Bei einer Auffrischungimpfung – auch Booster-Impfung genannt – erhalten Patienten eine weitere Dosis eines zugelassenen Impfstoffs. Foto: imago images/Eyepix Group/Luis Barron via www.imago-images.de

Es ist bekannt, dass ein Teil des Immunschutzes nach zwei Corona-Impfungen mit der Zeit nachlässt. Doch brauchen wir die Auffrischungsimpfungen? Und wenn ja, wer bekommt sie überhaupt?

Stuttgart - In Baden-Württemberg sollen die dritten Spritzen von diesem Mittwoch (1. September) an gesetzt werden, während in Bayern die sogenannten Auffrischungsimpfungen gegen das Coronavirus bereits angeboten werden. Die baden-württembergische Landesregierung verspricht sich davon einen besseren Schutz vor allem für hochbetagte Menschen und andere Risikogruppen. Aber die Zahl der Betroffenen ist groß - und weil die Impfzentren schließen, wachsen die Zweifel. Wird sich der Aufwand alleine durch mobile Impfteams und Hausärzte decken lassen? Ein Überblick.

Was sind eigentlich Auffrischungsimpfungen?

Bei einer Auffrischung erhalten Patienten eine weitere Dosis eines zugelassenen Impfstoffs. Diese dritte Spritze soll die Antwort sein auf einen nachlassenden Immunschutz vor allem bei sogenannten vulnerablen Gruppen. Denn Studien haben laut Gesundheitsministerium gezeigt, dass sich durch einen solchen Booster deutlich mehr Antikörper bilden können. Für Auffrischungsimpfungen hatte sich Anfang August die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) ausgesprochen.

Wer kommt in Baden-Württemberg für eine Auffrischungsimpfung in Frage?

Gedacht sind sie für Menschen, die bei der Erst- und Zweitimpfung zur ersten Prioritätengruppe gehört haben und bei denen die vollständige Impfung mindestens sechs Monate zurückliegt. Für alle anderen vollgeimpften Personen reicht der Schutz nach Ansicht der Wissenschaft noch einige Zeit aus. Maßgeblich ist das Datum der jüngsten Corona-Impfung.

Um wen geht es konkret?

Die Auffrischungen werden vor allem für sogenannte vulnerable Gruppen empfohlen. Hier liegt der Fokus auf Menschen mit Immunschwäche, auf Pflegebedürftigen und über 80-Jährigen. Neben 18 mobilen Impf-Teams dürfen auch niedergelassene Ärzte die Booster-Spritzen setzen. Menschen, die nicht in einem Heim betreut werden, können zum Hausarzt gehen.

Um wie viele Menschen geht es denn da?

Nach groben Schätzungen des Landes kommen Auffrischungsimpfungen in den kommenden sechs Monaten für bis zu 1,7 Millionen Menschen in Baden-Württemberg in Frage. Allerdings gibt es etliche Überlappungen. Bei den besonders vulnerablen Gruppen geht das Ministerium von 150 000 Menschen in Einrichtungen aus. Im kommenden Monat könnten knapp 90 000 Menschen eine dritte Spritze erhalten - das sind jene Geimpften, die in der Zeit zwischen Januar und März von mobilen Impfteams gespritzt wurden. Von Oktober bis Dezember kommen pro Monat weitere 20 000 hinzu.

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Zudem leiden rund 425 000 Menschen unter einer Immunschwäche. Laut Pflegestatistik werden außerdem 375 000 Pflegebedürftige zuhause betreut, rund 750 000 Menschen sind älter als 80 Jahre. Unklar ist aber, wie viele davon geimpft sind und wie viele auch in die anderen Kategorien fallen.

Die Impfzentren schließen Ende September, es gibt nur 18 mobile Impfteams. Wie soll das funktionieren?

Das Land ist überzeugt, dass das Angebot ausreicht. Die Pflegeheime und anderen Einrichtungen würden durch die Heim- und Hausärzte versorgt. „Damit werden schon viele der Einrichtungen abgedeckt“, sagte ein Sprecher. Neben den festen mobilen Impfteams könnten alle Impfzentren weitere Gruppen aus den eigenen Kapazitäten besetzen. „Die Zahl 18 ist daher nicht in Stein gemeißelt“, hieß es. „Insgesamt gehen wir davon aus derzeit, dass ausreichend mobile Impfteams zur Verfügung stehen.“ SPD-Fraktionschef Andreas Stoch ist da nicht so überzeugt: „Es ist illusorisch, diese Aufgabe allein den Hausarztpraxen zu überlassen“, sagt er und fordert eine Fortsetzung für die Impfzentren. „Wenn die Impfzentren oft kaum zur Hälfte ausgelastet sind, müssen sie nicht die größten Stadthallen belegen“, schlägt er vor. „Aber in kleinerem Rahmen sind sie nötig.“

Gibt es denn überhaupt genug Impfstoff?

Ja, für die Auffrischungsimpfungen ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums und des Landesgesundheitsamtes genügend Impfstoff vorhanden.

Was halten die Wissenschaftler davon?

Kommt ganz drauf an, von welcher Gruppe die Rede ist. Für die meisten Geimpften ist eine Auffrischung im Herbst nach Überzeugung des Virologen Christian Drosten nicht nötig. „Die Schutzwirkung der Corona-Vakzinen ist viel besser als beispielsweise bei den Influenza-Impfstoffen“, sagte er Mitte August. Bei alten Menschen sowie bestimmten Risikopatienten hält Drosten eine Auffrischungsimpfung in diesem Herbst jedoch durchaus für sinnvoll. „Nach einem halben Jahr geht das über die Impfung erworbene Antikörper-Level vor allem bei sehr alten Menschen deutlich runter.“

Was hält die Patientenstiftung von der Praxis?

Patientenschützer Eugen Brysch beklagt das Fehlen unabhängiger Analysen. „Es gibt keinen Automatismus zwischen Infektion, Viruslast, Infektiosität und Symptomatik“, sagt er. „Wir diskutieren noch viel zu viel auf der Wahrscheinlichkeitenebene und wissen gar nicht, was das Virus mit uns macht.“ Auch die Drittimpfung werde angeboten, ohne dass ausreichend Wissen darüber vorhanden sei, wie der Körper auf die ersten beiden Spritzen oder auf eine Infektion regiert habe. „“Viel hilft viel“ kann hier nicht das Motto sein“, sagt Brysch. Er fordert, dass bei allen Impfkandidaten zunächst der tatsächliche Immunstatus erhoben wird. „Solche Tests der Gedächtnis- oder T-Zellen können bereits in wenigen Stunden für Klarheit sorgen“, sagte er.