Deniz Undav ist ein ungewöhnlicher Stürmer mit einer ungewöhnlichen Geschichte. Die nun bei der EM fortgeschrieben wird. Wir zeichnen seinen speziellen Weg nach oben noch einmal nach.
Nachdem vom Sonntagabend an die Namen der nominierten deutschen Spieler für die Fußball-EM auf immer wieder neue und recht unterschiedliche Weise präsentiert worden sind, war in Stuttgart schnell ein Wunsch geboren. Bei Deniz Undav, dem Stürmer des VfB Stuttgart, müsse es doch eigentlich ein türkischer Imbiss sein, der verkündet, dass der Angreifer mit darf zur EM. Schließlich war der 27-Jährige in den vergangenen Monaten durchaus immer wieder einmal bei einem Döner-Laden in der City zu Gast. Doch schon bevor Undav sich offiziell über sein Turnierticket freuen durfte, war am Mittwoch klar: Die Sache mit dem Döner Kebab wird es nicht.
Die Nummer hatte die Marketingabteilung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) stattdessen für Antonio Rüdiger vorgesehen – also wurde der Abwehrspieler von Real Madrid dort verkündet, wo er als Jugendlicher einst gespeist hat: In einem Berliner Döner-Laden. Undav musste sich dagegen noch ein wenig gedulden – am Abend dann aber gab ein Stuttgarter Tattoo-Studio die Nominierung des Shootingstars bekannt. „Es ist eine tolle Auszeichnung für ihn und natürlich auch für den VfB, dass Deniz in den EM-Kader berufen wurde“, sagte der Stuttgarter Trainer Sebastian Hoeneß.
Dem Berufenen wird es recht egal gewesen sein, wie die nächste Traumerfüllung an die Öffentlichkeit gelangt ist. Die Tatsache, dass er nun tatsächlich für Deutschland die Europameisterschaft bestreiten darf, war noch vor dieser Saison in der Fußball-Bundesliga schwer bis nicht vorstellbar. Und vor Jahren fernab jeglicher Realität.
Der Traum schien früh geplatzt
Selbst der Traum von der Karriere als Profifußballer schien ja schließlich schon früh geplatzt zu sein. In der Nachwuchsabteilung von Werder Bremen jedenfalls wurde Undav einst aussortiert. Und die folgenden Stationen ließen auch nicht darauf schließen, dass Deniz Undav noch einmal ganz groß rauskommen würde mit den Kickstiefeln an den Füßen.
SC Weyhe in der Jugend, TSV Havelse bei den A-Junioren. Dann Eintracht Braunschweig II – ehe der SV Meppen doch noch zum Sprungbrett wurde, obwohl er nebenbei auch noch eine Ausbildung zum Maschinenführer absolviert hatte. Sechs Tore in der ersten Drittligasaison, 17 in der zweiten – und weil man bei Union Saint-Gilloise bei Transfers stets auch noch zahlreiche andere Daten beachtet, war Deniz Undav plötzlich ein Mann für die zweite belgische Liga. Und seine Laufbahn als Fußballer hatte doch noch Fahrt aufgenommen.
Als sich die Belgier um ihn bemüht haben, erzählte Undav einst, habe er „zum ersten Mal richtige Wertschätzung“ erfahren. „Das Gefühl“, sagte er, „kannte ich nicht.“ Doch er durfte sich daran gewöhnen. Denn seine ungewöhnliche Reise war zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht beendet.
Mit 17 Treffern verhalf er seinem Club – und sich – zum Aufstieg, in der folgenden Saison traf er 25-mal. Und plötzlich klopfte die vielleicht stärkste Liga der Welt bei Undav an. „Manchmal muss ich mich kneifen“, wunderte sich der in Varel geborene Angreifer schon damals, nachdem er einen Vertrag bei Brighton & Hove Albion in der englischen Premier League unterschrieben hatte.
Achtmal in 30 Pflichtspielen traf Undav in England, dennoch stand am Ende der Saison 2022/2023 der Wunsch nach mehr Spielzeit – und so wurde Deniz Undav auch dem deutschen Fußball-Publikum ein Begriff. Und schnell Liebling der Fans des VfB Stuttgart.
Leihe mit Kaufoption
Für ein Jahr wurde der Stürmer an den VfB verliehen, der Start verlief holprig. Deniz Undav zog sich einen Anriss des Außenbandes im Knie zu, während er um ein Comeback kämpfte, traf Serhou Guirassy wie am Fließband. Doch schnell nach seiner Genesung überzeugte der 27-Jährige als Joker, wenig später wurden Undav/Guirassy zum aufregendsten Sturmduo der Bundesliga, ja sogar Europas.
26-mal hat Guirassy getroffen – der spielte Anfang des Jahres noch den Afrika-Cup mit Guinea. 18 Tore hat Deniz Undav in der Bundesliga, die sein großer Kindheitstraum war, erzielt – und im März sein erstes Länderspiel bestritten. Zwar war der VfB-Trainer Sebastian Hoeneß nach dessen Einwechslung gegen Frankreich zwar ein wenig „enttäuscht, dass er nicht mit dem ersten Kontakt gleich getroffen hat“, schmunzelnd freute er sich dann aber doch für seinen Schützling.
Der hatte im Nationalteam auch abseits des Platzes einen ebenso erfrischenden Eindruck gemacht, wie man das von den ersten Monaten in Stuttgart gewohnt war. Bodenständig, authentisch, frei Schnauze und frech, aber doch auch immer selbstkritisch präsentierte sich Deniz Undav bei öffentlichen Auftritten.
Als „kleines Schlitzohr mit wunderbarer Schusstechnik“ bezeichnete der DFB-Sportdirektor Rudi Völler den VfB-Stürmer, schon im Dezember wählte der Bundestrainer Julian Nagelsmann dessen Nummer – um ihn dann im März zu nominieren. Nun ist auch Undavs nahe Zukunft geklärt, er reist mit dem Nationalteam ins Trainingslager, dann ins EM-Quartier. Aber: Wo spielt er kommende Saison?
Der VfB besitzt eine Kaufoption, müsste aber um die 20 Millionen Euro zahlen, sollte er sie ziehen. Die Gespräche laufen, Undav will unbedingt mit dem VfB in der Champions League spielen, eine Einigung steht aber noch aus. Ebenso wie die offizielle Nominierung von weiteren VfB-Spielern für die Europameisterschaft.
An diesem Donnerstag (13 Uhr) gibt Julian Nagelsmann sein Aufgebot vollends bekannt. Waldemar Anton gilt als weiterer sicherer VfB-Kandidat. Aufgrund der Verletzung von Bernd Leno wurde jüngst auch über den Stuttgarter Keeper Alexander Nübel spekuliert.