Graboné war vor allem bekannt für seine alpinen Motive. Foto: privat

Georg Graboné aus dem Hohenlohischen war ein eigenwilliger Künstler. Zu seinen Bewunderern zählten der US-Präsident Eisenhower und der britische Premier Churchill, die er in seiner Maltechnik unterwies.

Er war bekannt für seine extraordinäre Spachteltechnik. Seine Bilder hingen bei Churchills und im Weißen Haus. Heute ist er vergessen: Georg Graboné?

 

Für Christine Barz war er der „Onkel Schorsch“. Die 72-Jährige hat sechs seiner Bilder im Flur hängen: Das „Amper Moor“ bekam sie zur Konfirmation geschenkt. Der „Wilde Kaiser“, eine Szenerie in den Kufsteiner Alpen, blieb unvollendet. Eigentlich hätte noch ein Wegkreuz – „ein Marterl“ – drauf sollen. Aber dann meinte der Onkel: „Ach komm, nimm’s mit.“

Seine Landschaftsmotive fand er an der Adria, am Atlantik, in Norwegen, vor allem in den Alpen. Genau genommen ging es ihm aber um etwas ganz anderes als Wälder, Küsten und Bergpanoramen. Eigentlich malte er immer nur die Sonne. Man spürt fast körperlich, wie sie ins jeweilige Gelände wirkt. Das war die Kunst Grabonés.

Mit seiner zügellosen Art, Farben auf die Leinwand zu spachteln, machte er die Gemälde selbst zu Landschaften, in die man beim Betrachten hineingerät. Ähnlich vehement offenbarte der Künstler die Vorsprünge und Klüftungen seines eigenen Wesens.

„Ich bin als 14-Jährige mal dabei gesessen, wie er alles aufgebaut hat“, erzählt Christine Barz. „Er fing an mit dem Himmel in Blau, spachtelte alles glatt. Und dann hat er die groben Konturen und Wolken ganz dick aufgetragen. Ich weiß nicht, wie lange es brauchte, bis so ein Bild mal trocken war.“ Je älter er wurde, desto gröber spachtelte er. „Vielleicht auch wegen seines Zitterns. Der Tremor ist familiär bedingt, von der Arnold’schen Seite hat das jeder.“

Der Schlawiner

Die Arnolds stammen ursprünglich aus Tirol. Im Spätmittelalter ziehen sie nach Hohenlohe-Franken, seit Ende des 18. Jahrhunderts leben sie als Großbauern in Gerabronn.

Georg Arnold, so sein Geburtsname, kommt 1896 in München zur Welt. Der Vater stirbt früh. 1901 zieht die junge Witwe mit den Kindern Georg, Ludwig und Irma nach Gerabronn, nimmt dort ihren Schwager zum Mann, bekommt die Söhne Karl und Conrad (der Vater von Christine Barz).

Schon der kleine Georg ist ein Schalk und Satansbraten. Noch heute sind seine Eskapaden im Ort präsenter als sein künstlerisches Schaffen. So verkauft er als Bub ein Pferd vom großväterlichen Stall für 30 Mark an einen Wanderzirkus – was sogar lokalpolitische Turbulenzen nach sich zieht.

Dem Oberlehrer Botsch, der in der Kirche mit Gefühle saß vor seinem Orgelspiele, schneidet er einen Schlitz in den Blasebalg und lässt so den Gerabronner Sonntagsgottesdienst verstummen. Ein anderes Mal trinkt er den Abendmahlwein selber und ersetzt ihn durch rote Tinte. Der schlagkräftige Pfarrer Schnabel übt irdische Vergeltung.

Als in Langenburg, wo Georg die Lateinschule besucht, die Lokomotive schon dampfend zur Heimfahrt bereit steht, aber weder Heizer noch Lokführer in Sicht sind, übernimmt Georg kurzerhand mit vier Klassenkameraden das Zügle und bringt es in Gerabronn tatsächlich wieder zum Halten. Was folgt, kann man sich ausmalen.

„Er war ein Filou. Georg ist immer herausgestochen“, sagt seine Nichte. „Als ältester Sohn war er auch der Einzige in der Familie, der aufs Gymnasium durfte, das war halt früher so.“ Sein Zeichenlehrer in Schwäbisch Hall prophezeit ihm vor allem eines: „Aus dir wird einmal ein Zuchthäusler.“

Der Kriegsverletzte

1914 meldet sich Georg als Kriegsfreiwilliger. Zweimal wird er leicht verletzt, dann trifft ein Granatsplitter seinen Schädel. Das Gehör ist dahin, und aus dem Mund kommt nur noch nebulöses Brabbeln. Eine Operation von Geheimrat Professor Buttersack in Heilbronn stellt ihn schließlich wieder her.

