Klaus Michael Rückert freut sich auf seine neue Aufgabe. Foto: Regina Schwenk

Nationalpark bis zur Finanzkrise – der Landrat über seine Amtszeit und die Zukunft, in der der Mensch Klaus Michael Rückert mehr Raum neben dem Politiker haben soll.

Es ist noch viel zu tun, bis zur Amtsübergabe Ende September. Zeit für ein Abschiedsgespräch hat sich der scheidende Freudenstädter Landrat Klaus Michael Rückert dennoch genommen.

 

Wenn Sie ein Projekt nennen müssten, das Ihre Amtszeit geprägt hat wie kein Zweites, welches wäre das?

Es gab natürlich in den 15 Jahren viele große und auch kleine wichtige Projekte. Aber ein ganz besonderer Meilenstein war sicherlich der Krankenhausneubau, weil stationäre Gesundheitsversorgung ein elementarer Bestandteil der Infrastruktur ist. Das auf neue, moderne Beine zu stellen, das war für uns als kleiner Landkreis ein Kraftakt. Aber eben außerordentlich wichtig, um für die Zukunft gerüstet zu sein.

Gerade das Krankenhaus wurde in den letzten Jahren immer mehr zum Politikum. Die Fallpauschalen decken die Kosten längst nicht mehr, die KLF (Kliniken Landkreis Freudenstadt GmbH) gerät immer mehr in eine finanzielle Schieflage. War der Neubau rückblickend richtig?

Absolut. Mit dem Altbau würden wir noch wesentlich schlechter dastehen. Allein der Energieverbrauch war – wie bei allen Gebäuden aus den 60er- und 70er-Jahren – enorm. Wir haben im Winter die halbe Nordstadt geheizt. Jetzt haben wir deutlich weniger Fläche und sind dadurch energieeffizienter und kostengünstiger. Auch konnten wir die Räume so anordnen, dass sie zeitgemäße Arbeitsabläufe ermöglichen. Damit meine ich unter anderem die sogenannten floatenden Stationen. Je nach Patientenaufkommen in den einzelnen Fachbereichen kann ein Raum für die Chirurgie oder für die Innere genutzt werden. Ohne den Neubau hätten wir das alte Krankenhaus sanieren müssen. Mit einem höheren finanziellen Aufwand und bei laufendem Betrieb. Acht bis zehn Jahre hätten wir dafür gebraucht. So lange Baulärm bei der Arbeit – das erträgt niemand. Wir hätten massiv Personal verloren.

Kurzer Blick in die Zukunft – kann der Kreis das Krankenhaus halten?

Ja, bin ich der festen Überzeugung. Der Bund kann nicht länger die finanzielle Misere der Krankenhäuser – insbesondere der Grund- und Regelversorger, zu denen wir gehören – mit ansehen. Es hat ja schon ein Krankenhaussterben begonnen. Der Bund muss nicht nur handeln, er wird es auch.

Anders bei der Geriatrischen Reha in Horb. Auch Sie befürworten eine Schließung. Reißt das nicht wieder alte Wunden auf? Stichwort Ostkreis-Westkreis-Debatte?

Ich spüre, dass ein Stück weit alte Wunden wieder aufreißen. Das bedauere ich außerordentlich. Ich erlebe die Debatte aber größtenteils als an der Sache orientiert, nicht bezogen auf Standorte. Ein älteres Ehepaar aus Freudenstadt hat mir beispielsweise einen sehr bewegenden Brief geschrieben, wie wichtig diese Einrichtung ist. Mir wäre es viel, viel lieber, wir könnten die Reha halten. Die Einrichtung leistet eine hervorragende Arbeit. Und trotzdem hat der Aufsichtsrat unter meiner Leitung und mit meiner Stimme dem Kreistag empfohlen, sie zu schließen, weil der Kreis dadurch eben rund 1,6 Millionen Euro im Jahr einsparen kann. Was mich bei diesem Thema wirklich ärgert, ist, wir als Kreis müssen – im Gegensatz zum Akutkrankenhaus – gar keine Reha vorhalten. Wir sehen aber einen Bedarf, also tun wir es. Es läuft gut, die Patientinnen und Patienten sind zufrieden. Zuständig für die Finanzierung sind die Krankenkassen. Und die schaffen es irgendwie, dass wir als Landkreis die Bösen sind, wenn wir darüber nachdenken, ob wir die Einrichtung schließen müssen, weil wir sie nicht kostendeckend betreiben können. Das ist schon ein bisschen schräg.

„Wäre ich jemand, der vor Problemen wegläuft, wäre ich schon längst nicht mehr da“, sagt Rückert. Foto: Regina Schwenk

Sie schlagen ein Jahr vor dem offiziellen Ende Ihrer Amtszeit einen neuen Weg ein. Wie kontern Sie Kritiker, die Ihnen vorwerfen, vor dem desaströsen Kreishaushalt davonzulaufen?

