Feinstaubalarm in Stuttgart: Erhöht ein Diesel-Fahrverbot die Belastung? Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Über der Dieseltechnologie hängt ein Damoklesschwert – durch Fahrverbote könnte sie bald von etlichen Straßen verschwinden. Doch hat die Politik auch bedacht, wie es danach weitergeht?

Stuttgart - Im Februar könnte es ernst werden mit Diesel-Fahrverboten. Dekra-Auto-Chef Clemens Klinke hält die mögliche Ausgrenzung der kompletten Dieseltechnologie für eine folgenschwere Entscheidung.

Herr Klinke, die EU will bald erneut die Grenzwerte für den Ausstoß von Kohlendioxid verschärfen. Wirkt sich das auf den Ausstoß anderer Schadstoffe aus?
Wird der Ausstoß eines bestimmten Schadstoffs verringert, hat das immer Auswirkungen auf die anderen Schadstoffe. Noch vor kurzem stand der Feinstaub im Mittelpunkt, derzeit sind es angesichts drohender Fahrverbote die Stickoxide, und bald kommt womöglich wieder das Thema Kohlendioxid auf, das im Rahmen der Klimadiskussion im Vordergrund steht. Wenn man jeweils nur über einen einzelnen Schadstoff diskutiert, ist das, als versuche man, eine zu kleine Tischdecke immer wieder in eine andere Ecke zu ziehen. Man bedeckt zwar den einen Teil, dafür fehlt auf der anderen Seite dann umso mehr.
Bei welchen Schadstoffen stehen die Zielvorgaben einander besonders im Weg?
Beim Diesel etwa hat man lange Zeit den Verbrauch optimiert, indem man einen frühen Einspritz-Zeitpunkt gewählt hat. Das hat den Ausstoß von Kohlendioxid gesenkt – aber um den Preis eines steigenden Ausstoßes von Stickoxiden. Nun rückt der Stickoxidausstoß ins Blickfeld, deshalb setzt man heute wieder auf eine tendenziell spätere Einspritzung, die natürlich den Ausstoß von Kohlendioxid steigert. Nur eine Abgasnachbehandlung mit hohem Wirkungsgrad kann diesen Zielkonflikt einschränken.
Gibt es auch Möglichkeiten, die erwähnte Tischdecke zu vergrößern?
Ein Spannungsverhältnis zwischen den einzelnen Zielen zur Verringerung von Schadstoffen tritt heute bei jeder Technologie auf – auch beim Benziner. Die neue Generation von Dieselmotoren, wie sie beispielsweise Mercedes und BMW jetzt auf den Markt bringen, zeigt allerdings, dass eine veränderte Platzierung der Komponenten, andere Beschichtungen und neuartige Verbrennungsverfahren das Niveau des Schadstoff-Ausstoßes insgesamt senken können. Die modernsten Diesel, die heute auf dem Markt sind, unterschreiten im Verkehr schon jetzt in einem weiten Bereich sehr deutlich die Grenzwerte.
Wegen der hohen Stickoxidbelastung drohen in Stuttgart ja sogar Fahrverbote. Vom Feinstaub ist dagegen kaum noch die Rede. Hat sich das Feinstaub-Problem in Luft aufgelöst?
Moderne Diesel mit Partikelfilter haben praktisch kein Feinstaub-Problem. Beim Benziner mit Direkteinspritzung ist das anders.
Für ihn wurden die Feinstaub-Grenzwerte doch erst im September abgesenkt...
... aber nur, sofern es sich um neue Modelle handelt. Für Modelle, die schon vor September auf dem Markt waren, gilt diese Verschärfung bisher nicht. Solche Fahrzeuge können weiter als Neuwagen zugelassen werden und dürfen zehnmal so viel Feinstaub ausstoßen wie ein moderner Diesel.
Dem Benziner wenden sich aber immer mehr Autokäufer zu, weil sie beim Diesel Fahrverbote befürchten. Worauf müssen die sich einstellen?
Je stärker der Diesel durch potenzielle oder tatsächliche Fahrverbote aus dem Markt gedrängt wird, desto höher wird der Anteil von Benzinern – und somit auch von Autos, die sehr viele Feinstaub-Partikel ausstoßen und das auch dürfen. Das kann zu der absurden Situation führen, dass Fahrverbote für den Diesel die Feinstaubbelastung der Luft wieder erhöhen. Wenn es ganz schlecht läuft, diskutieren wir bald auch über Fahrverbote für Benziner.
