Eine Infektion mit früheren Coronavarianten bietet nur wenig Schutz gegen neuere Varianten. Zudem lässt die Immunität mit der Zeit nach. Deshalb steigt die Zahl der Reinfektionen. Aber wie gefährlich sind diese eigentlich?
Immer mehr Menschen stecken sich trotz einer überstandenen Corona-Infektion erneut an – teilweise gibt es auch Dritt- und Viertinfektionen. Wir beantworten wichtige Fragen zu den sogenannten Reinfektionen.
Wie häufig sind Mehrfachinfektionen? Zum Anteil erneut infizierter Personen an den insgesamt erfassten Corona-Infektionen gibt es bis jetzt keine bundesweiten Zahlen. Das RKI ist dabei auf Angaben der Gesundheitsämter angewiesen, die solche Fälle offenbar noch nicht flächendeckend melden. „Sobald ausreichend Daten an das RKI übermittelt wurden, können entsprechende Analysen von RKI-Seite durchgeführt und veröffentlicht werden“, teilt das Institut mit. Das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg beziffert den Anteil der Reinfektionen auf knapp sieben Prozent. Allerdings ist davon auszugehen, dass längst nicht alle Reinfektionen erkannt werden. Im Januar wurde im Land ein Anteil von 2,5 Prozent gemeldet.
Warum nehmen die Reinfektionen zu? Der wohl wichtigste Faktor ist die Dominanz der leichter übertragbaren Omikron-Variante, die zudem bereits mehrere Untervarianten hervorgebracht hat. Omikron zeichnet sich durch mehrere Veränderungen am Spikeprotein in der Virushülle aus. Antikörper, die das Immunsystem gegen frühere Varianten wie Alpha, Beta oder Delta gebildet hat, können Omikron daher nicht so gut erkennen und neutralisieren. Auch eine Infektion mit der zunächst vorherrschenden Omikron-Untervariante BA.1 schützt nicht unbedingt vor Ansteckungen mit den neueren Untervarianten BA.4 oder BA.5. Daten aus Großbritannien zufolge ist das Risiko einer erneuten Infektion bei Omikron etwa achtmal so hoch wie bei der Delta-Welle im vergangenen Jahr.
Reinfektion sind auch häufiger, weil die Immunität durch die Impfung oder Infektion mit der Zeit nachlässt. Zudem steigt mit der Zahl bereits infizierter Menschen auch die statistische Wahrscheinlichkeit, sich erneut anzustecken.
Wie oft kann man sich anstecken? Nach Einschätzung von Medizinern und Immunologen lässt sich derzeit nicht sagen, wie oft sich eine einzelne Person mit Corona infizieren kann. Vereinzelt wurden schon Drei- und Vierfachinfektionen beobachtet. „Es würde mich nicht überraschen, wenn wir sehen, dass sich Menschen mehr als einmal pro Jahr anstecken“, sagte der US-Immunologe und Präsidentenberater Anthony Fauci im Juni. Ähnlich äußerte sich Julie McElrath, Leiterin der Abteilung für Impfstoffe und Infektionskrankheiten am Fred Hutchinson Cancer Center in Seattle laut dem US-Sender NBC: „Wir sollten eine Reinfektion als Teil der neuen Normalität betrachten.“ Die Wahrscheinlichkeit von Mehrfachinfektionen hängt auch davon ab, wie gut neue Virusvarianten die vorhandene Immunität umgehen können. Ältere Menschen und Personen mit Risikofaktoren haben wohl ein höheres Risiko, sich erneut anzustecken, weil bei ihnen die Immunreaktion nach einer Infektion oder Impfung in der Regel schwächer ausfällt.
Wie verlaufen Reinfektionen? Nach bisherigen Beobachtungen lösen Zweit- oder Drittinfektionen oft nur mildere Symptome aus. Der US-Experte Fauci geht davon aus, dass die durch eine frühere Infektion hervorgerufene Immunität zumindest einen gewissen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen bietet. Besser geschützt sind aber Personen, die zudem komplett geimpft und mindestens einmal geboostert sind. Vereinzelt können Folgeinfektionen auch schwerer verlaufen als die Erstinfektion. Etwa wenn die Betroffenen einer deutlich höheren Viruslast ausgesetzt sind oder wenn ihre Immunität schon stark nachgelassen hat. Auch Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen sind wohl stärker gefährdet. Generell gilt: Infektionen, die keine oder nur schwache Symptome hervorrufen, führen häufig zu einer schwächeren und kürzer anhaltenden Immunität als Infektionen mit einem schwereren Verlauf. Zur Häufigkeit von Long Covid nach Reinfektionen gibt es noch relativ wenig Daten, was zu unterschiedlichen Einschätzungen führt. Manche Forscher sehen wegen der Immunstimulation durch frühere Infektionen ein tendenziell geringes Risiko. Eine im Juni als Preprint publizierte US-Studie postuliert bei Reinfektionen dagegen ein höheres Risiko für einige Folgeerkrankungen.
Was ist im Herbst und Winter zu erwarten? Da die Schutzwirkung der Impfungen mit der Zeit nachlässt, dürfte die Zahl der Reinfektionen steigen. Das könnte sich positiv auf die Grundimmunität in der Bevölkerung auswirken, meint Infektiologin McElrath: „Jedes Mal, wenn eine Person dem Virus ausgesetzt ist, reift die Immunreaktion und verbessert sich.“ Probleme könnte es allerdings geben, wenn eine neue Variante auftaucht, die öfter zu schwereren Krankheitsverläufen führt als Omikron. Umso wichtiger ist die vierte Impfung für Ältere und Risikogruppen. Im September sollen dazu auch an Omikron angepasste Impfstoffe zur Verfügung stehen.