Und jetzt? Nach Bekanntwerden des Treffens in Potsdam ist die Aufregung um die AfD groß. Doch in der Debatte gibt es viele Missverständnisse. Zeit, damit aufzuräumen, kommentiert Hauptstadtkorrespondentin Rebekka Wiese.
Wer bislang empört war, ist jetzt entsetzt. Wer zuvor besorgt war, ist nun verängstigt. Sonst hat sich nicht viel verändert, seitdem das Recherche-Netzwerk „Correctiv“ über ein konspiratives Treffen rechtsradikaler Kreise in Potsdam berichtete. Neben rechtsextremen Aktivisten wie dem Österreicher Martin Sellner nahmen auch Vertreter der AfD daran teil. Im November diskutierten sie, wie man Menschen mit und ohne deutschen Pass aus Deutschland möglicherweise nach Afrika deportieren lassen könnte. Man muss nicht Geschichte studiert haben, um sich an den Madagaskarplan der Nationalsozialisten erinnert zu fühlen. Der sah vor, vier Millionen europäische Juden nach Madagaskar auszusiedeln.
Und jetzt? Wer sich je ernsthaft mit der AfD beschäftigt hat, kann von den Potsdamer Plänen nicht völlig überrascht sein. Wenn nun noch aufgeregter über den Umgang mit dieser Partei diskutiert wird, zeigt sich dabei, dass bislang viele Missverständnisse die Debatte bestimmt haben. Damit muss aufgeräumt werden.
Die meinen das so
Das erste Missverständnis: Die AfD meint das nicht so. Das ist bis heute eine beliebte Ausflucht, wenn sich AfD-Funktionäre extremistisch äußern. Um nur eines von vielen Beispielen zu nennen: Schon im Wahlkampf 2017 sagte der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, man solle die SPD-Politikerin und heutige Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz „in Anatolien entsorgen“. Dass die AfD sich Deportationen wünscht, ist kein Geheimnis. Man findet das unter dem euphemistischen Begriff „Remigration“ in den Wahlprogrammen der Partei. Auf der AfD-Europawahlversammlung wurde laut geklatscht, als eine Delegierte für „millionenfache Remigration“ warb. Die AfD meint, was sie sagt.
Das zweite Missverständnis: Die AfD-Wähler meinen das nicht so. Wollen sie nur protestieren? Wissen sie, wen sie da wählen? Oder was sie wollen? Es ist eine Binse, dass nicht alle AfD-Wähler rechtsextrem sind. Bei einigen dürfte es sich um eine grenzenlos naive Verirrung handeln, bei anderen um einen unterschätzt riskanten Ausdruck von Protest. Aber viele wählen aus Überzeugung. In den vergangenen Jahren hat sich deutlich gezeigt: je radikaler die Partei, desto größer ihr Erfolg. Es gehört zu den besonders unbequemen Wahrheiten, dass viele die AfD wählen, weil sie die AfD wollen.
Parteiverbot ist nicht die Lösung
Das dritte Missverständnis, das die Debatte nun stärker bestimmt: Bevor die AfD gefährlich wird, kann man sie verbieten. Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. Das haben die gescheiterten Verbotsverfahren gegen die NPD gezeigt. Um eine Partei zu verbieten, reicht es nicht, dass sie verfassungsfeindlich agiert. Sie muss sich aktiv-kämpferisch und aggressiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsetzen, sie muss sogar planvoll handeln. Bis man das nachweisen kann, kann eine Partei der Demokratie so nachhaltig schaden, dass es zu spät ist, wenn man sie dann wirklich verbieten will. Auf dieses letzte Mittel darf man sich nicht verlassen.
Dann kann man wohl nichts machen? Das wäre das vierte Missverständnis. In Resignation oder in Panik zu verfallen, wäre ein Fehler. Das gilt zum einen für die Politik: Sowohl Regierung als auch Opposition müssen sich dringend zusammenreißen, trotz aller Krisen und Spannungen zur Sachlichkeit zurückkehren. Aber da ist eben auch die Zivilgesellschaft. Wo sind die großen Demonstrationen gegen Rechtsextreme? Gerade ist der Zusammenhalt aller gefragt, die hinter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen – ganz egal, ob sie Auto oder Rad fahren, in der Stadt oder auf dem Land leben, Hafer- oder Kuhmilch trinken. Es braucht jetzt einen großen Aufschrei. Noch ist leider nur ein Krächzen zu hören.