Fotos: Cools Foto: Schwarzwälder Bote

Bogenschießen mit einem Weltmeister / "Haltung bewahren und fokussieren" ist das Motto

Deißlingen/Bad Dürrheim. Angestrengt kneife ich ein Auge zusammen, während das andere starr auf das Ziel gerichtet ist. Ich atme noch einmal tief ein, ehe ich meinen linken Arm anhebe und den Bogen ausrichte. Mit drei Fingern greife ich nach der Sehne und ziehe sie kraftvoll zurück, bis sie meine Wange berührt. Das fühlt sich seltsam an – gefährlich. Ich würde am liebsten instinktiv den Kopf zurückziehen, aber ich weiß, dass es so richtig ist.

Mein Herz pocht wie wild, der Arm, der den großen Bogen hält, zittert. Meine Schulter schmerzt, doch ich halte die Spannung noch einen Moment lang, während ich mein Ziel anpeile. Ich stehe im 90-Grad-Winkel zur Scheibe, bin absolut fokussiert, sehe die Pfeilspitze und spüre die Anstrengung, die es mich kostet, den Bogen und meinen Rücken gerade zu halten.

Noch eine Sekunde Disziplin, eine Sekunde volle Konzentration, und ich ernte die Früchte für eine saubere Ausführung. Noch einmal tief durchatmen. Dann lasse ich los. Ein helles Sirren – und der Pfeil steckt im äußeren Ring der Zielscheibe, oberhalb der Mitte.

"Anfänger tendieren immer dazu, sich nach hinten zu lehnen", weiß Matthias Pickhardt. Als er den Bogen nimmt und drei Pfeile abschießt, landen alle genau in der Mitte. Gegen einen Weltmeister kommt man eben nicht so leicht an. Anstatt mich zu grämen, freue ich mich, von einem der Besten lernen zu können. Wer würde sich nicht gern mit einem Weltmeister messen?

Der Deißlinger, der Mitglied der Schützengemeinschaft Bad Dürrheim ist, hat erst vor neun Jahren mit dem Bogenschießen begonnen. Nach drei Jahren war er zum ersten Mal Deutscher Meister. 2018 wurde er sogar Weltmeister in der Disziplin Klassischer Recurve-Bogen. "An so einem Wettkampftag schleppt man schon einmal Tonnen mit sich herum", weiß der Profi.

Wie eine Sinuslinie

Für mich darf es ein kleineres und leichteres Modell sein. Trotzdem wiegt der Bogen einiges. Ihn auf Schulterhöhe mit beinahe ganz ausgestrecktem Arm vor mir zu halten, ist anstrengend – erst recht, wenn man in Sachen Arm- und Schultermuskeln eher schwach auf der Brust ist. Bevor ich Pfeile abschießen darf, bekomme ich aber erst einmal eine Sicherheitseinweisung. Eine Manschette soll verhindern, dass die Sehne mich am Arm verletzt. Der Pfeil wird nur bei nach unten gerichtetem Bogen eingelegt.

Dann geht es ans Eingemachte. Ich halte den Bogen in meiner linken Hand und ziehe mit der rechten Hand an der Sehne. Sofort spüre ich, wie sich meine Schultern verkrampfen.

Geduldig weist mich Matthias Pickhardt auf meine Haltungsfehler hin. Es dauert einige Minuten, bis alles sitzt. Aber der Deißlinger ist es gewöhnt, mit blutigen Anfängern zu arbeiten. Seit 2016 ist er Trainer.

Neben der richtigen Technik ist aber auch das Mentale entscheidend, wie er mir erklärt. "Man muss den Schussablauf vor dem geistigen Auge durchgehen." Aber genau das ist es auch, das am Bogenschießen so begeistert, findet Nicole Isele, die Vorsitzende der Schützengemeinschaft Bad Dürrheim, auf deren Übungsplatz ich nun die ersten Gehversuche in Sachen Bogenschießen mache. 40 Bogenschützen sind im Verein aktiv.

"Es ist eine Abwechslung von Konzentration und Bewegung. Nach dem Schuss muss man sich lösen und die Pfeile holen, einen Moment später aber wieder voll fokussiert sein", sagt sie. "Es ist ein permanentes Auf und Ab, wie eine Sinuslinie", bekräftigt Pickhardt.

Das erfordert Disziplin, wie ich spätestens nach dem fünften verunglückten Pfeil spüre. Ich ärgere mich, und das schadet der Konzentration.

Pickhardt schießt bei der Disziplin "Feld & Jagd" auf einer 72-Meter-Bahn. Mir reichen schon zehn, um den Pfeil komplett zu verziehen. "Hier muss man sich seine Meter verdienen", sagt Isele lachend. Wie man stundenlang bei einem Wettkampf fokussiert bleiben kann, ist mir ein Rätsel. "Der Weg ist das Ziel", sagt der Deißlinger. Aber wieso muss der so schwer sein?

Sport für die Familie

"Ich dachte am Anfang bei mir auch, das wird nie etwas", tröstet mich Isele. Bogenprofi Pickhardt ist zuversichtlich. Bisher sei es jedem so gegangen, dass er sich schnell sicherer fühle und die Bahn am Ende mit einem Lachen verlasse.

Ich zweifle das an, will die Flinte aber nicht ins Korn werfen. Ich möchte unbedingt die Mitte treffen – wieder ein typischer Anfängerfehler, klärt mich Matthias Pickhardt auf. "99 Prozent wollen zielen. Das sollte man aber nicht versuchen. Es kommt von ganz allein", verspricht er mir.

Und tatsächlich: Mein elfter Pfeil kratzt den äußeren Rand der Mitte an. Jetzt hat mich der Ehrgeiz gepackt. Ich schnappe mir den nächsten Pfeil, lege an und schieße ihn schlampig ab, so dass er nicht einmal die Scheibe trifft. Konzentration ist eben alles. Je mehr Pfeile ich abschieße, desto mehr Spaß macht es.

Der Bogensport habe die vergangenen 25 Jahre stark an Beliebtheit zugenommen, erklärt mir Nicole Isele parallel. Das liege vor allem daran, dass es ein Familiensport mit gutem Gemeinschaftsgefühl sei.

Das ist es auch, was Matthias Pickhardt begeistert. "Mir geht es nicht um Erfolg. Ich sehe mich mehr als Breiten- denn als Leistungssportler. Bei den Wettbewerben trifft man immer die gleichen Leute und schließt auch Freundschaften. Auch wenn jeder für seinen eigenen Pfeil verantwortlich ist, ist es doch auch Teamsport", sagt er.

Nun ist er an der Reihe. Ein Programm auf dem Tablet hilft ihm dabei, seinen Schussablauf zu verbessern. "Mein Manko ist die Lösephase", sagt er. 80 Stundenkilometer schnell können seine Pfeile werden. Bei mir waren es gerade einmal um die 40. Als Laie kann ich absolut keinen Fehler an seiner Technik erkennen. Aber Pickhardt ist Perfektionist.

Außerdem steht die Weltmeisterschaft im März 2021 an. Bei der will er wieder gut abschneiden. Dass das klappen wird, daran habe ich keine Zweifel. Schließlich hat sich doch bewahrheitet, was er mir versprochen hat. Am Ende des Trainings gehe ich mit einem breiten Grinsen und einem Pfeil fast ganz in der Mitte der Zielscheibe von der Bahn.