Der "Bären" besticht mit seiner urigen, rustikalen Art. Auch draußen im Biergarten wird bewirtet. Fotos: Zelenjuk Foto: Schwarzwälder Bote

Soziales: Stiftung Lernen – Fördern – Arbeiten richtet im Gasthaus Inklusionsbetrieb ein / Begegnung und Miteinander im Fokus

Die Traditionsgaststätte öffnet wieder – diesmal mit einem neuen Konzept. Im Deißlinger "Bären" entsteht ein Inklusionsbetrieb. Das Projekt startet nun mit reduzierten Öffnungszeiten in die Anlaufphase.

Deißlingen. Zwei Tage vor der Neueröffnung werden im "Bären" noch Gläser ausgepackt, Regale abgestaubt, Möbel zurechtgerückt und Tische geschmückt. Die vielen Helfer sind fleißig bei der Arbeit. Die letzten Vorbereitungen laufen – damit am heutigen Freitagabend alles stimmt und die Gäste zufrieden sind.

Seit Dezember stand das urige Kult-Gasthaus in Deißlingen leer, nun wird es mit neuem Leben gefüllt. Und diesmal ist hier etwas ganz Besonderes geplant: Die Stiftung Lernen-Fördern-Arbeiten (LFA) will im charmanten Fachwerkhaus einen Inklusionsbetrieb einrichten und so einen Treffpunkt schaffen für alle, die das Miteinander und die Begegnung, aber auch die regionale Küche schätzen.

Am Freitag öffnen sich nun um 17 Uhr die Türen für die Gäste. Es wird ein Soft Opening sein – mit einer überschaubaren Karte und reduzierten Arbeitszeiten. Denn ganz am Anfang müssen erst die vielen Arbeitsabläufe definiert werden, und auch das sechsköpfige Team muss langsam zusammenwachsen. Schritt für Schritt wird das Projekt dann ausgebaut.

"Habt ihr schon auf?" Diese Frage hörte Alexandra Gaß-Miksad, die das Projekt koordiniert, in den vergangenen Wochen zwei bis drei Mal am Tag, wenn die Deißlinger neugierige Blicke in das Innere des Gasthauses warfen. Denn jeder hat inzwischen mitbekommen: Da tut sich was. "Die Deißlinger freuen sich auf ihr Wirtshaus", stellt Gaß-Miksad fest.

"Ein bisschen entschleunigt, gemütlich und herzlich", so beschreibt sie die Atmosphäre im "Bären". Dazu wird es noch regionales Essen geben und die Gelegenheit, mit Menschen mit und ohne Behinderungen in Kontakt zu kommen.

Der Einstieg in die Gastronomie ist wie ein Sprung ins kalte Wasser

"Mit diesem Projekt sind wir zum Erfolg verdammt", sagt Tamer Öteles, Vorsitzender der Stiftung LFA. Er ist überzeugt, dass viele Gäste kommen werden, dass das Konzept aufgeht. Wobei in seinen Worten auch etwas Anspannung und Aufregung mitschwingt. Der Respekt vor der Aufgabe ist groß. "Wir haben nicht jeden Tag die Möglichkeit, solche sinnvollen, komplexen Projekte gestalten zu können. Das lässt einen emotional nicht kalt, weil es ein Stück weit Herzenssache ist. Es ist ein Leidenschaftsprojekt."

Öteles selbst kennt den Gasthof noch von früher – mit seiner herzlichen Atmosphäre, mit dem urigen Ambiente. Und er schwärmt heute noch vom Wurstsalat mit Bratkartoffeln, den es im "Bären" einmal gab. Das Gericht steht natürlich auch jetzt auf der Speisekarte, die unter dem Motto "Weniger ist mehr" gutbürgerliche Küche bietet.

"Viele Menschen haben ja Erinnerungen an den Bären aus den Jahren 2007, 2008, 2009. So wie ganz früher geht es natürlich nicht", macht Gaß-Miksad klar. Die Herausforderung sei, das Gute zu behalten und gleichzeitig frischen Wind reinzubringen.

