Schnelltests sollen weitere Öffnungen möglich machen. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Trotz höherer Fallzahlen könnte es beim Coronagipfel an diesem Mittwoch zu kleinen Öffnungsschritten kommen. Tests sollen das Risiko begrenzen. Aber kann das funktionieren?

Berlin - Die beiden Entwicklungen wollen so überhaupt nicht zueinander passen. Die Trendumkehr bei den Infektionszahlen trifft auf eine Trendumkehr bei der Stimmung in der Bevölkerung, die den strengen Coronamaßnahmen immer kritischer gegenübersteht. „Natürlich ist das ein Dilemma“, heißt es aus den Vorgesprächen von Bund und Ländern, in denen die Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Mittwoch vorbereitet worden ist.

 

Kurz vor Weihnachten hatte die Zahl der wöchentlichen Neuansteckungen pro 100 000 Einwohner mit 197,6 ihren Höchstwert erreicht, um bis vor zwei Wochen auf 56,8 zu sinken. Seither aber breitet sich Corona wieder – auch wegen der ansteckenderen Virusvariante – stärker aus. Am Dienstag meldete das Robert-Koch-Institut eine Inzidenz von 65,4. Kein Bundesland befindet sich mehr unter der 50er-Marke, oberhalb derer das Infektionsschutzgesetz strenge Maßnahmen vorsieht. Die 35er-Marke, die Merkels Runde Mitte Februar noch für die Öffnung des Einzelhandels angepeilt hatte, scheint ganz aus dem Blickfeld verschwunden.

Die Zustimmung der Bevölkerung schwindet

Quer dazu steht der drängende Wunsch nach Öffnungen. Er wird nicht nur von Interessenvertretern verschiedener Branchen geäußert, sondern kommt auch in Umfragen zum Ausdruck. So stellte das Meinungsforschungsinstitut You-Gov erstmals seit Beginn des verschärften Lockdowns fest, dass es keine Mehrheit mehr dafür gibt. 43 Prozent der Befragten sprachen sich für Lockerungen aus, 17 Prozent für eine komplette Rückkehr zur Normalität.

Im Superwahljahr wiegt besonders schwer, dass die Zustimmung zum Krisenmanagement der Bundesregierung regelrecht eingebrochen ist. Aus derselben Umfrage ergibt sich, dass es nur noch von knapp der Hälfte der Bundesbürger als positiv oder zufriedenstellend angesehen wird – während es 2020 noch bis zu zwei Drittel gewesen waren. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), selbst ernannter Anführer des „Teams Vorsicht“, hatte in Umfragen zuletzt Federn lassen müssen.

Der Druck ist so groß, dass auch Kanzlerin Merkel sich nicht weiter gegen jede Art von Lockerungen sperren will. „Auch ich halte Öffnungen für notwendig“, sagte sie Teilnehmern zufolge am Dienstag in der Unionsbundestagsfraktion. Verantwortbar ist das aus ihrer Sicht trotz der sich anbahnenden dritten Pandemiewelle wegen neuer Begleitumstände. „Heute haben wir wegen der Impfstoffe und der Aussicht auf umfassende Testmöglichkeiten eine andere Lage als im letzten Jahr“, sagte sie gerade in einem „FAZ“-Interview.

Nächste Woche Öffnungen?

So liest sich auch eine erste Beschlussvorlage, die sie mit Söder, Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und Berlins Bürgermeister Michael Müller (ebenfalls SPD) als derzeitigem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenrunde abgestimmt hat. Zwar werden darin die meisten Einschränkungen bis zum 28. März verlängert und Öffnungsschritte im Rahmen eines Stufenplans weiter vom Inzidenzwert 35 anhängig gemacht – erst kämen der Einzelhandel, Museen und der Outdoorsport an die Reihe, nach zwei weiteren Wochen ohne Anstieg der Infektionszahlen die Außengastronomie, Theater, Kinos oder der Indoorsport. Aber jenseits dessen sind bereits vorher Lockerungen vorgesehen.

Bereits nächste Woche könnten bundesweit wieder Buchhandlungen, Blumengeschäfte, Gartenmärkte und Fahrschulen öffnen. Zudem ist daran gedacht, lokale Öffnungen beim Handel und im Kulturbereich zu ermöglichen, wenn die Zahl 35 in einer Region unterschritten ist. Unterhalb eines höheren, aber noch nicht genau definierten Wertes könnte es zu Teilöffnungen kommen: Der Einzelhandel dürfte laut Vorlage „Click and meet“-Angebote machen – erlaubt wäre pro 40 Quadratmeter Verkaufsfläche eine Kundin oder ein Kunde nach vorheriger Terminbuchung und Adressangabe. Ähnlich könnten dann Museen oder Galerien verfahren.

Das Dilemma bleibt

Nachdem bereits viele Schülerinnen und Schüler in die Klassenzimmer zurückgekehrt und auch Friseure wieder offen sind, soll das Zusatzrisiko mit einer Ausweitung der Schnelltest und einer angepassten Impfstrategie zumindest reduziert werden. Von April an könnten dann Schüler und Arbeitnehmern ohne Homeoffice ein oder zwei Mal pro Woche einen Schnelltest in Anspruch nehmen. Das soll letztlich auch für alle Bürger in kommunalen Zentren oder bei Ärzten möglich werden. Dort sollen bereits ab April und nicht erst ab Juni Impfungen möglich sein.

Ob damit das aktuelle Dilemma wirklich aufgelöst werden kann, ist noch fraglich. Zwar macht sich auch in den sinkenden Totenzahlen bemerkbar, dass die Alten- und Pflegeheime mittlerweile geschützt sind. Allerdings lebt ein Großteil der Risikogruppe nicht dort, wartet noch auf eine Impfung und bleibt somit anfällig, wenn die Ansteckungszahlen weiter steigen. Bei den Schnelltests ist noch unklar, wie viele davon überhaupt kurzfristig verfügbar sind.