Es ist ein großer Tag für den Stuttgarter Autobauer: Die Daimler-Aktionäre entscheiden am Freitag, den 1. Oktober, ob das Lastwagengeschäft aus dem Konzern herausgelöst wird. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Mega-Projekt.
Stuttgart - Künftig soll Stuttgart zwei Dax-Konzerne mit dem Stern haben. An diesem Freitag, den 1. Oktober, sollen die Daimler-Aktionäre bei einer außerordentlichen Hauptversammlung die Aufspaltung des Konzerns beschließen.
Wenn es so kommt, gehen ab Jahresanfang die Nutzfahrzeugsparte (Daimler Trucks & Buses) und der Daimler-Konzern, zu dem die Pkw-Produktion und der Finanzdienstleister gehören, getrennte Wege.
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Warum endet die gemeinsame Ära? Daimler-Chef Ola Källenius dürfte zwei Gründe für die Aufspaltung des Konzerns haben. Zum einen setzt er darauf, dass die Entscheidung den Beifall der Börsen bekommt. Aktionären sind Mischkonzerne, wie es Daimler mit Pkw- und Lkw-Produktion ist, grundsätzlich weniger wert als Unternehmen, die sich konzentrieren. Zum anderen glaubt Daimler, dass sich die beiden Unternehmensteile getrennt besser entwickeln.
Steigen die Kurse an der Börse? Jedes Mal, wenn Großkonzerne in letzter Zeit den Weg der Aufspaltung gegangen sind, wurde die Kapitalmarkt-Theorie, wonach die Einzelteile eines Konzerns wertvoller sind als das Ganze, von der Börse bestätigt. Vor Daimler haben Bayer, Conti und Siemens mit der Aufspaltung bereits gute Erfahrungen gemacht, die Börsenwerte legten zu. Im Fall von Daimler stecken ein Premium-Hersteller im Pkw-Bereich und ein Massenhersteller im Lkw-Bereich unter einem Konzerndach. Die Lastwagensparte ist der Weltmarktführer, die Pkw-Sparte bedient das Luxussegment und setzt auf Klasse statt Masse. Es spricht viel dafür, dass das nicht gut zusammen passt.
Läuft die Truck-Sparte allein besser? Einen Hinweis hat der bisherige Chef der Truck-Sparte und künftige erste Mann der Truck Holding AG, Martin Daum, in einem Interview gegeben: „In Zukunft können wir schneller und unabhängiger entscheiden.“ Damit will er sagen, dass die Lastwagensparte womöglich in der Vergangenheit bei sinnvollen Investitionen das Nachsehen hatte gegenüber der Pkw-Sparte. Wenn sich das Management des Konzerns allein auf den Lkw-Bereich konzentrieren kann, so die Hoffnung, fallen die Ergebnisse besser aus.
Vergibt Daimler Synergie-Effekte? Im Automobilbau sind Synergieeffekte etwa beim Einkauf von Rohstoffen möglich. Doch die Hoffnung, bei den Zukunftsthemen autonomes Fahren, Digitalisierung und CO2-freie Antriebe Vorteile aus dem großen Konzern zu ziehen, haben sich nicht bestätigt. Der Lkw-Bau ist nicht so hoch technisiert wie der Bau von Luxuslimousinen. Bis neue Technologien die Nutzfahrzeuge erreichen, vergehen häufig viele Jahre. Der Lastwagen-Markt folgt zudem ganz anderen Zyklen und Gesetzen als der Pkw-Markt.
Was ist mit den grünen Antrieben? Die Industrie muss zwar sowohl im Pkw- als auch im Lkw-Bereich Abschied vom Verbrenner nehmen. Dazu zwingt die EU-Gesetzgebung. Doch beim Pkw konzentriert sich Daimler komplett auf vollelektrische Lösungen. Im Nutzfahrzeugbereich startet Daimler zwar gerade die Produktion des vollelektrischen eActros, der im Stadtverkehr und überregional etwa Auslieferdienste an Supermärkte erledigen kann. Doch anders als im Pkw-Bereich setzt Daimler-Trucks auch Hoffnungen auf die Brennstoffzelle. Mit Volvo will der Hersteller Brennstoffzellen-Fahrzeuge entwickeln und sie in der zweiten Hälfte des Jahrzehntes an den Markt bringen. Im Lkw-Bereich entwickelt Daimler auch die Ladeinfrastruktur. Zusammen mit Volvo will Daimler-Trucks auch 700-Volt-Ladesäulen an den wichtigsten Routen im Laster-Fernverkehr aufbauen.
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Wie steht hinterher die Pkw-Sparte da? Im Pkw-Bereich hat Källenius die von den Märkten eingeforderte Offensive bei vollelektrischen Modellen eingeleitet. Ähnlich konsequent wie VW bringt Daimler konkurrenzfähige Produkte auf den Markt. Die Beobachter gehen davon aus, dass Daimler in den nächsten fünf Jahren zu den Topanbietern im vollelektrischen Pkw-Segment gehören wird. Bei den Wirtschaftsdaten glänzt Daimler: Im ersten Halbjahr lag die Rendite wieder rekordverdächtig hoch. Der Absatz wird nur durch die Halbleiterkrise gebremst.
Wie steht die Truck-Sparte nachher da? Obwohl das Lastwagengeschäft deutlich weniger zum Konzernergebnis beigetragen hat als das Pkw-Geschäft, wird der neue Konzern zu den 20 größten deutschen Unternehmen gehören. Die Rendite hat sich zwar im ersten Halbjahr verbessert, doch auch Martin Daum räumt ein: „Es gibt Wettbewerber, die auf der finanziellen Seite besser sind als wir.“ Im Lastwagenbereich sind Volvo und Scania eher die Premiumhersteller der Branche und können mit höheren Umsatzrenditen aufwarten. Daum steht vor der Aufgabe, den Konzern auf mehr Effizienz zu trimmen. Immer wieder werden von Analysten die hohen Kosten im Lkw-Werk Wörth angeprangert. Doch Daimler bekennt sich zum Stammwerk, wo bis zu 100 000 Fahrzeuge im Jahr vom Band laufen. Dass der Standort nicht wackelt, ist auch daran zu sehen, dass der vollelektrische eActros ab Anfang Oktober im Werk in Wörth vom Band laufen wird.