Die Auswahl ist mittlerweile riesig: 200 Brauereien stellen in Deutschland alkoholfreies Bier her. Foto: dpa

Früher war alkoholfreies Bier etwas für Weicheier, heute ist es sogar am Stammtisch akzeptiert, sagt der Ernährungspsychologe Christoph Klotter. In den vergangenen sechs Jahren hat sich der Ausstoß in Deutschland verdoppelt.

Stuttgart - Zwei Freundinnen sitzen auf dem Sofa, ein Korken knallt, Sekt sprudelt in den Gläsern. „Und, was meinst du?“, fragt die eine. „Ich finde, der macht richtig Spaß“, antwortet die andere, während die Kamera auf einen jungen Mann schwenkt, der in einer offenen Wohnküche hantiert. Natürlich geht es in dem kurzen Filmchen im Grunde nicht um den Mann, sondern um das Getränk. Die Sektkellerei Schloss Wachenheim bewirbt damit ihren alkoholfreien Sekt. Aber sie will mit dem Spot noch etwas anderes vermitteln: Unsere Kundinnen, das sind moderne Frauen, die genau wissen, was sie wollen – einen Mann in der Küche und ein Getränk, das zwar wie Sekt aussieht und schmeckt, aber keinen schweren Kopf macht und nicht zu viele Kalorien hat.

Und solche Kundinnen gibt es offenbar immer mehr, zumindest wenn man die Zahlen des Herstellers betrachtet: Im laufenden Geschäftsjahr habe das Unternehmen seinen Umsatz bei entalkoholisierten Produkten um gut neun Prozent auf 20 Millionen Euro steigern können, sagt Sprecherin Barbara Hoffmann. Damit machen die alkoholfreien Produkte – seit diesem Jahr gibt es auch die Mixgetränke Hugo und Sprizz in einer alkoholfreien Variante – auf dem deutschen Markt mittlerweile ein Fünftel des Umsatzes des Herstellers aus. Die Konsumenten seien vor allem Frauen zwischen 25 und 45, sagt Hoffmann.

Dass alkoholfreier Sekt offenbar ein Wachstumsmarkt ist, wie es auch das Deutsche Weininstitut bestätigt, haben längst auch andere große Hersteller wie Rotkäppchen oder Söhnlein Brillant erkannt. Im Online-Handel kann man unter mehr als 50 verschiedenen Sorten wählen.

Eine Entwicklung, die sich auf dem Biermarkt schon länger beobachten lässt. Der Ausstoß an alkoholfreien Bieren hat sich den Zahlen des Statistischen Bundesamts zufolge kontinuierlich gesteigert und lag im Jahr 2012 bei mehr als vier Millionen Hektolitern. Das ist doppelt so viel wie noch sechs Jahre zuvor.

Steigender Konsum von alkoholfreiem Weizenbier

Auch in Baden-Württemberg spürt man die zunehmende Lust auf Gerstensaft ohne Umdrehung. Rund 25 Brauereien bieten im Land solche Produkte an. „Alkoholfreie Biere werden zunehmend wichtiger. Der Marktanteil in Baden-Württemberg hat sich seit 2006 fast verdoppelt“, sagt Hans-Walter Janitz, Geschäftsführer des Baden-Württembergischen Brauerbundes. Alkoholfreies Bier mache aktuell etwas mehr als fünf Prozent des Biermarktes im Land aus, deutschlandweit sind es etwa 4,5 Prozent. Vor allem der Konsum von alkoholfreiem Weizenbier nehme stark zu, so Janitz.

So verzeichnet beispielsweise die Marke Sanwald-Hefeweizen alkoholfrei, hinter der Dinkelacker-Schwaben Bräu in Stuttgart steht, laut Auskunft des Unternehmens jährlich 20 Prozent mehr Ausstoß. Ähnliche Steigerungsraten beobachtet man bei der badischen Rothaus-Brauerei für alkoholfreies Pils und Weißbier.

Von einem „Trend gegen Alkohol“ spricht denn auch Christoph Klotter, Professor für Ernährungspsychologie an der Hochschule Fulda. Früher habe Alkohol einfach dazugehört – ob am Arbeitsplatz oder in der Freizeit. „In den 60er Jahren hat ein Arbeiter täglich bis zu einem Kasten Bier während der Arbeit getrunken. Aber die Kultur des Trinkens hat sich verändert. Alkoholfreies ist salonfähig geworden“, sagt Klotter. Während Bier ohne Promille einst etwas für Weicheier gewesen sei, könnte man es heute sogar am Stammtisch trinken, ohne ausgelacht zu werden. Man kann es auch so sagen: Vor ein paar Jahren noch machte die deutsche Fußballnationalmannschaft Werbung für Bier, seit diesem Jahr dreht sie Spots für die alkoholfreie Variante.

Mehr Wein, weniger Bier

Beim Deutschen Brauer-Bund erklärt man sich den Trend auch damit, dass Sportbegeisterte alkoholfreies Bier mehr und mehr als Getränk für sich entdecken. Für das Sanwald-Weizenradler, das dieses Jahr auf den Markt kam, nennt Marketingleiter Stefan Seipel „junge, bewegungsorientierte Menschen“ als Zielgruppe. Sie würden ein Hefeweizen als natürlichen, isotonischen Durstlöscher schätzen. Auch Experte Klotter sieht als Motor hinter dieser Entwicklung einen allgemeinen „Gesundheits- und Fitnesstrend“. Die zunehmende Begeisterung für Alkoholfreies stehe in einer Reihe mit den Getränketrends der vergangenen Jahre wie Biolimonaden und Wellnessdrinks.

Dennoch: Auf dem Weg in eine alkoholfreie Gesellschaft sei Deutschland deshalb noch lange nicht, sagt Klotter. Zwar sinke der Pro-Kopf-Verbrauch von normalem Bier seit einigen Jahren kontinuierlich, doch zugleich habe sich der Konsum verlagert: hin zum Wein. Dieser ist vom Trend zum Alkoholfreien bislang ausgenommen. „Das Thema spielt in Deutschland keine große Rolle“, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut in Mainz. Die Winzer, die alkoholfreien Wein anbieten, würden ihre Kunden eher im arabischen Raum finden. Wein werde – im Gegensatz zu Bier – nicht als Durstlöscher konsumiert, sagt Büscher. „Wein ist ein Genussmittel, das man sich zu besonderen Anlässen gönnt. Und wer Auto fährt, trinkt lieber nur ein 0,1-Liter-Glas als alkoholfreien Wein.“

Dem schließt sich auch Ernährungspsychologe Klotter an. „Ein guter Wein ist ein Statussymbol, Erkennungszeichen für bestimmte Gesellschaftsschichten. Außerdem steht Wein für Liebe und Begehren.“ Vielleicht sollte das mal jemand dem jungen Mann aus dem Sekt-Werbespot sagen.