Hans Löw (li.) und Ulrich Matthes in „Das Feuerschiff“, Deutsches Theater Berlin Foto: Arno Declair

Sollte man auf Gewalt mit Gewalt reagieren? Wann ist Mut die bessere Option, wann Vorsicht? Ist jedes Leben schützenswert? Siegfried Lenz’ „Das Feuerschiff“ wird derzeit mit Ulrich Matthes und Hans Löw am Deutschen Theater Berlin aufgeführt.

Verlässt ein Feuerschiff seine Position, ist die Sicherheit auf See nicht mehr gewährleistet. „Dann hört die Ordnung auf See auf“, sagt Kapitän Freytag. Er ist deshalb nicht bereit, sein Schiff zu bewegen – nicht einmal dann, wenn diese Entscheidung tragische Folgen hätte. Freytag, das merkt der Zuschauer schnell, ist einer, der das Wohl der Gemeinschaft höher stellt als das des Einzelnen. Und einer, dem Helden und Märtyrer suspekt sind: Ihr Tod, sagt er, hilft nur ihnen selbst. „Sonst keinem“.

„Das Feuerschiff“, nach der gleichnamigen Erzählung von Siegfried Lenz, feierte am vergangenen Samstag im Deutschen Theater Berlin Premiere. In der Inszenierung von Josua Rösing gibt Ulrich Matthes den Freytag. Zusammen mit seinem Sohn Fred (gespielt von Timo Weisschnur) hält der Kapitän seine letzte Wache auf dem Schiff. Als er eine Gruppe von Schiffbrüchigen entdeckt, zögert er nicht, holt die drei Männer aus ihrem seeuntüchtigen Boot an Bord. Was er nicht weiß: Die Geretteten sind Kriminelle auf der Flucht. Und sie wollen um jeden Preis weiter – mit einem neuen Motor, einem neuen Boot, notfalls aber auch mit dem Feuerschiff selbst.

Ein Kampf um Sicherheit oder Freiheit, Kontrolle oder Risiko

Schnell entspinnt sich eine Auseinandersetzung zwischen Freytag und Dr. Caspary (Hans Löw), dem Anführer der Verbrecherbande. Dabei scheint keiner bereit, von seinem Vorhaben abzurücken: Es ist ein existenzieller Kampf um die Fragen von Sicherheit oder Freiheit, Kontrolle oder Risiko, Ordnung und Anarchie.

Das Feuerschiff selbst steht als Symbol für diese gegensätzlichen Werte: „Alt, aber zuverlässig“, nennt es Freytag. Als „an den Grund gefesselt, wie so ein Lebenslänglicher“, sieht es Caspary. Der Disput der beiden Männer kommt derweil nie vollends zum Tragen. Er bleibt ein Lippenbekenntnis, ein gegenseitiges Taxieren, ein Beharren auf den eigenen Positionen. Die Gewalt, die stets in greifbarer Nähe scheint, bleibt der jüngeren Generation überlassen: Als der psychopathische Eugen (Owen Peter Read exzellent in der Doppelrolle der Zwillinge Edgar und Eugen) eines der Besatzungsmitglieder erschießt, sticht Fred ihn nieder, wirft seine Leiche über Bord.

„Ich hab’ gedacht, dass du das jetzt von mir erwarten würdest“, versucht Fred sich vor dem Vater zu rechtfertigen. Dieser erwidert darauf nichts. Ulrich Matthes spielt den Kapitän Freytag ohne großen Körpereinsatz, reduziert Gesten und Gesichtsausdrücke auf ein angemessenes Minimum. Und auch die Bühne von Mira König, auf der die Männer sich bewegen, ist ein Bild minimalistischer Ordnung, welches die kühle Funktionalität des Feuerschiffs widerspiegelt: Drei blau gepolsterte Sitzbänke stehen auf Gittern aus Metall. In die Rückwand sind vier Bildschirme eingelassen. Sie suggerieren Ortswechsel, zeigen mal blau wogende Wellen, dann wieder das Innere des Schiffes. Die Musik wirkt in vereinzelten Szenen emotional-verstärkend. Die meiste Zeit jedoch lässt Regisseur Rösing das Handeln und die Kommunikation seiner Schauspieler für sich wirken.

Sollte man auf Gewalt mit Gewalt reagieren?

Dabei ist der Vater-Sohn-Konflikt nur ein Aspekt des spannungsreichen Theaterstücks, in dem sich drei Erzählstränge überlappen: Die Gefahrensituation als Momentaufnahme, der Rückblick in die Vergangenheit Casparys, die angespannte und zwiespältige Beziehung zwischen Fred und Freytag, die auf einer vergangenen Entscheidung des Kapitäns gründet.

Wie die beiden anderen Themenkomplexe, wird auch sie allerdings nur angeschnitten. Erzählt, aber nicht in der Tiefe analysiert oder neu gedeutet. So kreist das Vier-Mann-Stück um grundlegende Problematiken, ohne sie jedoch abschließend zu beantworten: Sollte man auf Gewalt mit Gewalt reagieren? Was ist die Definition von einem guten, erfüllten Leben? Wann ist Mut die bessere Option, wann Vorsicht? Ist jedes Leben schützenswert?

Regisseur Rösing hat sich viel vorgenommen, doch 80 Minuten reichen offenbar nicht, um all die psychologisch interessanten Fragen aus- und aufzuarbeiten, die „Das Feuerschiff“ aufwirft. Das bleibt dem Zuschauer überlassen.

Mehr Infos: www.deutschestheater.de

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