Dafür war zwar kein großer Umbau notwendig, aber mehrere kleine Anpassungen: Es wurden die Lagermöglichkeiten verbessert, eine zweite Küche für Flammkuchen und Co. eingerichtet und eine barrierefreie Toilette eingebaut. "Die Voraussetzungen waren sehr gut. Es ist eine sehr individuelle Location, auf einem exklusiv hohen Niveau ausgebaut", meint Öteles.

Die Herausforderungen für das Team der Stiftung lagen eher woanders. "Wir sind im Bereich berufliche Integration unterwegs und haben viel Erfahrung mit Handwerk, Renovierungen, Gartenarbeiten. Das hier ist aber eine ganz andere Nummer", erklärt Gaß-Miksad.

Der Schritt in die Gastronomie war für alle praktisch ein Sprung ins kalte Wasser. Doch jetzt sind alle überzeugt, dass sich der Mut und der Einsatz auszahlen werden – auch wenn vielleicht nicht in finanzieller Hinsicht.

Hier baut das Konzept auf einer Mischkalkulation auf. "Wir als Stiftung gehen in Vorleistung und hoffen natürlich, dass das Konzept aufgeht", sagt Öteles. Neben dem Umsatz der Gaststätte sei man auch auf Fördermittel und Spenden angewiesen. "Es ist ein großes Glück, dass wir dieses Projekt über die große Organisation LFA mitfördern können", betont er.

Das Projekt ermöglicht Selbstbestimmung für Menschen mit Handicap

Für die Menschen mit Handicap wird das Inklusionsprojekt im "Bären" eine einmalige Chance bieten. "Nicht jeder will in die Werkstatt gehen", weiß Gaß-Miksad. In der Gastronomie würden sie wahrgenommen, und auch das Miteinander zwischen Menschen mit und ohne Behinderung werde gestärkt. "Auch als Gast ist man damit natürlich konfrontiert – damit, dass es vielleicht nicht ganz perfekt, aber trotzdem professionell ist", schildert sie.

"Mit dem Projekt wollen wir unserem Stiftungszweck nachgehen, indem wir Menschen, die nicht die besten Voraussetzungen haben, in der Gesellschaft Fuß zu fassen, mehr Selbstbestimmung ermöglichen", sagt Öteles. Der "Bären" soll zu einer Begegnungsstätte werden, in der verschiedene Menschen zusammenkommen, in der die Toleranz und die Gemeinschaft gelebt werden.

Künftig können hier bis zu 20 Arbeitsplätze entstehen

Sechs Mitarbeiter gehören aktuell zum Team im "Bären": Zwei arbeiten in der Küche, vier im Service. Bis jetzt hat die Stiftung noch keine Mitarbeiter mit Behinderung. Erste Anfragen habe man aber bereits bekommen. In der Perspektive, zeigt Öteles auf, können hier sogar bis zu 20 Arbeitsplätze entstehen, wenn die Gebäudebewirtschaftung und die Grünarbeiten dazukommen. Für einen Inklusionsbetrieb müssen dann 40 Prozent der Mitarbeiter Menschen mit Behinderung sein.

Und die Küche? "Wir wärmen nichts auf, wir machen alles frisch", versichert Gaß-Miksad. Und fügt hinzu: "Wir werden uns immer wieder was Neues einfallen lassen. Wir haben kreative Köpfe in der Küche und ganz viele tolle Ideen." Geplant sind etwa saisonale Aktionen wie Kürbis- oder Spargelwochen.

Öteles schweben noch viele andere Projekte vor: Man könnte im "Bären" zusammen Marmelade herstellen, Streuobstwiesen pflegen oder auch einen kleinen Laden mit betreiben. Für die Eröffnung hat er nur einen Wunsch: "Dass jeder, der das Haus verlässt, mit einem zufriedenen Lächeln geht." Er hofft, dass die Gäste etwas Verständnis haben – gerade zu Beginn. "Ich kann versichern, dass wir uns als eine lernende Organisation jedes Mal Gedanken machen werden, was wir verbessern können. Das werden wir tun – das nächste halbe Jahr ganz intensiv."

Weitere Informationen: Reduzierte Öffnungszeiten: freitags und samstags 17 bis 21 Uhr, sonntags 11.30 bis 20 Uhr