Es war bereits der vierte "Spaziergang" in Villingen Foto: Eich

Mit Fackeln und Kerzen gehen auch im Südwesten Menschen gegen die Corona-Maßnahmen auf den Straßen „spazieren“. Nicht immer bleibt es dabei ruhig und friedlich.

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Oberndorf - Seit einigen Wochen gehen immer wieder Menschen auf die Straße und protestieren in Form von sogenannten Spaziergängen gegen die Corona-Maßnahmen. Auch zwischen Nordschwarzwald und Hochrhein, Ortenau und Schwäbischer Alb spazieren Menschen mit. Dies geschieht in der Regel friedlich, doch kommt es vereinzelt auch zu Zwischenfällen und geschmacklosen Holocaust-Vergleichen. Der Überblick aus unseren Redaktionen vor Ort:

Rund 500 Spaziergänger in Villingen-Schwenningen

Den bereits vierten "Spaziergang" als Ausdruck des Protestes gegen die Corona-Schutzmaßnahmen hat am Montag Villingen erlebt. Nach Angaben der Polizei waren 500 Menschen – aus den Reihen der "Spaziergänger" wird eine Teilnehmerzahl von mehr als 1000 genannt – in der historischen Innenstadt unterwegs. Begleitet wurden sie dabei von etwa 30 Polizisten.

Die Beamten mussten bei einer Beleidigung sowie einer Volksverhetzung eingreifen. So hatte eine Teilnehmerin einen Judenstern mit dem Spruch "Impfen macht frei" auf ihrer Jacke platziert. Auch vereinzelte rechtsorientierte Teilnehmer zeigten sich, unter ihnen auch Anhänger der AfD-Jugend mit einem Transparent ("Jugend steht auf"). Die überwiegende Mehrheit spazierte jedoch friedlich und schweigend – mit Kerzen und Grablichtern, aber ohne Mundschutz.

AfD-Bundespolitiker Thomas Seitz geht in Lahr auf die Straße

Bislang waren Corona-Kritiker in Lahr (Ortenaukreis) immer am Wochenende bei Kundgebungen aktiv, seit dieser Woche kommen "Spaziergänge" montags durch die Innenstadt hinzu. Mit dabei war bei der Premiere auch Thomas Seitz, der örtliche AfD-Bundestagsabgeordnete.

Er selbst war noch vor einigen Monaten lebensbedrohlich an Corona erkrankt gewesen und hatte nach eigenen Erklärungen nur haarscharf überlebt. Jetzt demonstriere der AfD-Politiker, "weil die staatlichen Einschränkungen zu weit gehen", wie er sagte.

Impfungen für Kinder nannte Seitz gegenüber unserer Redaktion am Montagabend ein "Verbrechen". Am Rande des Spaziergangs war ein Journalist von einem Teilnehmer körperlich angegangen worden. Sonst blieb es in Lahr friedlich.

Fackeln und Kerzen bei Aktion in Lörrach

Auf dem Meraner Platz in Lörrach hatten sich am Montagabend mehr als 30 Personen versammelt, teilweise mit Fackeln und Kerzen ausgestattet. Mit Kreide aufgebrachte Schriftzüge auf dem Boden ließen diese deutlich dem impfkritischen Milieu zuordnen. Die "Spaziergänger" hatten zuvor über den Nachrichtendienst Telegram für 19 Uhr zum Treffen aufgerufen. Vor Ort wurde die Presse wenig freundlich darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine Demonstration handele.

Auch in Schopfheim bewegte sich eine Gruppe von etwa 40 Erwachsenen und Kindern mit Laternen aus der Altstadt in Richtung Hauptstraße und verweilte anschließend auf dem Marktplatz. "Es sah fast aus wie ein Martinsumzug", berichtet ein Augenzeuge. Auch für Rheinfelden war eine Aktion terminiert gewesen.

Verkehr in Balingen kommt zum Stillstand

Auch im Zollernalbkreis sind am Montagabend zahlreiche Menschen auf "spontanen Spaziergängen" als Protest unterwegs gewesen. Alle Ansammlungen verliefen friedlich. In Hechingen, Ebingen und Meßstetten waren jeweils mehrere Dutzend Personen dabei.

Die meisten Teilnehmer registrierte die Polizei in Balingen, wo rund 360 "Spaziergänger" eine große Runde durch die Innenstadt drehten. Dabei überquerten die Spaziergänger, so schien es, möglich oft Zebrastreifen, querten die Straßen und brachten den Verkehr dadurch mitunter zum Stillstand. Einige Teilnehmer hatten Kerzen und Grablichter dabei, mitunter hörte man Trillerpfeifen – ebenso vereinzelt die Parole "Frieden, Freiheit, keine Diktatur".

In Balingen fanden die Spaziergänge in den vergangenen Wochen regelmäßig statt, zuletzt hatten sie deutlichen Zulauf. Trotz der Regelmäßigkeit und der steigenden Zahl an Teilnehmern werten Behörden die "spontane" Veranstaltung bislang nicht als anmeldepflichtige Versammlung.

