Betriebsratschef Michael Brecht beim Redaktionsbesuch Foto: Peter Petsch

Um die deutschen Standorte wettbewerbsfähig zu halten, fordert Daimler auch Zugeständnisse beim Personal. „Wenn die Wirtschaftlichkeit unserer Produkte davon abhängt, läuft was schief“, sagt der neue Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht.

Um die deutschen Standorte wettbewerbsfähig zu halten, fordert Daimler auch Zugeständnisse beim Personal. „Wenn die Wirtschaftlichkeit unserer Produkte davon abhängt, läuft was schief“, sagt der neue Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht.

Stuttgart - Die Funktion mag die gleiche sein, doch die Personen haben kaum etwas gemeinsam. Der Vorgänger Erich Klemm war Schwabe und zumindest zum Ende seiner Amtszeit meist zurückhaltend und vorsichtig, mitunter sogar misstrauisch, wenn er mit Journalisten zu tun hatte. Michael Brecht (48) dagegen, der seit 2. April Daimler-Konzernbetriebsrat ist und damit die Interessen von rund 275 000 Mitarbeitern weltweit vertritt, blickt beim Redaktionsbesuch offen und freundlich in die Runde. Seine Augen blitzen dabei schelmisch. „Ich bin Badener“, antwortet er spontan auf die Frage, was ihn von seinem Vorgänger unterscheidet – und hat damit die Lacher auf seiner Seite.

Umgänglich, locker und geerdet: Mit seiner Art wird es Michael Brecht nicht schwerfallen, die zuletzt auf das absolut notwendige Maß reduzierten Beziehungen mit der Konzernführung wiederzubeleben. Grund für die Eiszeit war der Vertrag von Daimler-Chef Dieter Zetsche, der vor gut einem Jahr auf Druck der Arbeitnehmerseite nur um drei statt der üblichen fünf Jahre verlängert worden war. Mit dem Wechsel an der Spitze des Betriebsrats scheint das Miteinander wieder einfacher. Ja, er sei regelmäßig im Büro von Zetsche, lässt Brecht wissen. Ihm sei es wichtig, noch mehr zu kommunizieren, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen sei. Gleichzeitig nimmt er Vorgänger Klemm in Schutz. „Wenn es in einer Beziehung nicht stimmt, dann sind dafür immer beide Partner verantwortlich.“

Brecht macht aber auch klar, dass sich die Themen nicht geändert haben, nur weil jetzt ein anderer an der Spitze des Konzernbetriebsrats steht. Zwar geht es Daimler derzeit prächtig, und die Werke sind bis an die Grenzen ausgelastet. Doch ob dies vor allem in Deutschland in Zukunft so bleiben wird, hängt von der langfristigen Strategie ab und davon, wie die Standorte gerüstet sind. Ein Sinnbild dafür ist das Werk Ludwigsfelde südlich von Berlin, wo wie in Düsseldorf der Sprinter produziert wird. Konkurrent VW will seinen Transporter Crafter, der bisher ebenfalls in Ludwigsfelde vom Band lief, in Zukunft in einem eigenen Werk in Polen bauen, wo die Personalkosten deutlich niedriger sind. Jetzt fordert Wilfried Porth, der Chef der Sparte, geringere Kosten beim Personal. Es soll weniger Zulagen geben, dafür mehr Flexibilität der Beschäftigten.

Michael Brecht hält diese Diskussion für gefährlich. „Wenn die Wirtschaftlichkeit von zukünftigen Produkten von Zugeständnissen der Arbeitnehmer abhängt, dann läuft etwas schief“, sagt er und verweist darauf, dass beim Bau eines Autos das Personal nur noch 15 Prozent der Gesamtkosten ausmache, der Preis über dieses Instrument also nur begrenzt gedrückt werden könne. Für Handwerker, die typischen Kunden des Sprinter, seien neben dem Anschaffungspreis vor allem die Betriebskosten für eine Kaufentscheidung wichtig. „Ein Stück weit wird vom Unternehmen da auch Politik gemacht und Druck ausgeübt.“ Nach ähnlichem Muster könnte es auch in Sindelfingen laufen, wo der Konzern eine Milliarde Euro in die Modernisierung des Standorts stecken will und dafür offenbar ein gewisses Entgegenkommen aufseiten der Beschäftigten erwartet.

