Einstiegsfrage beim Coaching: Sind Sie eher ein Löwe oder doch ein Einhorn? Foto: stock.adobe.com/nito

Früher war Beratung ein Privileg der Mächtigen, heute gibt es Lebenshilfe für alle. Können wir nichts mehr selbst entscheiden?

Wenn Sie ein Musikinstrument wären, welches wären Sie? Eher Blockflöte oder doch Bassgitarre? Und wenn Sie ein Tierchen wären? Löwe oder Faultier? Keine Sorge, Sie haben sich nicht verlesen: Wir simulieren hier ein Coaching im beruflichen Kontext, denn: „Manchmal helfen ungewöhnliche Tiere im Coaching-Prozess. Vielleicht fühlt sich Ihre Klientin wie ein Einhorn, deren Chef sich wie ein Mammut benimmt. Dabei wünscht sie sich jedoch, ein Adler zu sein, um einfach wegfliegen zu können. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf: Allein schon mit diesen Bildern kann ein hervorragendes Coaching-Gespräch beginnen“, schreibt Daniela Landgraf in ihrem Buch „Aufstellungsarbeit im Coaching. Wie Sie erfolgreich mit Symboltieren arbeiten“.

 

Wer einem Coach vertraut, der glaubt auch an Einhörner, wenden Kritiker ein, die dem Coaching-Boom eher skeptisch gegenüberstehen. Natürlich gibt es Lebensbereiche, in denen man unbedingt Experten zurate ziehen sollte, anerkannte Therapeuten im gesundheitlichen Kontext zum Beispiel, oder einen Pflegeberater, der einem dabei hilft, den undurchdringlichen Pflege-Dschungel in Deutschland zu verstehen.

Gut gelaunt in die Arbeitslosigkeit

Auf der anderen Seite gibt es viele zweifelhafte Angebote. Das eigentlich brauchbare soziale Netzwerk Linkedin ist mittlerweile eine Spielwiese selbst ernannter Coaches. Circa 21-jährige Experten, die sich wahlweise mit Vertrieb, Beratung oder (Life-)Coaching auskennen oder gerne auch in allen drei Bereichen Experten sind, teilen ihre Weisheiten für Wertewandel und Visionen unaufgefordert mit der Allgemeinheit.

Dazu gibt es Veröffentlichungen auf Papier, die inhaltlich verwundern. Beispiel gefällig? „Das Buch „Die Dolce-Vita-Strategie“ setzt an, bevor Managementtools greifen: bei der guten Laune. Wem es gelingt, die neue Arbeitswelt als große Chance zu betrachten, der wird keine Angst vor der Transformation haben und sich nicht vom allgemeinen Jammern anstecken lassen“, heißt es über die Publikation von Loredana Meduri und Alessandro Spanu aus dem Jahr 2018.

Si claro! Wer wegen der digitalen Transformation soeben seinen Job verloren hat, wird die neue Dolce-Vita-Arbeitslosigkeit gut gelaunt feiern und mit einem Aperol Spritz auf Meduri und Spanu anstoßen, laut Eigenbeschreibung „Sparrings Partner im Bereich Leadership und Change Management“.

Wie wird die derzeit viel gefragte Dienstleistung eigentlich definiert? „Coaching ist eine entwicklungsorientierte Form der Beratung und Begleitung, die berufliche und private Inhalte umfassen kann und auf Freiwilligkeit, Vertraulichkeit und der gegenseitigen Akzeptanz von Coach und Coachee basiert“, schreibt der Psychologe Karl L. Holtz.

Bei Rasputin lief Beratung nicht ganz so gut

Früher war es ein Privileg der Mächtigen, sich von Beratern umgeben zu lassen. Der Germanist und Coach Haiko Wandhoff hat das Buch „Was soll ich tun? Eine Geschichte der Beratung“ veröffentlicht und bezeichnet die antiken Orakelsprüche als eine Ur-Szene des Beratungshandelns. Im Mittelalter ist „ein Herrscher nur dann ein guter Herrscher, wenn er sich beraten lässt“, sagt Wandhoff in einem Interview.

Dass so manches Beratungsangebot ordentlich schiefgehen kann, zeigt nicht erst ein Blick in die Neuzeit und in die Geschichte von Grigori Jefimowitsch Rasputin (1869–1916), der als Berater von Nikolaus II. das Ende des Zarenreichs in Russland mit verantwortet haben soll.

Nun muss nicht jedes Coaching in eine russische Februarrevolution münden. Woher aber kommt die aktuelle Flut an Coaching-Angeboten? Das weiß Michael Stephan. Der Wirtschaftswissenschaftler hat 2009 die erste Marburger Coaching-Studie initiiert. Stephan unterscheidet zwischen Business Coaching im beruflichen und Life Coaching im privaten Bereich. Dem 52-Jährigen geht es darum, Transparenz in einen undurchsichtigen Markt zu bringen.

„Das Grundproblem ist, dass der Begriff nicht geschützt ist“, sagt der Professor für Technologie- und Innovationsmanagement an der Universität Marburg. „Es gibt keine Zulassungsbeschränkungen. Sie können sich morgen Top Executive Coach auf Ihre Visitenkarten drucken lassen.“

Finanzkrise als Treiber für den Coaching-Trend

Ein Treiber für die Coaching-Flut sei die weltweite Finanzkrise von 2007 an gewesen. „Die Unternehmen waren danach gezwungen, in Beratungsformate zu investieren, um dem Fachkräftemangel zu begegnen“, erklärt Michael Stephan. Die Digitalisierung habe dann eine weitere Welle ausgelöst.

„2015 lag die Zahl der Video-Coachings noch im einstelligen Prozentbereich“, sagt Stephan. Corona habe hier alles verändert. Coaching-Plattformen boomen, Stephan spricht hier von „Coaching to go“ oder „Fast-Food-Coaching“. Der Deutschlandfunk stellte bereits 2020 fest, dass sich jeder fünfte Podcast unter den erfolgreichsten 50 in Deutschland ums Coaching dreht.

Was macht einen guten Coach aus?

Wieso ist dieses Segment so erfolgreich? „Wir leben in einer „VUKA-Welt“, sagt Michael Stephan, wobei das Akronym für volatil, unsicher, komplex und ambivalent stehe. „Der digitale Wandel sorgt für Unsicherheit und weniger Stabilität.“ Heute gebe es in Deutschland rund 10 000 Business-Coaches, schätzt Stephan. Die meisten verdienten 200 bis 300 Euro pro Stunde. Die erfolgreichsten zehn, die Dax-Vorstände begleiten, erhielten bis zu 15 000 Euro am Tag.

Und woran erkennt man nun einen guten Coach? „Ein guter Coach hat eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung im Bereich BWL oder Psychologie, sollte Führungserfahrung haben und über eine Zusatzausbildung im Coaching verfügen“, sagt der Wirtschaftsexperte.

Stephan selbst hat sich auch schon einmal coachen lassen. Dabei ging es um die Frage, ob er einen Ruf an eine andere Universität annehmen sollte. „Das war eine klassische Entscheidungsfindungshilfe mit ganz einfachen Methoden, eigentlich ein unterkomplexes Thema, allein hätte ich es aber nicht geschafft.“ Bilder von Einhörnern oder Instrumenten kamen bei diesem Coaching übrigens nicht zum Einsatz.