Manchen Umweltpolitikern wäre es aber ohnehin lieber, wenn die Diesel-Krise gar nicht erst zu einer Verschiebung in Richtung Benziner führt, sondern direkt in die Elektromobilität. Wie umweltfreundlich ist unter dem Strich das E-Auto?
Wir bemühen uns beim Elektroauto wie bei allen anderen Technologien auch um eine sachliche Sichtweise. Bei der Elektromobilität muss man nüchtern feststellen, dass zentrale ökologische Fragen noch nicht beantwortet sind. Schon jetzt werden die Seltenen Erden, die für das E-Auto benötigt werden, teilweise unter fragwürdigen Umständen gewonnen. Je mehr wir davon benötigen, desto größer wird der Aufwand, um auch noch das letzte Gramm aus der Erde zu holen. Auch erfordert die Herstellung der Batterie einen sehr hohen Energieeinsatz, der auf einem neuen E-Auto über viele Jahre wie eine ökologische Hypothek lastet. Und auf die Frage, wie einmal Millionen alte Batterien entsorgt werden, gibt es bisher ebenfalls keine Antworten.
Was bedeutet die E-Mobilität für die Stromversorgung?
Sie erfordert sehr hohe Investitionen für den Aufbau von Ladesäulen und für den Ausbau des Stromnetzes. Wegen der langen Ladezeiten benötigt man auch viel mehr Ladestellen als es heute Zapfsäulen für Kraftstoff gibt. Diese müssen sich auch in den Wohngebieten befinden. Wer nicht in der Garage laden kann, muss auf einen freien Ladeplatz hoffen. Findet er ihn, schließt er abends sein Fahrzeug für eine Stunde an und sollte dann den Platz für den Nächsten freigeben. Ob das die Nacht hindurch so funktioniert, ist fraglich. Und wenn ich für einen Tag nach Frankfurt fahre, bin ich darauf angewiesen, gleich einen freien Ladeplatz zu bekommen, ansonsten fällt die Rückfahrt aus. Bei Kälte wird die Planung noch schwieriger. Denn dann kann die Reichweite sehr deutlich sinken, weil die Heizung die Batterie leer saugt. Denn Wärme als Nebenprodukt wie beim Verbrenner gibt es im Elektroauto ja nicht. Wir sollten uns der E-Mobilität nicht verschließen, aber sie hat erhebliche Nachteile, über die bisher kaum gesprochen wird. Sie sollte daher nicht die einzige Technologie sein, auf die wir setzen.
Welche anderen Technologien kämen für die Mobilität infrage?
Zu nennen ist hier zuallererst das enorme Potenzial von synthetischen Kraftstoffen. Diese lassen sich auch dort herstellen, wo der Strom produziert wird – etwa in der Nähe der großen Windkraftwerke im Norden. Für den Energietransport braucht man dann keine teuren Überlandleitungen, sondern nur Tankfahrzeuge, die den Kraftstoff dorthin bringen, wo man ihn braucht. Man benötigt auch keine neue Lade-Infrastruktur, sondern kann die bestehenden Tankstellen relativ einfach weiter verwenden.
Und was ist mit den Schadstoffen?
Diese synthetischen Kraftstoffe ließen sich so konzipieren, dass der heutige Zielkonflikt zwischen der Reduzierung unterschiedlicher Schadstoffe weniger ins Gewicht fällt. Dass in Deutschland weit mehr Kompetenz für den Verbrennungsmotor angesiedelt ist als für den E-Motor, spricht ebenfalls dafür, viel mehr Geld in die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe zu investieren als bisher.
Deutschland scheint sich bisher aber vor allem auf das Elektroauto zu konzentrieren.
Die Fortschritte, die die Batterietechnologie gemacht hat, sind nicht zuletzt auf die massive Förderung zurückzuführen. Würden synthetische Kraftstoffe in ähnlicher Weise gefördert, wären hier sicher ebenfalls große Fortschritte zu erwarten. Das batterieelektrische Fahren allein wird die Probleme jedenfalls sicher nicht schnell und für alle Zeiten lösen können. Ich sehe beispielsweise auch großes Potenzial in der Brennstoffzellen-Technologie. Da würden wir viele Vorteile des Elektrofahrzeuges nutzen, wären aber die Probleme mit Batterie und Reichweite los.