Klar ist aber, dass sich die Produktion in Zukunft noch stärker international ausrichtet. „Ohne China kann man in der Automobilindustrie heute nicht mehr überleben“, sagt Brecht. Auch die USA werden als Absatzmarkt wichtiger. Demnächst wird der Konzern wohl bekanntgeben, dass die Kompaktklasse neben Rastatt und dem ungarischen Kecskemét auch in Mexiko in einem Gemeinschaftswerk mit Nissan vom Band laufen soll – auch wenn das Aufsichtsratsmitglied Brecht dies offiziell nicht bestätigen will. Eine Bedrohung sieht er durch die fortschreitende Globalisierung des Konzerns und eine wachsende Konkurrenz der Standorte untereinander nicht. Noch nicht, denn derzeit seien alle nur damit beschäftigt, die Werke auszubauen. „Problematisch wird es, wenn die Produktionszahlen mal wieder nach unten gehen.“ Andererseits sei es auch von Vorteil, wenn wie im Falle von Rastatt und Kecskemét die Produktionskosten durch die verschiedenen Standorte im Mix gesenkt werden könnten.

Richtig gekracht hat es dagegen bereits bei den Niederlassungen. 36 der bundesweit 158 Standorte sollen in einem ersten Schritt an Investoren verkauft werden, die verbleibenden zu größeren Einheiten zusammengefasst werden. Stuttgart, Reutlingen, Ulm und Ravensburg werden demnach zu einer Vertriebsdirektion fusionieren. „Die Ängste sind riesig“, sagt Brecht zur Situation bei den betroffenen der rund 15 000 Beschäftigten. Schließlich hätten sich diese über viele Jahre hinweg für das Unternehmen ins Zeug gelegt. Jetzt gehe es darum zu klären, wie das Netz in Zukunft aussehen könnte und welche weiteren Schritte drohen. „Wir wollen keine Flickschusterei“, betonte Brecht, der gerne so viele Standorte wie möglich erhalten würde. Zwar wären ausgelagerte Mitarbeiter ein Jahr lang in ihrem Tarif geschützt. Doch da die Margen im Autogeschäft gering seien, befürchtet Brecht auf lange Sicht, dass die unabhängigen Unternehmen am Personal sparen. „Die Kollegen brauchen so schnell wie möglich Klarheit über ihre Zukunft.“

Auch beim Thema Werkverträge scheint das Unternehmen den Machtkampf für sich entscheiden zu können. „Ziel ist ganz klar das Mitbestimmungsrecht“, sagt Brecht. Dann würde er dafür sorgen, dass Werkverträgler in die Tarifstruktur ihrer Branche mitsamt allen Gehaltsstufen eingebunden seien. Das Lohndumping würde dann erheblich erschwert. Doch es klingt, als würde er selbst nicht recht daran glauben. Schließlich müsste die Regierungskoalition dafür eine entsprechende gesetzliche Regelung auf den Weg bringen – gegen die Interessen der großen Dax-Unternehmen. Zumindest wünscht er sich daher eine „deutlich stärkere“ Regelung als heute, wo die Betriebsräte auf den guten Willen des Unternehmens angewiesen sind. Immerhin habe Daimler eine Sozialcharta verabschiedet und stehe damit besser da als manch anderer Konzern.

Seit knapp drei Monaten ist Michael Brecht nun im Amt. Es ist ein großes und keineswegs leichtes. Das merkt er vor allem daran, mit wie viel Respekt die Menschen ihm jetzt begegnen. „Ich tue dann mein Bestes, sie wieder runterzuholen“, sagt Michael Brecht. Wer ihm gegenübersitzt, zweifelt kaum daran, dass dies gelingt.