Viel später als bisher vermutet könnte diese Skulptur „Ecce Homo“ über dem Eingang der einstigen Apotheke von Hieronymus Edelmann entstanden sein – und von Josef Stärk stammen. Foto: Jürgen Scheff

Wer kennt es nicht, das „Ecce Homo“, die Abbildung des gegeißelten Christus, in der Ecknische des Ebinger Hauses Marktstraße 11? Angeblich stammt die Skulptur aus dem Spätmittelalter – aber stimmt das wirklich? Jürgen Scheff erzählt eine andere Geschichte.

Vorne steht, nur mit einem Lendentuch und dem Purpurmantel bekleidet, der gefesselte, leidende Christus, hinter ihm ein bärtiger Pilatus mit einem Judenhut auf dem Kopf – historisch inkorrekt, denn Pilatus war Römer, kein Jude. Er zieht verstohlen den Mantel Christi auf die Seite: „Ecce homo – seht, ein Mensch!“

 

Die wenigsten Passanten, die tagtäglich an der Skulpturengruppe über dem Eingang der früheren Unteren Apotheke vorbeispazieren, werden einen Gedanken an ihr Alter und ihren künstlerischen Wert verschwenden. Aber natürlich hat die Frage schon vor Jahrzehnten die Heimatforscher und Kunsthistoriker beschäftigt, und die Antwort, die sie gaben, fiel ziemlich einhellig aus: Der Christus erinnert stark an spätmittelalterliche Altarfiguren; er muss aus einer südwestdeutschen Bildhauerwerkstatt des angehenden 16. Jahrhunderts stammen, vielleicht aus der des Meisters von Meßkirch oder des Ulmers Jörg Syrlin.

Dem Heiland zieht Pilatus – er trägt, obwohl Römer, den Hut eines Juden – den Mantel weg und entblößt ihn. Foto: Scheff

Offenbar gab es sogar eine entsprechende Zuschreibung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg aus der Nachkriegszeit.

Doch jetzt erhebt einer Einspruch: Jürgen Scheff, Kurator des Vor- und Frühgeschichtlichen Museums im Ebinger Kräuterkasten, zieht das Narrativ, eine einstige Altargruppe habe, dem evangelischen Bildersturm mit knapper Not entronnen, irgendwie den Weg in die Wandnische über der Marktstraße gefunden, mit gewichtigen Argumenten in Zweifel.

Eine Männerfreundschaft könnte der Ursprung sein

Scheff erzählt eine andere Geschichte: 1879 hatte Hieronymus Edelmann, der heute als einer der Pioniere der Vor- und Frühgeschichte auf der Schwäbischen Alb gilt, die Untere Apotheke gekauft. Edelmann hatte unter anderem in Sigmaringen gelernt und beste Verbindungen ins Oberland – seine Frau, eine geborene Steidle, stammte von dort, und auch auf ihn, der altwürttembergischer Herkunft war, scheint der oberschwäbische Katholizismus abgefärbt zu haben. Er war ein Bonvivant, in seinen Münchner Studienjahren so etwas wie ein Bohemien, und er hatte beste Kontakte zu den Künstlerkreisen der bayerischen Metropole. Unter anderem zu Josef Stärk, einem jungen Kunststudenten aus Saulgau, den er 1875 auf dem Bahnhof Herbertingen kennengelernt hatte. Es war der Beginn einer schönen Männerfreundschaft, die später noch durch Familienbande gefestigt wurde – auch Stärk heiratete eine Steidle und stand 1885 Pate bei der Taufe von Edelmanns einziger Tochter.

Josef Stärk war ein Freund Hieronymus Edelmanns. Foto: Scheff

Künstlerisch war er alles andere als ein Avantgardist; vielmehr machte er Karriere als Schöpfer neugotischer Altarbilder und etablierte sich als Restaurator in Nürnberg. Dort setzte er unter anderem eine stark ramponierte hölzerne Heilige aus Tilman Riemenschneiders Würzburger Werkstatt wieder instand, wobei er ziemlich forsch vorging: Fehlende Arme ergänzte er einfach und interpretierte dabei eine mutmaßliche heilige Katharina ziemlich bedenkenlos in eine heilige Elisabeth um. Die Arme wurden von Experten der nächsten Generation wieder amputiert.

Polyhistor Jürgen Scheff ist der Geschichte der Skulptur auf der Spur. Foto: Kistner

Immerhin, von spätmittelalterlicher Skulptur verstand der Mann etwas – nicht auszuschließen, dass er seinem Freund Hieronymus ein Frühwerk, eben jenes Ebinger „Ecce homo“, zu Verfügung stellte, um dessen Fassade zu dekorieren. Eine gestalterische Maßnahme, die einem alteingesessenen Ebinger nach Einschätzung von Heimatgeschichtler Wilhelm Maute nicht in den Sinn gekommen wäre: Die Ebinger seien Pietisten gewesen; sie hätten zwar durchaus Geld gehabt, seien aber jedem Prunk abhold gewesen. Weshalb Maute Scheffs Theorie auch durchaus plausibel findet – für Extravaganzen bedurfte es eines Mannes wie Edelmann.

Die Fachfrau will sich noch nicht festlegen

Jürgen Scheff hat seine These samt Bildern des Ebinger „Ecce homo“ mittlerweile einer Fachfrau vorgelegt, nämlich Claudia Grund, der Leiterin des Eichstätter Diözesanmuseums, die eine Magisterarbeit über Josef Stärk verfasst hat. Ihre Antwort: Es sei durchaus denkbar, dass die Skulptur von Stärk stamme – eine verbindliche Zuschreibung sei aber nicht aus der Distanz möglich. Dafür, das weiß auch Scheff, wäre eine Untersuchung des Holzes notwendig. Aber zu der wird es wohl nicht kommen.