Die Schutzwirkung der bisher eingesetzten Corona-Impfstoffe lässt bereits spürbar nach. Fachleute fordern deshalb mehr Tempo bei den Auffrischungsimpfungen. Wir erklären die Hintergründe.
Stuttgart - Die Zahl der Menschen, die sich trotz vollständiger Impfung mit Corona anstecken, steigt. Die Infektionen verlaufen zwar meist mild. Doch auch geimpfte Infizierte können das Virus weitergeben – wenn auch mit einer etwas geringeren Wahrscheinlichkeit als Ungeimpfte.
Laut einer im Fachblatt „The Lancet“ als Preprint erschienenen Studie aus Schweden lässt die Wirkung der Impfstoffe bereits wenige Wochen nach der Impfung nach. Demnach sind Personen, bei denen die zweite Impfung mit dem Biontech-Vakzin vier bis sechs Monate zurückliegt, nur noch zu 47 Prozent vor symptomatischen Infektionen geschützt – gegenüber 92 Prozent nach der zweiten Dosis. Besser schneidet das Vakzin von Moderna ab, das nach vier bis sechs Monaten 71 Prozent erreicht. Bei Astrazeneca erlischt der Schutz schon nach vier Monaten praktisch ganz.
Zehnmal geringeres Risiko
Auf der anderen Seite zeigen Daten einer großen Studie aus Israel, dass dreifach mit Biontech Geimpfte ein mehr als zehnmal geringeres Infektionsrisiko haben als Menschen, die lediglich zwei Dosen erhalten haben. Auch die Antikörperkonzentrationen sind nach der dritten Impfdosis um ein Vielfaches höher.
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In Israel kann der Impfschutz in der Regel nach fünf Monaten aufgefrischt werden. In Deutschland empfehlen die Bundesregierung und die Ständige Impfkommission Stiko einen Mindestabstand von sechs Monaten. Doch auch hier gibt es Forderungen nach einer kürzeren Frist. So plädiert der Mediziner und Grünen-Gesundheitspolitiker Janosh Dahmen bereits vier Monate nach der Grundimmunisierung für den zusätzlichen Piks. In bestimmten Fällen gelten bereits kürzere Fristen. So können sich Menschen mit einer schweren Immunschwäche bereits nach vier Wochen erneut impfen lassen. Gleiches gilt für Geimpfte, die das Vakzin von Johnson&Johnson bekommen haben, dessen Schutzwirkung insgesamt schwächer ist als die der anderen Vakzine.
Antikörpertest ist nicht nötig
Impfexperten halten es nicht für nötig, vor der Entscheidung über eine Booster-Impfung einen Antikörpertest machen zu lassen. Denn bislang ist nicht geklärt, von welchem Antikörpertiter an ein ausreichender Schutz vorliegt. „Auch bei hohen Antikörper-Titern wäre ein Booster nicht gefährlich“, schreibt der Dortmunder Immunologe Carsten Watzel bei Twitter. Demnach wären auch bei einem kürzeren Zeitabstand zwischen Grundimmunisierung und Auffrischung keine gesundheitlichen Risiken zu erwarten, die über die der ersten beiden Impfungen hinausgehen.
Experten sind sich einig, dass es beim Boostern deutlich mehr Tempo braucht. So müssten nach Einschätzung der Max-Planck-Forscherin Viola Priesemann täglich bis zu eine Million Booster-Dosen verabreicht werden, um die vierte Welle wirksam zu bremsen. Tatsächlich sind es derzeit nur rund 130 000 pro Tag. Vielerorts sollen daher die Impfzentren reaktiviert werden.
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Auf Unverständnis stößt auch die Stiko-Empfehlung, den Impfschutz zunächst nur bei Risikogruppen und Menschen ab 70 aufzufrischen. Aus medizinischer Sicht spreche nichts dagegen, alle über 18 erneut zu impfen, räumt Stiko-Mitglied Klaus Überla ein. Es sei aber wichtig, zunächst Ältere und besonders Gefährdete zu boostern. Bei diesen Gruppen liegt die Grundimmunisierung am längsten zurück – und das Risiko schwerer Covid-Verläufe ist deutlich höher. Die Stiko-Empfehlung ist aber für die Impfärzte nicht bindend. Sie können also grundsätzlich allen Erwachsenen Auffrischungsimpfungen verabreichen.