Das ist grober Unfug. Ich hatte in meiner Amtszeit viele Herausforderungen. Das Thema Krankenhaus hat mich durchgehend begleitet, das Akutkrankenhaus in Horb musste ich schließen. Das war die brutalste Zeit meiner Landratstätigkeit. So persönlich und unter der Gürtellinie angegriffen wie in dieser Zeit wurde ich in den 15 Jahren sonst nie. Dann hatten wir die Flüchtlingswelle und mussten plötzlich sehr viele Menschen auf einmal unterbringen. Wir hatten Corona zu meistern. Die Einrichtung des Nationalparks fiel in meine Amtszeit. Ich habe mich früh als Befürworter geoutet und dafür ordentlich Prügel bekommen. Ausgepfiffen zu werden ist etwas, das man als demokratischer Politiker akzeptieren muss. So etwas wie in Baiersbronn, als ich mich öffentlich zum Nationalpark bekannt habe, hatte ich zuvor aber noch nicht erlebt. Sie glauben nicht, wie – auch körperlich – anstrengend es ist, sich auf eine Rede zu konzentrieren, wenn ununterbrochen hunderte Leute pfeifen. Das war die anstrengendste Rede meines Lebens. Auch jetzt bei der Erweiterung habe ich noch Prügel für meine Position pro Nationalpark bekommen, aber nicht mehr ganz so viele (lacht). Wäre ich jemand, der vor Problemen davonläuft, wäre ich schon lange nicht mehr da. Mein Amt jetzt niederzulegen war ausschließlich eine persönliche Entscheidung, die bereits in den Weihnachtsferien – noch vor Abschluss der Haushaltsberatungen – gefallen ist. Ich wollte noch etwas anderes machen in meinem Leben. Als ein sehr guter Freund von mir mit Anfang 60 an Krebs gestorben ist, habe ich mich gefragt: „Wenn du noch den anderen Plan hast, als Diakon im Ehrenamt zu arbeiten, wann beginnst du damit?“

Seit Sie diesen Entschluss im April öffentlich gemacht haben, äußern Sie sich sehr offen und kritisch. Etwa gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung, der Sie fehlende Unterstützung bei der Suche nach Kinderärzten vorgeworfen haben. War die Entscheidung, das Amt niederzulegen, auch ein Befreiungsschlag?

Probleme habe ich für meine Verhältnisse auch vorher klar benannt, aber ich war immer ein Freund davon, mich diplomatisch auszudrücken. Was die Kassenärztliche Vereinigung, den Bund und die Finanzierung des Krankenhauses angeht, habe ich schon lange einen dicken Hals.

Ich bin außerordentlich dankbar, dass ich Landrat in Freudenstadt sein durfte. Das war für mich der Höhepunkt meiner politischen Arbeit und meiner Gestaltungsmöglichkeiten. Gleichzeitig war es das umfangreichste Aufgabengebiet, welches ich je begleiten durfte. Die Verantwortung für all diese Bereiche zu tragen, das macht was mit einem. Das kostet auch Kraft. Wenn man die Verantwortung dann in andere Hände weitergeben darf, ist das sicher auch ein Stück weit befreiend. Und ja, vielleicht sagt man dann das eine oder andere noch ein bisschen deutlicher.

Auch Ihre Partei, die CDU, haben Sie im Frühjahr deutlich kritisiert. In der Verabschiedung des Zustrombegrenzungsgesetzes mit Stimmen der AfD haben Sie einen Wortbruch gesehen. Sind Sie noch Mitglied?

Ich bin nach wie vor Mitglied der CDU, ja.

Bleiben Sie es auch?

Im Moment habe ich es vor. Aber ich habe Grenzen deutlich gemacht und diese Grenzen gibt es für mich immer noch. Und deshalb gilt, sag niemals nie.

In der politischen Debatte wird der Ton rauer, bekommen Sie das auch zu spüren?

