Der Großteil der Schulen in Baden-Württemberg schließt wieder nach einer Woche. (Symbolbild) Foto: dpa/Matthias Balk

Fast im ganzen Südwesten müssen Schulen nach nur einer Woche wieder schließen, weil die neuen Grenzwerte gerissen werden. Aber wie soll es weitergehen? Um das Kultusministerium ist es seit der Landtagswahl still geworden.

Stuttgart - Nach nur einer Schulwoche muss der Großteil der Schülerinnen und Schüler im Südwesten ab Montag wieder zurück in den Corona-Lockdown und von zu Hause aus lernen. Etwa drei Viertel der Stadt- und Landkreise liegen über dem kritischen Schwellenwert von 165 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in einer Woche, ab dem von Montag an Schulen und Kitas größtenteils geschlossen werden müssen. Bisher galt im Land ein Grenzwert von 200, nun greift die Notbremse des Bundes. Das heißt, dass der Lockdown an Schulen seit der Woche vor Weihnachten nach nur kurzer Unterbrechung weitergeht. In weiten Teilen Südbadens dürfen viele Schulen dagegen wegen niedrigerer Inzidenzen geöffnet bleiben.

Die SPD und die Lehrergewerkschaft GEW warfen der grün-schwarzen Landesregierung vor, Kinder, Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte in dieser dramatischen Lage alleinzulassen. Ministerin Susanne Eisenmann sei nach ihrem Scheitern als CDU-Spitzenkandidatin eigentlich von Bord gegangen, sagte SPD-Chef Andreas Stoch am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Es kann nicht sein, dass das Kultusministerium für zwei Monate zum Geisterschiff wird.“ Es sei der „Gipfel der Verantwortungslosigkeit“, 1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler und 120.000 Beschäftigte sich selbst zu überlassen.

Das Kultusministerium sei „voll arbeitsfähig“

Das Kultusministerium wies Stochs Anwürfe als inhaltsleer zurück. Das Ressort sei „voll arbeitsfähig“, sagte ein Sprecher. Das könne man an der Umsetzung der Notbremse und den zahlreichen Schreiben an die Schulen seit der Wahl sehen. Er schränkte ein: „Alle Fachressorts sind gehalten, bis zur Regierungsbildung keine grundlegenden und weitreichenden Entscheidungen mehr zu treffen. Zumal solche Entscheidungen auch einen entsprechenden Finanzbedarf auslösen würden.“ Allerdings sagte auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke: „Nach meinem Eindruck hat sich Frau Eisenmann aus ihren Amtsgeschäften zurückgezogen.“

Am Freitagnachmittag meldete sich Eisenmann per Pressemitteilung zu Wort und erläuterte die Folgen der Notbremse. So müssen sich Kinder und Jugendliche im Präsenzunterricht von kommender Woche an zweimal die Woche testen lassen. „Bislang war es bei Wechselunterricht in Baden-Württemberg möglich, lediglich einen Test vorzunehmen, wenn die Anwesenheit maximal drei Tage pro Woche betrug“, erklärte die scheidende Ministerin. Eisenmann dankte den Leitungen der Schulen und Kitas, „die immer wieder neu planen müssen, den Lehrkräften sowie Erzieherinnen und Erziehern, die sich unermüdlich für das Wohl der Kinder und Jugendlichen einsetzen“.

„Mehr Chaos geht nicht. Mehr Organisationswahnsinn geht nicht.“

GEW-Landeschefin Monika Stein kritisierte das Land, weil es die Öffnung bis zu einer Inzidenz 200 erlaubt hatte, was jetzt schon wieder geändert werden musste. „Mehr Chaos geht nicht. Mehr Organisationswahnsinn geht nicht. Und vor allem: Mehr Frust bei Kindern und Jugendlichen geht nicht“, sagte Stein der dpa. Denen habe man vorgegaukelt, man könne die Schulen öffnen, obwohl man schon gewusst habe, dass sie vielerorts bald wieder schließen müssen.

Nach Zahlen des Landesgesundheitsamts liegen rund 30 der 44 Stadt- und Landkreise über der Inzidenz von 165 und müssen die Schulen wieder schließen. Ausnahmen soll es weiter für die Notbetreuung, Abschlussklassen sowie die sonderpädagogischen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen (SBBZ) geben. Verschont von den Schließungen bleiben Kreise in Südbaden: In Breisgau-Hochschwarzwald, Freiburg, Emmendingen, Lörrach und Waldshut lagen die Inzidenzen entweder unter 100 oder knapp darüber.

Erst vergangenen Montag waren Hunderttausende Schülerinnen und Schüler nach über vier Monaten im Lockdown in ihre Klassenzimmer zurückgekehrt - allerdings nur mit Maske, Abstand und einem negativen Testergebnis. Doch schon da lagen elf Kreise über der Inzidenz von 200 und konnten die Schulen nicht öffnen. Während der Woche kamen noch weitere Kreise hinzu, die die Öffnung rückgängig machen mussten.

Im kommenden Jahr müssen die Folgen der Corona-Krise aufgearbeitet werden

Die Pandemie und ihre Folgen machten „Notfallmaßnahmen“ im Bildungsbereich nötig, sagte der frühere Kultusminister Stoch. „Man müsste im Kultusministerium eigentlich arbeiten wie bei einer Naturkatastrophe.“ Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) müsse dringend sicherstellen, dass wieder Schwung in das Ministerium komme. „Kretschmann soll in Gottes Namen dafür sorgen, dass dieses Schiff auch in dieser Zeit der Regierungsbildung manövrierfähig bleibt“, forderte der SPD-Politiker. Die Landesregierung müsse dringend überlegen, welche Unterstützung Kinder und Jugendliche brauchen, die Probleme mit dem Home-Schooling haben.

Zudem sei es höchste Zeit, jetzt die Weichen dafür zu stellen, dass im kommenden Schuljahr die Folgen der Corona-Krise aufgearbeitet werden könnten - sowohl schulisch als auch psychisch und sozial. „Da muss man jetzt rekrutieren.“ Es gelte ein Assistenzsystem aufzubauen. Man brauche im kommenden Schuljahr etwa zwei Assistenten pro Schule, also etwa 10 000 Hilfskräfte. Das könnten Lehramtsstudierende, Referendare oder andere pädagogisch Ausgebildete sein. Auch Stein forderte zusätzliche Ressourcen für die Schulen. „Da muss Geld in die Hand genommen werden.“

Grüne und CDU wollten am Freitag ihre Koalitionsverhandlungen in den jeweiligen Arbeitsgruppen abschließen. Sie wollen demnächst einen Kinder- und Jugendgipfel veranstalten, um danach einen genauen Plan für die Aufarbeitung der corona-bedingten Defizite zu erarbeiten. Der Sprecher des Kultusministerium erklärte zudem, die Lernbrücken, die in diesem Jahr wieder angeboten werden sollen, würden vorbereitet. Zudem stelle man sich darauf ein, das Nachhilfeprogramm des Bundes, das nächste Woche im Bundeskabinett beschlossen werden soll, umzusetzen.

Stoch warnte Grüne und CDU davor, bei ihren Koalitionsverhandlungen über Bildung nur ans Sparen zu denken. Der neuen Koalition müsse es in den kommenden fünf Jahren unbedingt gelingen, die Schulen personell besser auszustatten und technisch zu modernisieren. „Wenn der Grundsatz weiter heißt „es darf nichts kosten“, dann läuft das Schiff ziemlich sicher auf ein Riff auf.“