Bürgermeister Ralf Ulbrich (links) und Zunftmeister Rainer Schmeh bei der Schlüsselübergabe unter PandemiebedingungenFoto/Repro: Reinhardt Foto: Schwarzwälder Bote

Tradition: Machtübergabe im Deißlinger Rathaus unter Pandemiebedingungen / Ulrich erinnert an Blamage beim Baumstellen

Deißlingen (shr). Vor 66 Jahren, also 1955, ist in Deißlingen die erste Schlüsselübergabe vor dem Rathaus zelebriert worden – damals mit Zunftmeister Wilhelm Kunz und Bürgermeister Edwin Reuter. Es war der 20. Februar 1955 als der Elferrat vom Gasthaus Blume aus zum Rathaus marschierte. Vorneweg ein Festreiter, der die Standarte der Zunft trug. Bei der "Rose" traf der Zug auf den Musikverein und zusammen ging es dann zum Rathaus. Dort wartete laut Aufschrieb der Narrenzunft schon eine große Zahl an Schaulustigen: "Der Zunftmeister forderte den Bürgermeister in einer launigen Ansprache auf, den Rathausschlüssel in die Gewalt der Zunft abzutreten. Und dies freiwillig da sonst die Herrschaft über Deißlingen mit alkoholhaltigen Atombomben erkämpft werde. Ernst Reuter erwiderte darauf hin, dass er sich vor den Waffen der Zunft nicht fürchte. Er lege aber das Geschick der Gemeinde dem Elferrat vertrauensvoll in die Hände, indem er den Schlüssel zum Deißlinger Rathaus ›den hochwohlgeborenen Zünften übergibt‹".

Auch in diesem Jahr ist trotz Pandemie-Beschränkungen der Schlüssel des Deißlinger Rathauses jetzt in Narrenhand. Am Samstagnachmittag fand eine Schlüsselübergabe statt. Allerdings waren nur der Schultes und der Zunftmeister mit dabei. Im Fasnetskalender konnten Fasnetfans das kleine Spektakel mit verfolgen.

Bürgermeister Ralf Ulbrich sagte offen und frei, dass er froh sei, endlich mal einen Fasnetsamstig zu Hause auf dem Sofa verbringen zu dürfen und er sich nicht wie jedes Jahr vor der Bevölkerung von der Zunft beschimpfen lassen müsse. Das war eine Steilvorlage für den Zunftmeister, Rainer Schmeh: "Ihr hond sieben Monat oder 210 Tag braucht, um i da Oartsmitte a Stickle Fahrbahn von 100 Meter zu bauen. Wenn ich", so Schmeh, "an den Bau der Autobahn in den 70er.Jahren denke, wird mir ganz komisch". In der Ortsmitte, so rechnete Schmeh vor, hätten die Bauarbeiter pro Tag 0,47 Meter geschafft. Da es von Deißlingen nach Stuttgart 100 Kilometer sind und der Rückweg ebenso lang ist, hätte es umgerechnet im Verhältnis zur Deißlinger Ortsmitte 1165 Jahre gedauert, bis die Autobahn fertiggewesen wäre. Ralf Ulbrich konterte und erinnerte Schmeh an die blamable Vorstellung beim Narrenbaumstellen im vergangenen Jahr. "Ihr hond das halbe Oberamt braucht, um den Boom zu stella, und letztendlich habt ihr es den Lauffener zu verdanken, dass der Boom überhaupt gesetzt werden konnte". Weiter erinnerte der Bürgermeister daran, dass der Baum wegen seiner Größe wegen des Sturms nach wenigen Tagen von der Gemeinde habe umgebsägt werden müssen.

Letztendlich rückte Ulbrich den Rathausschlüssel doch heraus und ging entnervt nach Hause. Rainer Schmeh hingegen machte sofort Gebrauch vom Hausrecht und gab den Gemeindebediensteten über die Fasnetage frei – aber nur bis Montag. Und "wenn’s schneiet, miaset ihr gi schaffe kumme, dia wo’s a’goht".