Also, der Ton hat sich verschärft. Die Aufgeregtheit ist heute größer und der Respekt teils gar nicht mehr da. Ich habe den Eindruck, dass es in unserer Gesellschaft häufig schwierig ist, die gesunde Mitte zu finden. Früher hat man sicherlich vor Bürgermeistern, Landräten, Ministern und so weiter viel zu viel Respekt gehabt. Aber heute hat man den Eindruck, man ist der Fußabstreifer. Und das ist nicht in Ordnung. Wir sind ganz normale Leute, die denselben Respekt verdienen, den jeder Mensch verdient hat. Das Fehlen dieses Respekts hat auch Folgen. Da reicht schon ein Blick auf die Bewerberlage bei Bürgermeisterwahlen. Gab es früher zwei, drei oder vier Bewerber, von denen man dachte, die können es alle, ist man heute als Gemeinde froh, wenn sich noch eine Kandidatin oder ein Kandidat findet, der bereit ist, das Amt auszuüben und etwas davon versteht. Das hat, denke ich, damit zu tun, dass man in dieser Gesellschaft als Politiker – auch als Kommunalpolitiker – rund um die Uhr unter Beobachtung steht und für alles verantwortlich gemacht wird. Bloß eine Kleinigkeit als Beispiel: Natürlich sind wir als Kreis für die Müllentsorgung zuständig. Aber in welcher Tonlage ich teilweise E-Mails bekomme, warum ich heute früh die Biomülltonne nicht abgeholt hätte... da muss ich sagen, ich würde es ja gerne machen, aber ich habe dazu keine Zeit. Schon gar nicht im ganzen Landkreis (schmunzelt). Wir sollten lernen, uns wieder sachlich auseinanderzusetzen. Schauen wir beispielsweise auf das Thema Windkraft. Man kann natürlich immer für oder gegen ein Windrad sein. Ich persönlich bin grundsätzlich für Windkrafträder. Wenn jetzt aber eines nicht gebaut wird, weil es aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist oder weil die demokratischen Mehrheiten für das Projekt fehlen, ist das eben so. Das ist nicht das Ende für den Klimaschutz. Genauso wenig, wie es ein Weltuntergang ist, wenn an anderer Stelle im Kreis eines gebaut wird. Bei vielen scheint das aber heutzutage eine Art Endzeitstimmung auszulösen.

Woher kommt das? Haben Sie eine Erklärung dafür?

Da gibt es, denke ich, mehrere Gründe. Zum einen ist da Social Media – da findet schon eine Verrohung der Kommunikation statt. Zum anderen habe ich so ein bisschen den Eindruck, dass die Gesellschaft heute meint, der Staat müsse alles regeln. Da hat sicherlich die Corona-Pandemie mit reingespielt, in der der Staat ja tatsächlich alles geregelt hat. Jetzt müssen wir zusehen, dass wir den Leuten wieder nahebringen, dass dieses Leben auch eine gute Portion Eigenverantwortung mit sich bringt. Der Staat ist im Endeffekt für die Dinge da, die man gemeinschaftlich organisieren muss. Und für die Menschen, die sich aus eigener Kraft nicht mehr helfen können. Es gibt Schicksale, aus gesundheitlichen oder lebensbiografischen Gründen, die der Einzelne nicht mehr alleine meistern kann. Da bin ich dankbar, dass wir einen Sozialstaat haben. Aber auch da müssen wir aufpassen, dass wir es nicht übertreiben und so verbürokratisieren, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Formulare ausfüllen müssen, als dass sie Zeit haben, sich um die Hilfen zu kümmern.

Wie groß die Freude über die neue Aufgabe ist, sieht man Klaus Michael Rückert an. Foto: Regina Schwenk

Am Montag werden Sie offiziell als Landrat verabschiedet – wie geht es dann für Sie weiter?

Ich arbeite noch bis Ende September weiter. Zum 1. Oktober nehme ich halbtags eine juristische Tätigkeit auf und beginne mit der intensiveren Phase der Ausbildung zum Diakon. Von der Diözese aus gibt es im Kloster Heiligkreuztal im Landkreis Biberach eine Ausbildungsstelle. Dort werde ich immer wieder für vier oder fünf Tage am Stück sein und auch recht häufig über das Wochenende Kurse besuchen. Der erste Kurs, den ich belege, hat die Liturgie zum Inhalt. Und dann habe ich parallel in einer Kirchengemeinde auch ein Praktikum. Ich werde predigen und die ganzen Dienste kennenlernen, die ein Diakon im Zivilberuf machen darf und kann: Predigen, Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen.

Klingt ganz danach, als hätten Sie auch zukünftig einen gut gefüllten Terminkalender...

Ja, es wird nicht langweilig. Aber ich bin froh drum. Ich habe mir wirklich eine Weile überlegt, ob ich eine Auszeit nehme und erst im neuen Jahr beginne. Die hat sich gedanklich dann aber immer mehr verkürzt. Erst auf Dezember, dann auf November. Und irgendwann habe ich mir gesagt: „ Was soll ich im Oktober nur spazieren gehen?“

Vor welcher Ihrer künftigen Aufgabe als Diakon haben Sie den größten Respekt?

Davor, im seelsorgerischen Gespräch den einzelnen Menschen gerecht zu werden. Das ist nochmal etwas ganz anderes und das möchte ich wirklich tun: ganz persönlich Menschen begleiten.