Holger Schier, Mitgeschäftsführer des Heidenheimer City Friseurs, zeigt sich nach der Verhandlung zuversichtlich, dass er die Corona Soforthilfe behalten kann. Foto: dpa/Uwe Anspach

Die Landeskreditbank hat in rund 117 000 Fällen Pandemie-Hilfen zurückgefordert. Nun entscheidet der Verwaltungsgerichtshof in sechs Musterverfahren darüber, ob das rechtens war.

Holger Schier, Mit-Geschäftsführer des Heidenheimer City-Friseurs, wirkt nach der Verhandlung erleichtert. „Es ist absolut nervenzehrend“, bekennt er, eine „Riesenlast“ zu spüren. „Die letzten zwei Tage ging es mir nicht so gut – jetzt fällt der Druck so langsam ab.“ Auf den 56-Jährigen schaut eine Branche, die unter den Pandemie-Schließungen von März 2020 an gelitten hat und aus der sich viele Betriebe mit Klagen gegen die von der L-Bank geforderte Rückzahlung der Corona Soforthilfe wehren.

 

Der Streit hat in Form von Musterverfahren aus diversen Branchen den Verwaltungsgerichtshof (VGH) erreicht – vier allein am Donnerstag, darunter der Fall von Schier. 15 000 Euro wurden ihm bewilligt, doch nun verlangt die Landeskreditbank 10 424,21 Euro zurück. Denn „in einem genialen Mai“, so Schier, seien die Umsätze damals „durch die Decke gegangen“, wofür aber mächtig rangeklotzt wurde – davor sei der Umsatz aber vollständig eingebrochen. Finanziell wird er von der Initiative Friseure für Gerechtigkeit gestützt – moralisch stärkt ihm in Mannheim eine kleinere Gruppe von Haarspezialisten den Rücken. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat ihm vor einem Jahr Recht gegeben, woraufhin die Bank in Berufung gegangen ist.

Zählt nur der Liquiditätsengpass?

Juristisch ist die Lage kompliziert: „Die Landeskreditbank fordert die Soforthilfen zurück, weil sie davon ausgeht, dass diese nicht zweckentsprechend verwendet worden seien“, sagt Marc Malleis, Anwalt der Lahrer Kanzlei Stoll & Sauer, der Schier und eine Kosmetikfirma vor dem VGH vertritt. „Das ist die Kernfrage.“ Im Bewilligungsbescheid hat die L-Bank mehrere Zuwendungszwecke genannt: die Überbrückung einer existenzbedrohlichen Wirtschaftslage, Umsatzeinbrüche und ein Liquiditätsengpass. Im Nachgang werden die Bewilligungen mit dem Argument widerrufen, dass kein Liquiditätsengpass vorgelegen habe. Die L-Bank könne sich nicht darauf berufen, dass es nur auf diesen Engpass angekommen sei, sagt Malleis. Wenn der Bewilligungszweck so unklar sei, „kann die Hilfe später nicht mit dem Argument widerrufen werden, dass einer dieser Zwecke verfehlt worden sei“.

Damals haben sich die meisten Betroffenen auf vielerlei Zusagen verlassen, wonach sie die Soforthilfe Zuschüsse seien und nicht zurück zu zahlen seien. Eine Richtlinie des Landes vom 22. März 2020 lieferte Wegweisungen. Doch erst im Rückmeldeverfahren der L-Bank wurden die Förderkriterien herausgearbeitet, etwa dass Ausgaben und Einnahmen über drei Monate gegeneinander aufzurechnen waren. Wurde dies im Bewilligungsbescheid schon klar gemacht? Auch dieser Punkt wird vom VGH hinterfragt, zumal der Drei-Monats-Zeitraum willkürlich gewählt war, wie sich zeigt.

Das Gericht hält sich bedeckt

Das Gericht vermeidet Signale, in welche Richtung es tendiert – man habe sich noch kein abschließendes Bild gemacht. Selbstverständlich ist das nicht, zumal die Gerichte in erster Instanzen schon in den Verhandlungen deutliche Zweifel an der Rückforderungspraxis geäußert hatten. Obwohl sich das VGH nicht in die Karten schauen lasse, glaubt Malleis, dass „wir sehr gute Argumente haben, um hier durchzudringen“.

Christina Oberdorfer von der Stuttgarter Kanzlei von Buttlar vertritt einen Lauchheimer Hotel-Restaurantbetreiber, von dem die L-Bank die gesamte Soforthilfe von 15 000 Euro zurückverlangt. Auch sie zeigt sich „nach wie vor davon überzeugt, dass das Gericht im Grundsatz nicht von den Erstinstanzen abweichen wird“. Aus ihrer Sicht seien die relevanten Punkte herausgekommen: auch die Frage, ob die Hilfeempfänger im Rückmelde- und Widerspruchsverfahren ausreichend angehört wurden – was deren Anwälte verneinen. „Für mich stellt sich es so dar, dass es ein automatisierter Prozess gewesen ist und dass die Fälle nicht im Einzelfall angeschaut wurden“, sagt sie.

Die FAQ’s sollen nicht der Maßstab sein, meint das Gericht

Auch hat der VGH die vorläufige Rechtsauffassung geäußert, dass nur der Wortlaut des Bewilligungsbescheids, nicht aber die FAQ’s (Frage-Antwort-Erläuterungen) im Internet vom 24. März an Maßstab sein können, um die Vorgaben zu klären. „Das sollte dann eher zugunsten der Kläger wirken“, sagt Oberdorfer. Schließlich seien die FAQ’s vielfach nachgearbeitet und angepasst worden. Gerade hier hat Karsten Klein, Bereichsleiter Recht der L-Bank, Einwände: „Wir würden die FAQ’s selbstverständlich einbeziehen.“ In der Presse seien sie damals prominent verbreitet worden, und der Bescheid nehme einen deutlichen Bezug darauf.

Insgesamt hat das Land rund 245 000 Anträge auf Soforthilfe in Gesamthöhe von 2,3 Milliarden Euro bewilligt. In rund 117 000 Fällen forderte die L-Bank später insgesamt rund 862 Millionen Euro zurück. Gegen die Rückforderungsbescheide sind derzeit noch rund 1400 Klagen anhängig, von denen mehr als 1200 ruhend gestellt wurden. Es gibt zudem 5500 offene Widersprüche aus den Rückmeldeverfahren – im Schnitt liegen die Förderbeträge bei knapp unter 9000 Euro.

Am 7. Oktober stehen zwei weitere Musterfälle vor dem VGH an – ein Winzer und ein Fahrlehrer, deren Klagen in erster Instanz in Freiburg und Karlsruhe abgewiesen worden waren. Da geht es um Anträge auf Corona-Soforthilfen, die auf einer Verwaltungsvorschrift vom 8. April 2020 beruhen, in der die Bedingungen vom Land verschärft wurden.

Bis Mitte nächster Woche will das Gericht beraten und zeitnah, wie betont wird, entscheiden. Am Freitag dürfte demnach der sogenannte Tenor feststehen. Holger Schier zeigt sich „optimistisch, dass wir nicht zurückzahlen müssen“. Doch befürchtet er, „dass wir noch nicht am Ende sind – leider“. Denn die L-Bank könnte im Falle ihrer Niederlage und sofern eine Revision zugelassen wird im Streben nach Rechtssicherheit noch eine höchstrichterliche Entscheidung anstreben.