Flucht bis nach Portugal. In Frankreich gefasst. Angeklagter gesteht alles.
Deißlingen - Als der Rentner die Tür seines Gartenhäuschens öffnet, steht er schon vor ihm, der Eindringling, die Spitzhacke drohend erhoben, und sagt: "Ich habe ein Problem. Du hast mein Gesicht gesehen".
Was wie aus einem Krimi klingt, hat sich im April 2018 in Deißlingen genau so zugetragen.
An jenem Morgen war ein heute 80-Jähriger gegen 7.30 Uhr gekommen, um nach seinem Gartengrundstück zu sehen, das ein Stück außerhalb von Deißlingen liegt. "Ich habe zerbrochene Gartengeräte herumliegen sehen und einen Schatten", berichtet der Rentner vor dem Rottweiler Amtsgericht. Statt die Flucht zu ergreifen, öffnete er die Tür und stand einem fremden Eindringling gegenüber.
Opfer greift beherzt ein
"Ich habe ihn gefragt, wie er den Schaden bezahlen will", schilderte der 80-Jährige. Er habe auf den Fremden eingeredet, um ihn zu beruhigen. Stattdessen sei der Unbekannte immer nervöser geworden, habe verstört gewirkt und gestottert: "Ich habe ein Problem." Schließlich habe der Mann versucht, ihm den Autoschlüssel aus der Tasche zu ziehen, erzählte der Rentner. Er selbst sei Richtung Tor zurückgewichen und habe den Fremden gewarnt, dass er einen schweren Raub begehe, wenn er das Auto an sich nähme. "Hier kommst du nicht weg", habe dieser erwidert.
Als der Fremde die Spitzhacke, die er die ganze Zeit drohend oben gehalten hatte, kurz abstellte, sah der Rentner seine Chance und griff zu. "Die Hacke ist zerbrochen, ich bin hingefallen. Der Angeklagte saß auf mir und hat mir die Schlüssel schneller aus der Tasche gezogen, als ich denken konnte", erinnerte sich der 80-Jährige vor Gericht. Dann habe er schon das Auto aufheulen gehört. Der Täter war geflohen.
Bei dem Mann mit der Spitzhacke handelte es sich um einen 27-Jährigen, der schon häufig mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist und bereits hinter Gittern sitzt. 15 Eintragungen im Bundeszentralregister waren von Richter Oliver Niefer zu verlesen, darunter Körperverletzung, Diebstahl, Betrug, Beleidigung, ein Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mehr.
Angeklagter gesteht alles
Somit war in jedem Fall mit einer mehrjährigen Haftstrafe für den 27-Jährigen zu rechnen. Die Decke der vier Jahre Haftstrafe, die einen Prozess vor dem Landgericht nötig gemacht hätte, wurde jedoch nicht durchstoßen. Der Grund: Das Verhalten des Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt und vor Gericht schien mit seiner langen Liste an Vorstrafen nicht zusammenzupassen.
Der Mann räumte die Tat von Anfang an ein, gab bereitwillig Auskunft über seine Probleme und entschuldigte sich beim Opfer. Er hielt den Kopf während der Aussage des Geschädigten die ganze Zeit gesenkt und sagte, er schäme sich für das, was er dem 80-Jährigen angetan habe. Er wolle den Vorfall psychologisch aufarbeiten.
An jenem Tattag im April sei er gerade aus der Haft entlassen worden und habe kein Geld für die Therapie gehabt, die er eigentlich hatte antreten sollen. Der 27-Jährige kam das erste Mal im Teenageralter mit Drogen in Kontakt. Erst war es Gras, dann Amphetamine, Kokain und Opiate wie Subutex und Heroin. Die ersten Straftaten beging er bereits als Jugendlicher und landete früh hinter Gittern. Zwei Therapieversuche seien fehlgeschlagen.
Auch am Tattag habe er unter Drogeneinfluss gestanden. Ohne Therapie, Bezugspersonen und Wohnung sei er spontan in das Gartenhaus bei Deißlingen eingebrochen. "Mein Ziel war einfach ein Platz für die Nacht." Am nächsten Morgen sei jedoch der Besitzer aufgetaucht und er in Panik geraten. "Ich habe das Blödeste getan, was ich tun konnte: das Auto geklaut."
In Frankreich gefasst
In diesem habe er dann auch eine Weile gehaust, bis er einen Job im Ausland gefunden hatte. Er stahl Kennzeichen, tankte, ohne zu bezahlen, und fuhr mit dem Wagen nach Lissabon, nahm dort Arbeit auf und lebte in einer WG. Auf seinem Weg war er sogar von der Polizei kontrolliert worden, doch diese wusste offenbar nichts von dem europäischen Haftbefehl. Erst, als der 27-Jährige nach einigen Monaten nach Toulouse flog, wurde er dort von der Polizei festgenommen.
Aktuell sei er clean, habe seinen Schulabschluss nachgeholt und strebe ein Fernstudium an. Zudem arbeite er im Gefängnis fleißig und sei sogar in eine offene Wohngruppe gekommen. "Das ist ein Riesenschritt für mich", erzählte er. Außerdem sei er ständig in der Drogenberatung, wisse aber, dass er nicht stabil genug sei, die Sucht ohne Therapie zu überwinden.
"Mein Mandant hat gelernt, dass es einem besser geht, wenn man sich an die Spielregeln hält. Das Lotterleben liegt hinter ihm. Ich hätte selbst nicht gedacht, dass es so kommt, aber er hat etwas daraus gelernt", gab sein Verteidiger eine Einschätzung ab.
Die selbstkritische und ernsthafte Einstellung des Angeklagten überzeugte auch das Gericht. Im Vergleich zu seinen bisherigen Taten sei der schwere Raub jedoch eine ganz andere Nummer, stellte Niefer fest. Dennoch habe sie dem Angeklagten offenbar schwer zu schaffen gemacht. Er hoffe schwer, dass der 27-Jährige seinen aktuellen Kurs beibehalte. Der junge Mann wurde zu einer Haftstrafe von drei Jahren und elf Monaten verurteilt.