Es gehöre, so ein Beobachter, zur DNA dieser "Spaziergänge", gerade nicht mit Behörden zu kooperieren. Ausdrücklich wird in Chatgruppen – etwa auf Telegram – darauf hingewiesen, dass man tunlichst alles vermeiden solle, was zu einer Einstufung als "Versammlung" führen könnte. Auf "kreativen Wegen" solle man das Versammlungsrecht austricksen – und den Behörden keine Handhabe für ein Eingreifen geben.

Viele Umarmungen und wenig Masken in Rottweil

Im Kreis Rottweil findet die "Spaziergang"-Bewegung immer mehr Anhänger. Am Montag wurden bei der Corona-Protest-Versammlung in Rottweil rund 500 Teilnehmer gezählt. Es blieb weitgehend ruhig, doch Diskussionen am Rande blieben nicht aus.

Das Spektrum reichte von sachlich vorgetragenen Argumenten gegen Impfungen bis zum Rundumschlag gegen "das System" und die "Machenschaften des Staates". Unter den Teilnehmern kennt man sich, es gab viele Umarmungen zur Begrüßung und wenig Masken. Die Stadt hatte zuvor angekündigt, bei Verstößen konsequent handeln zu wollen.

Die Versammlung war wie vielerorts nicht angemeldet. Polizei und Ordnungsamt beließen es aber weitgehend beim Beobachten. Es habe drei Platzverweise gegeben. Man müsse verhältnismäßig agieren, hieß es.

Aktivisten nahe einem Politiker-Wohnhaus im Kinzigtal

In Wolfach (Ortenaukreis) versammelten sich rund 150 Menschen. Ob das Wohnhaus von Sandra Boser, der grünen Staatssekretärin und Landtagsabgeordneten dabei Ziel der Demonstranten war, bleibt unklar. In der Nähe des Wohnhauses jedenfalls blieb der Pulk stehen, Anwohner forderten die Demonstranten zum "Abhauen" auf, schildert Bosers Mann Carsten die Situation.

"Ob das ein persönlicher Angriff auf meine Frau und mich war, weil wir uns klar für die Maßnahmen ausgesprochen hatten, kann ich nicht sagen. Ich bin aber durch die Erfahrungen in der Vergangenheit mit Droh-Mails an meine Frau und versuchten Diskussionen vor unserer Haustüre sensibilisiert." Er sei aber überzeugt davon, dass die absolute Mehrheit der 5800 Einwohner in Wolfach nicht die Meinung der Demonstranten vertritt und sich über diese ärgert.

Baiersbronner Arzt im Visier der "Spaziergänger"

Zwischen 60 und 70 Teilnehmer protestierten bei einem "Lichterspaziergang" in Baiersbronn (Kreis Freudenstadt) gegen Corona-Impfungen. Ihren Unwillen hatte es erregt, dass der dort praktizierende Arzt Wolfgang von Meißner in den Medien darüber gesprochen hatte, auch Kinder zu impfen.

Daraufhin war auf Telegram zu dem "Spaziergang" an seiner Praxis vorbei aufgerufen worden. Von Meißner bezeichnete den Aufzug hinterher als "gespenstisch". Er und seine Mitarbeiter hätten sich aber dank der Polizei sicher gefühlt.

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Stadt Calw denkt über Verbot der Montags-"Spaziergänge" nach

In Calw hatten die Organisatoren in den diversen Telegram-Gruppen den Startort kurzfristig vom Rathaus ans Untere Ledereck verlegt. Der Grund: eine parallel angemeldete Demo von 5G-Funk-Gegner vor dem Rathaus der Hesse-Stadt.

Da diese Demo angemeldet war, galt hier auch die Abstandsregel und Maskenpflicht - ein Dorn im Auge der Corona-Maßnahmen-Kritiker, weshalb man spontan auswich. Rund 250 Protestler marschierten eine gute Stunde lang kreuz und quer durch die Stadt. Die Proteste wurden von wenigen Polizisten begleitet, es blieb die ganze Zeit über friedlich.

Auch in Schömberg und Bad Liebenzell rotteten sich Gegner der Corona-Maßnahmen zusammen, legten Kerzen und Schilder vor den jeweiligen Rathäusern nieder. In Nagold zogen Hunderte Menschen bei einem Spaziergang durch die Innenstadt.

Zum Thema: Corona-Kritiker in Calw - OB Kling prüft Verbot von Lichtspaziergang

In Calw wird derweil überlegt, ob die Montags-"Spaziergänge" künftig nicht, ähnlich wie in Karlsruhe, verboten werden können. Er habe kein Verständnis dafür, dass sich auch viele Teilnehmer von außerhalb Calws, auf dem Marktplatz versammeln würden, erklärte Calws Oberbürgermeister Florian Kling.