Jetzt bricht sich der Künstler in ihm Bahn. Manfred Wankmüller, ein Hohenloher Journalist und Schriftsteller, hat Anfang der 70er Jahre Gespräche mit Graboné geführt, seine Geschichte recherchiert und aufgeschrieben. Demnach lässt er sich zunächst an der Stuttgarter Akademie vom Abstrakten mitreißen, malt in der Üecht-Gruppe. In Wien spielt er den Kubismus durch, kehrt zum Gegenständlichen und nach München zurück. In Berlin wird er Schüler des Impressionisten Max Liebermann. Und an den Abenden arbeitet er, um sich finanziell über Wasser zu halten, als Eintänzer.

Seine ersten Ausstellungen hat er in Hohenlohe, das zum Ausgangspunkt seines Durchbruchs in den 20er Jahren wird. Er unterrichtet an Schweizer Kunsthochschulen, stellt in Paris aus, in Biarritz, Stockholm.

Die Ehe, aus der die Töchter Renate und Lotte hervorgehen, ist nicht von Dauer. Er zieht auf den Buchhof bei Starnberg, heiratet Sofie. Und irgendwann in dieser Zeit muss ihm die Idee kommen, wie er das Urwüchsige mit dem Weltläufigen in ihm verschmelzen kann. Er versetzt das „e“ von „Gerabronn“ nach hinten, versieht es mit einem eleganten Akzent, tilgt noch zwei Buchstaben: Fertig ist der Künstler „Georg Graboné“.

Im Zweiten Weltkrieg besetzt er, so ist überliefert, den Starnberger Polizeiposten, der ihm Muße für seine Malerei lässt. „Wenn ich einen dienstlichen Hinweis für eine Vernehmung oder Durchsuchung bekommen habe“, erzählt er später, „machte ich am Abend vorher einen Kurzbesuch und ließ denjenigen wissen, dass ich am nächsten Tag wiederkomme.“ 1945 landet er in alliierter Kriegsgefangenschaft, aus der er bald entlassen wird. Bis dahin ist er damit beschäftigt, britische Militärköpfe zu porträtieren.

Weil sich mittlerweile die Amerikaner auf dem Buchhof einquartiert haben, bezieht er ein Ausweichatelier in Tutzing am Starnberger See. Dort trifft 1951 eine Eskorte mit Dwight D. Eisenhower ein: Der Oberkommandeur der Nato-Streitkräfte und Hobbymaler hat ein Graboné-Gemälde erworben, jetzt will er auch den Künstler dazu kennenlernen. Die beiden verstehen sich glänzend, der General hat Vorfahren im Odenwald.

Eisenhower will spachteln lernen wie Graboné und fliegt fortan immer wieder von Paris nach Fürstenfeldbruck, um sich dann weiter nach Tutzing zur Malstunde chauffieren zu lassen. Diese Freundschaft öffnet Graboné einen neuen Markt. Er zeigt seine Bilder in Detroit, Washington, New York. Die Amerikaner lieben seine kraftstrotzenden Farben und das Alpine. So schön deutsch. Als Eisenhower 1953 US-Präsident wird, zieht ein original Graboné mit ins Weiße Haus.

Von der malerischen Begabung seines Schülers ist der Künstler indes nicht so angetan wie vom Schöpfergeist eines Winston Churchill. „Der Mann hatte ein Talent in sich, das war unerhört“, sagte er einmal. Der britische Premierminister und Literatur-Nobelpreisträger hat bei Eisenhower ein Bild von Graboné gesehen. Über den britischen Vertreter in Berlin wendet er sich an den Künstler. Das Ganze läuft auf einen mehrtägigen Malkurs auf der Isle of Man hinaus. Den Haushalt, so heißt es, sollen die beiden gemeinsam besorgt haben.

„Wir haben uns nie groß für die Karriere von Onkel Schorsch interessiert, er war ein normales Familienmitglied“, sagt Christine Barz. „Die Geschichten mit Eisenhower und Churchill kamen erst später ans Licht. Erst dann wurde ich auch öfters auf ihn angesprochen.“ Der Onkel aus Starnberg kommt zu jeder großen Familienfeier nach Gerabronn. Und jeden Herbst, wenn es in München das erste Bockbier gibt, macht er einen Pflichtbesuch in der Heimat. Er bringt immer ein paar Bilder und ein Fass Pschorr-Bräu mit. Für die Rückreise kauft er sich einen Schinkenwurstring vom Spriegel-Metzger.

