Horst Seehofer lobt die Kanzlerin, die allerdings nicht anwesend ist. Foto: AP

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer geht beim CSU-Parteitag auf die nicht anwesende Kanzlerin Angela Merkel zu und setzt sich gleichzeitig von ihr ab.

München - Ein wenig gewundert hat sich Thomas Bauer schon, dass er nach der Eröffnung des Parteitages durch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer so früh ans Rednerpult durfte. Der Schatzmeister war einer derjenigen, die die Lücke der Frau füllen musste, die trotz ihrer flüchtlingsstreitbedingten Abwesenheit die entscheidende Bezugsgröße im Münchner Messezentrum war: Angela Merkel. Gefragt, ob er die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende auf dem Parteitag vermisse, die erstmals nicht bei der Schwesterpartei vorbeigeschaut hat, verneinte CSU-Chef Horst Seehofer: „Wir reden bald jeden Tag miteinander, so dass das Gefühl des Vermissens sich gar nicht einstellt.“ Die Differenzen in Sachen Asyl-Obergrenze seien halt einfach „noch nicht so bewältigt, dass wir Einigkeit präsentieren können“.

Viel Lob für die Kanzlerin

Den Versuch, Gemeinsamkeiten mit der großen Schwester herauszustellen, hat es am ersten Tag der Delegiertenkonferenz durchaus gegeben. Einen Satz aus dem Leitantrag etwa wiederholte auch Seehofer: „Es ist gut für Deutschland, dass die Union regiert.“ Das schließt schließlich auch die CDU ein, die Kanzlerin zumal, die so viel Lob aus München, auch wenn es ein indirektes ist, lange nicht mehr gehört hat. Und Bayerns Ministerpräsident ging sogar noch einen kleinen Schritt weiter. So sei die Bundesrepublik „bei allen Diskussionen“, die es „in gewissen Bereichen“ gebe, eben auch wegen „unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel“ ein „Anker der Stabilität und des Wohlstands“ in einer Welt der Krise. Der Feind wird also nicht mehr offensiv im eigenen Lager angesiedelt, sondern in dem der sogenannten „Linksfront“, wie das in München alle paar Minuten zu hören war. „Unser Gegner ist nicht die CDU“, so Seehofer: „Unser Gegner ist Rot-Rot-Grün.“

Die Flüchtlingszahlen sind gesunken

Den größten Applaus von den Delegierten gab es dennoch immer dann, wenn die Dinge benannt wurden, bei denen sich die CSU von der CDU unterscheidet. So wurde etwa besonders laut Österreichs Außenminister Sebastian Kurz für die Schließung der Balkan-Flüchtlingsroute gefeiert, die Kanzlerin Merkel einst einen Fehler genannt hatte und erst auf Druck hin zumindest als Mitursache für die gesunkenen Flüchtlingszahlen anerkannt hat. Warm fiel der Beifall auch aus, als Seehofer über seinen Politikstil redete, der sich „nicht über die Bevölkerung erheben“ und die „kleinen Leute nicht ins Abseits stellen“ wolle, während sich andere „nicht beim Regieren stören lassen“ wollten. Dass im Umfeld dieser Bemerkung auch Merkels Name fiel, gefiel den Delegierten besonders gut.

„Die Stimme der Vernunft“

Atmosphärischer Höhepunkt des Parteitagauftakts waren denn auch Seehofers Ausführungen zur Zuwanderungspolitik, in der die CSU und er „die Stimme der Vernunft“ bildeten, während die CDU im „Verlierermodus“ verharre. Er verteidigte weiter die Flüchtlingsobergrenze, wenn auch etwas flexibler als zuvor, „in einer Größenordnung von rund 200 000“. Der Parteichef versprach seiner Parteibasis, in diesem Punkt eine Einigung mit Merkel anzustreben, aber eben nicht um jeden Preis: „Ich werde in dieser Frage die Seele der CSU nicht verkaufen.“ Und auch von der Türkeipolitik der Kanzlerin, die die jüngste Verhaftungswelle zwar als „alarmierend“ bezeichnete, aber keine direkten Konsequenzen ankündigte, setzte sich Seehofer ein Stück weit ab. „Mindestens unterbrochen“ gehörten die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei nun.

Keine verletzenden Sticheleien

Im Unterschied zu früheren Auftritten waren seine Sticheleien gegen die Schwesterpartei nicht persönlich verletzend, sondern blieben inhaltlicher Natur. Seehofer war gar zur Selbstkritik fähig, entschuldigte sich quasi für das Abkanzeln der Kanzlerin vor Jahresfrist, als er der neben ihm stehenden Angela Merkel wie einem Schulmädchen minutenlang die Leviten gelesen hatte. „Es ist nicht verkehrt, wenn man im hohen Alter klüger wird“, bekannte der 67-jährige Seehofer und blickte sekundenlang an die diesmal unbesetzte Stelle neben sich – und lächelte ziemlich verlegen.

Es war der erwartete Balanceakt, eine Gratwanderung zwischen Regierungspartei und regierungsinterner Oppositionspartei. „Die CSU als Volkspartei hat die Aufgabe, alle bürgerlichen Strömungen einzubinden“, resümiert der Europaabgeordnete Markus Ferber nach Seehofers Rede, „jene, die in Berlin mit Frau Merkel weiterregieren wollen, und jene, die Frau Merkel nicht mehr unterstützen wollen.“