Wahl gestanden: Hamburg oder Feldberg. Weil sie schon vor dem Mauerfall voller Begeisterung die „Schwarzwaldklinik“ im Fernsehen sahen und ihnen die Topografie des Schwarzwalds vertrauter vorkam als die flache Weite Norddeutschlands, entschieden die Gröblers sich für den Feldberg. Auch später zog es ihn nie lange weg, ein paar Jahre machte er eine Ausbildung zum Hubschrauberpiloten bei der Bundeswehr und arbeitete kurz als Pilot in Kalifornien, kehrte dann aber zurück an den Feldberg. Bis heute ist er Reservesoldat.
Der Wetterbericht bringt Regen
Als Sohn der Hüttenwirte begann er früh mit dem Fahren der Raupen. Mit seiner ersten transportierte er Lebensmittel und Gäste zur Hütte, irgendwann kaufte er eine größere und begann damit, die Loipen zu spuren. Er machte sich selbstständig, bezahlt wird er seitdem von seinen Auftraggebern: der Gemeinde Feldberg sowie verschiedenen Skischulen und Forstämtern, durch deren Wälder seine Loipen führen. Aber eben nur, wenn er auch fahren kann.
Einige Tage später sitzt Conny Gröbler wieder auf seiner Walze. Stimmung: so mittel. Denn erstens bringt der Wetterbericht in den nächsten Tagen Regen, zweitens hat er Ärger mit seiner Freundin, weil die am Wochenende Geburtstag hat, er ihr aber schon gesagt hat, dass er keine Zeit hat. „Die Walze fährt schließlich nicht von allein.“
Er hat Tee dabei, Brote und einen Apfel. „Wird eine lange Nacht im Bully.“ Während es draußen dämmert, spricht Gröbler über das, was er so erlebt hat auf seinen Runden durch die Dunkelheit. Die Lawine, die knapp hinter ihm abging, als er gerade unterwegs war auf einer steil abfallenden Loipe runter zum Feldsee. Er musste einen der Jungs aus dem Skigebiet anrufen, der ihm mit einer großen Walze den Weg frei schob. Dann die verirrten Wanderer, die er nachts manchmal trifft. Oder den Luchs, der mitten auf seiner Loipe eine Gämse riss. Und dann sind da noch die anderen exotischen Gestalten, denen er nachts begegnet. „Zwei Uschis zum Beispiel“, sagt Gröbler, „und ich meine damit richtige Uschis.“ Frauen, die im Audi Q5 über seine Loipen gefahren und mitten im Wald stecken geblieben waren, auf der Suche nach einer Party. „Da konnte ich nicht mal mehr schimpfen, ich sagte nur: Herzlichen Glückwunsch, das hat noch niemand geschafft.“
Gerade sind keine Uschis zu sehen, dafür zwei Rehe, die an einer tief verschneiten Böschung scheitern. Immer wieder nehmen sie Anlauf, bleiben aber stecken und purzeln zurück auf die Loipe. Gröbler schaltet die Maschine aus, um die Tiere nicht zusätzlich zu stressen. „Die haben es gerade schwer genug.“ Hat er keinen Besuch dabei, macht er in solchen Situationen gern ein Hörbuch an. Aktuell die „Rom-Saga“ mit 21 Bänden. „Seit drei Wintern höre ich das“, sagt er.
Als die Rehe im Wald verschwunden sind, kommt Gröbler trotzdem nicht weit. Nach wenigen Minuten muss er wieder anhalten. Weil es draußen wärmer wird und der Schnee in den letzten Stunden immer nasser und schwerer wurde, knicken kleine Bäume um und liegen quer in der Loipe. Gröbler hat dafür eine Säge dabei. Als er wieder in die Kabine kommt, hat er eine Handvoll Schnee dabei. „Er wird pappig“, sagt er. „Nicht gut.“
Fragt man Gröbler, ob er Angst habe vor der Zukunft, zuckt er mit den Schultern. Er ist keiner, der sich ewig mit großen Gefühlen aufhält. Seine Sehnsucht nach richtigen Wintern, meterhohen Schneewehen und der Verbundenheit, die am Feldberg durch den Schnee erst entsteht, kann man aber aus jeder seiner Geschichten heraushören.
Die große Feldberg-Familie
Zum Beispiel aus jener von der Köpfle-Familie. Ihnen gehört das Köpfle-Haus, ein uraltes Schwarzwaldhaus am Waldrand. Die Familie lebt eigentlich weiter weg, jeden Winter aber, kurz vor Weihnachten, zieht sie in das Haus. „Durch die Scheibe hab ich die Oma immer beim Backen gesehen, der Weihnachtsbaum leuchtete, die Enkel spielten draußen im Schnee.“ Seit ein paar Jahren komme die Oma nicht mehr, sie sei vermutlich gestorben, sagt Gröbler. Kein Schnee an Weihnachten bedeutet, dass er die Köpfle-Familie nicht mehr sieht. Auch die Chefin des Feldberger Hofs nicht, die er jeden Tag auf ihren Runden um den Feldberg trifft, den Ranger, die Skilehrer, die ganze große Feldberg-Familie eben.
Es ist spät am Abend, als Gröbler seine Runde um den nächtlichen Feldberg beendet. Er ist kaputt, aber zufrieden mit seinem Nachtwerk. Beinahe hört man aus seiner Stimme so etwas wie Hoffnung heraus, dass es doch mal wieder etwas werden könnte mit einem Bilderbuchwinter. Drei Tage später beginnt es am Feldberg zu regnen und zu winden und hört bis ins neue Jahr nicht damit auf. Erst jetzt, Mitte Januar, fällt wieder etwas Schnee. Der Tanz um die Null-Grad-Grenze beginnt von Neuem.