Die Eltern von Christine Barz bewirtschaften damals die Bahnhofsgaststätte. „Da saß er am Stammtisch und hat sich köstlich amüsiert, weil die Leute das Starkbier nicht vertragen haben“, erzählt sie. Dem Wirt vom Adler, wo er immer übernachtet, schenkt er ein Bild mit einer Kuh. Ein seltenes Motiv. Die Werke sind sonst frei von Menschen und Tieren. Seine Richtlinie: „Ich male nicht für Kritiker. Ich male, wie ich malen muss.“

Der Lebemann

Christine hat ein enges Verhältnis zu ihrem Onkel. Als junges Mädchen ist sie oft in den Ferien bei ihm, er nimmt sie auch mal mit nach Rimini. Später, mit 20, machen sie gemeinsam Urlaub in Südtirol, da ist schon ihr Mann Dietmar dabei. „Ich bin ja nicht so viel rausgekommen. Onkel Schorsch hat mir die Möglichkeit gegeben, ein bisschen was von der Welt zu sehen.“ Schon der Buchhof ist ein Erlebnis. Ein schlossähnliches Gut mit großer Einfahrt und weitläufigem Garten, wo Graboné ein Nebengebäude bewohnt.

Jeden Morgen steht er um sechs Uhr auf und beginnt kurz darauf mit der Arbeit. Um halb zwölf gibt es Weißwürste. „Vormittags hat er geschafft, nachmittags gelebt.“ Da trifft er dann Freunde am See. Oder macht einen Abstecher in den Münchener Franziskanerkeller. „Damals hab ich ein bisschen mitgekriegt, was für Bekannte er hat. Das waren schon andere Kreise wie bei uns. Da kam mal ein Landeshauptmann vorbei. Oder ein berühmter Arzt, ich weiß ihre Namen leider nicht mehr“, erzählt Christine Barz. Zu Grabonés Bekanntenkreis zählen Liesl Karlstadt, Willy Birgel, Vico Torriani.

Einmal nimmt er Christine mit in die Oper – „La Traviata“. „Das hat mich als Mädchen nicht so interessiert. Aber es war aufregend und schön. All die Leute und die Abendkleider.“ Heute ist sie Verdi-Fan.

Einmal besucht Onkel Schorsch mit ihrem Bruder, er ist damals frisch konfirmiert, ein Tanzlokal. Dort nimmt er den Jungen beiseite: „Ich wette mit dir: Gleich spielt die Kapelle im Liegen.“ Er geht zur Bühne, gibt der Band 500 Mark. Daraufhin legen sich die Musiker auf den Boden und spielen. Der Bruder erzählt heute noch davon. „Die Aktionen waren stellenweise schon grenzwertig, aber es war ihm nie einer bös. Er hatte Charme“, sagt Christine Barz. Während Onkel Schorsch sein Künstlerleben zelebriert, macht die Nichte eine Lehre in der Gerabronner Apotheke, wechselt nach Jahren in die Gemeindeverwaltung und ins Vorzimmer des Bürgermeisters. Dann wird sie Mutter und Hausfrau. An den Wochenenden hilft sie in der Küche der elterlichen Wirtschaft mit.

Der Vergessene

Der Kontakt zu ihrem Onkel bricht nie ab. Anfang der 80er wird er merklich schwächer. Am Ende liegt er nur noch im Alkoven seines Ateliers und malt in der Horizontalen. Im Februar 1982 schläft er ein. Christina Barz hat zu Hause eine Tuschezeichnung, eines seiner letzten Werke. Man sieht an der Pinselführung: Da verlischt ein Feuer.

Georg Graboné wird in Starnberg beigesetzt. Seine Frau Sofie verkauft das Haus auf dem Buchhof und zieht in eine Eigentumswohnung nach Starnberg. Sie ist vor 15 Jahren gestorben. Seine Töchter leben auch nicht mehr. Nur Lotte hatte als Grafikerin sein Talent geerbt. Sohn Werner, Jahrgang 1945, arbeitete 40 Jahre im Büro bei Siemens und wohnt heute in Starnberg. Zu seinen Halbschwestern hatte er zuletzt keinen Kontakt mehr. Sein Verhältnis zum Vater sei immer ein sehr gutes gewesen, sagt er. War er ein Eulenspiegel? Ein Münchhausen, der die Trennlinie zwischen Wirklichkeit und Fantasie gern verschwimmen ließ? „Sein Leben liest sich wie ein Schelmenroman. Aber genau so hat es sich abgespielt.“

Außerhalb der Familie ist Georg Graboné in Vergessenheit geraten. Seine Bilder treffen nicht mehr den Geschmack von heute. Bei Auktionen gibt es mal Ausreißer, die fast 10 000 Euro einbringen. Aber die allermeisten werden unter 1000 Euro gehandelt.

„Damals müssen seine Werke ziemlich teuer gewesen sein“, sagt Christine Barz. Graboné war sehr produktiv und konnte seine Bilder bis in die 1970er Jahre gut verkaufen. „Aber ich glaube, Reichtümer hinterließ er keine. Denn er hat halt auch gut gelebt.“